Masaaki Yuasa

Inu-Oh

Japan hinter dem Fächer - "Inu-Oh" präsentiert seine Geschichte im Schnelldurchlauf. Foto: Rapid Eye Movies
(Kinostart: 17.11.) Wilder Crashkurs in japanischer Geschichte: Masaaki Yuasa verarbeitet eine alte Legende zu einem zeiten- und stilübergreifenden Rockmärchen mit inhaltlichem Tiefgang. Mit brillanten Animationen schafft er einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

Das Faszinierende an Animationsfilmen ist: Ihre Schöpfer haben viel mehr Freiheiten als im Realfilm, die Grenzen von Bildern und Plot auszuloten. Der Regisseur Masaaki Yuasa gehört zweifellos zu denjenigen, die ihre künstlerische Freiheit voll ausschöpfen – und das heißt etwas in Japan: Hier sind Animes Teil der Massenkultur. Es gibt sogar ganze Themenparks zu Anime-Welten wie die kürzlich eröffnete Freizeitanlage des Ghibli-Studios, das die Filme des international bekannten Animateurs Hayao Miyazaki produziert.

 

Info

 

Inu-Oh

 

Regie: Masaaki Yuasa,

98 Min., Japan 2022;

mit: Avu-chan, Mirai Moriyama, Tasuku Emoto

 

Weitere Informationen zum Film

 

Der 57-Jährige Yuasa ist eher ein Geheimtipp; den Vergleich zu seinem berühmten Kollegen braucht er jedoch in punkto Kreativität nicht zu scheuen. So war er an etlichen Animationsserien für das japanische Fernsehen beteiligt und hat einige Filme realisiert. Besonders sein Langfilmdebut „Mindgame“ (2004) sorgte international für Aufsehen in der Animationsszene.

 

Macht und Überlieferung

 

Sein neuer Film, das Musical „Inu-Oh“, ist ein wilder Ritt durch Zeiten und Stile, der sowohl durch optische Brillanz als auch durch zeitlose Fragen gefangen nimmt. Geht es doch im Subtext darum, wer die Macht hat, eine bestimmte Interpretation historischer Ereignisse durchzusetzen – und wie sich die Künstler, welche die Geschichten weitertragen, dazu verhalten.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Der blinde Sänger

 

Ausgangspunkt ist das klassische Epos „Die Geschichte der Heike“, das den Untergang des Heike-Clans besingt, der Ende des 12. Jahrhunderts mit dem Genji-Clan um die Vorherrschaft auf dem Inselstaat rang. In einer grauenvollen Schlacht wurde die Heike-Armee geschlagen. Der Legende nach wurde der kindliche Kaiser Antoku von seiner eigenen Großmutter ertränkt und mit ihm versank eine der Reichsinsignien – ein heiliges Schwert – im Meer.

 

Etwa zweihundert Jahre später taucht der junge Tomona mit seinem Vater im Auftrag geheimnisvoller Männer nach dem Schwert. Doch die Schatzsuche endet furchtbar: Er verliert seinen Vater und sein Augenlicht. Fortan zieht der Junge als blinder Mönch durch die Gegend und spielt Lieder auf seiner Biwa – einer japanischen Form der Laute – die vom Schicksal des Heike-Clans erzählen.

 

Vom Outcast zum Rockstar

Tomona hat eine besondere Beziehung zu den Geistern der in der Schlacht Gefallenen: Er kann die Geschichten hören, die sie erzählen. Allerdings kollidiert die Version der Geister mit der offiziellen Geschichtsschreibung. Aufsehen erregen Tomonas Lieder allerdings erst, als er sich mit dem begnadeten Tänzer Inu-Oh zusammentut – wie er ein Ausgestoßener: Inu-Oh wurde als eigenwillige Gestalt mit überlangem Arm geboren; sein Gesicht versteckt er unter einer Kürbismaske.

 

Ihre wachsende Freundschaft lässt die Talente der beiden erblühen – und indem sie in ihrer Kunst aufgehen, verwandeln sie sich nach und nach: Die Kreatur Inu-Oh wird allmählich zum wohlgestalteten Menschen und der zurückhaltende Biwa-Spieler Tomana zum muskulösen Rockstar, der sein Instrument wie eine E-Gitarre schwingt.

 

Ekstase

 

War der Film bis dahin von eher ruhigen, naturalistischen Bildern und traditioneller Musik geprägt, ändern sich nun Geschwindigkeit und Tonlage. Ein Großteil der Handlung wird fortan in Rocknummern erzählt, die Menschen sind begeistert vom Auftritt der neuartigen Band, die auch optisch mit einer großen Show von sich reden macht. Gesungen wird auf japanisch – „Inu-Oh“ kommt ausschließlich in Originalfassung mit Untertiteln ins Kino – aber Klang und Songstruktur wirken für westliche Ohren halbwegs vertraut.

 

Genau wie die Musik befreien sich auch die Bilder von traditionellen Leitlinien, es wird ekstatisch getanzt und gesungen, die Animationen galoppieren mitunter so schnell dahin, dass man mit den Augen kaum mehr hinterher kommt.

 

Im Schatten der Geister

 

Doch jeder Rausch ist irgendwann vorbei und für Inu-Oh und Tomona stellt sich die Frage, wie sie mit den Forderungen der Mächtigen umgehen, die ihre Kunst einhegen und kontrollieren wollen. Sie werden beide sehr unterschiedliche Entscheidungen treffen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Miss Hokusai" - japanischer Animationsfilm über das Künstlergenie Hokusai von Keiichi Hara

 

und hier einen Bericht über den Film “Wie der Wind sich hebt” – grandioser Animations-Historienfilm über die Zwischenkriegszeit von Hayao Miyazaki

 

und hier einen Beitrag über den Film "Belladonna of Sadness" – einzigartig psychedelischer Animationsfilm aus Japan von Eiichi Yamamoto

 

„Inu-Oh“ entzieht sich der Einordnung in landläufige Kategorien wie Anime, Musical, Fantasy oder Historienfilm – er ist ein ganz und gar eigenständiges Werk. Der Film ist unglaublich dicht erzählt und überreich an Anspielungen und Metaphern. Namen und Zugehörigkeiten spielen eine große Rolle. Eine Figur geht um der Kunst willen einen Pakt mit dem Teufel ein; Gewalt ist in dieser Welt stets im Hintergrund präsent. Die Toten sind nicht wirklich tot, die Lebenden befinden sich immer im Schatten ihrer Geschichte.

 

Kunst, Historie – und Schönheit

 

Und es geht stets um die Reflexion der Welt in der Kunst, im japanischen Noh Theater und seinem Vorläufer, dem Saragaku. Neben dieser ungewöhnlichen intellektuellen Auseinandersetzung mit Kunst und Historie besticht „Inu-Oh“ ebenso durch die pure Schönheit seiner Bilder, die selbst etwas so Banales wie Regen zu einem visuellen Genuss werden lassen.

 

Masaaki Yuasa verlangt mit seinem Werk erhöhte Aufmerksamkeit von Zuschauern, die wenig mit Japans Geschichte und Kultur vertraut sind – aber man wird mit einer faszinierenden Filmerfahrung belohnt.