„Weltreiche werden von äußeren Feinden erst besiegt, wenn sie sich von innen heraus zerstört haben.“ Mit diesem Zitat aus dem Monumentalfilm „The Fall of the Roman Empire“ (1964) von Regisseur Anthony Mann beginnt die Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum. Diese These ist so plausibel wie trivial – es kommt ganz auf die jeweiligen Umstände an: Welche Rollen spielen innere und äußere Einflüsse in welchen Ausmaßen beim Zerstörungswerk?
Info
Der Untergang des Römischen Reiches
25.06.2022 - 27.11.2022
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
im Rheinischen Landesmuseum,
Weimarer Allee 1, Trier
Stadtmuseum Simeonsstift, Trier
Katalog 29,90 €
Im Zeichen des Kreuzes -
Eine Welt ordnet sich neu
im Museum am Dom, Bischof-Stein-Platz 1, Trier
Das Erbe Roms. Visionen
und Mythen in der Kunst
im Stadtmuseum Simeonstift,
Simeonstraße 60, Trier
Weitere Informationen zur Ausstellung
Prototyp des Untergangs-Prozesses
Diverse Krisen und der Aufstieg neuer Mächte lassen die Auguren seit Jahren rätseln, ob der Nieder- oder gar Untergang westlich geprägter Demokratien in absehbarer Zukunft unvermeidlich sei. Da lohnt – trotz aller offensichtlicher Unterschiede – ein Rückblick auf den Prototyp dieses Prozesses, zumindest im europäischen Kontext: den Untergang des Römischen Reiches. Über dessen Gründe wird seit 1500 Jahren räsoniert; ein Ende der Diskussion im Sinne eines Konsenses ist nicht absehbar.
Dafür gibt es schlicht zu viele mögliche Faktoren; zumal sich der relevante Zeitraum über mehr als 300 Jahre erstreckt, von Mitte des 3. Jh. bis Mitte des 6. Jh. n. Chr.. Ein großer Vorzug dieser Ausstellung ist, dass sie all diese Faktoren anspricht und vorstellt, ohne auszuufern oder sich zu verzetteln; sie verdichtet eine komplexe Fachdebatte auf ein für die Besucher zuträgliches Maß. Das gelingt ihr fast ohne spektakuläre Schaustücke, sondern allein durch kluge Auswahl der Exponate und ihre so kundige wie bündige Kommentierung.
Feature zur Ausstellung. © OK54 Bürgerrundfunk
Bürgerkriege unter Soldatenkaisern
Mitte des 3. Jh. n. Chr. steckte das Römische Reich in einer tiefen Krise; es hätte bereits damals auseinanderbrechen können. An den Grenzen stationierte Heere kürten häufig Offiziere aus ihren Reihen zum Augustus. Diese Soldatenkaiser bekämpften sich heftig gegenseitig; die meisten Usurpatoren hielten sich nur wenige Wochen bis Jahre. Um solche bürgerkriegsähnlichen Zustände zu beenden, führte Kaiser Diokletian (285-304) die Tetrarchie ein: Im Westen und Osten des Reiches herrschten zwei nominell gleichberechtigte Augusti, die je einen Caesar zum Stellvertreter ernannten.
Diese Viererherrschaft hatte in Reinform nicht lange Bestand: Schon Konstantin d. Gr. (306-337) hielt ab 324 wieder alle Zügel in seinen Händen. Doch die von Diokletian angestoßene Regionalisierung des Reiches setzte sich durch. Die Zahl der Provinzen verdoppelte sich auf mehr als 100; sie wurden von entsprechend mehr, aber kleineren Legionen verteidigt. Zudem trennte Diokletian die militärische von der Zivilverwaltung: Die für Steuern und Infrastruktur zuständigen Provinzgouverneure befehligten keine Soldaten mehr, stattdessen bekamen sie mehr Personal.
Barbaren als billige Söldner
Die Regionalisierung und Aufstockung der Bürokratie sollte langfristig zur Auflösung des Reiches beitragen – ähnlich wie die Gründung regionaler Herrschaftszentren etwa in Trier, Mailand, Ravenna oder Konstantinopel. Nun führten nicht mehr alle Straßen nach Rom; es wurde leichter, sich von der kaiserlichen Administration abzunabeln und lokal autonom zu werden. Etwa für so genannte Foederaten: nichtrömische Krieger, deren Anführer im Auftrag des Reichs kämpften – wofür sie Versorgungsgüter oder auch Land erhielten. Diese „barbarischen“ Söldner kosteten den Staat wesentlich weniger als reguläre Truppen.
Inwieweit diese Verbände fremde Ethnien wie Germanen, Goten, Hunnen etc. blieben oder ob und wie schnell sie romanisiert wurden, ist sehr umstritten. Jedenfalls durften sie sich nach der Schlacht von Adrianopel 378 n. Chr. im Reich ansiedeln, was gemeinhin als Anfang der Völkerwanderungszeit betrachtet wird – wobei das heutige Verständnis von „Volk“ auf diese Gruppen kaum zutrifft. Allerdings rüttelten fortan weitere Akteure am Staatsgefüge.
Rom wird nach 800 Jahren geplündert
Im Jahr 410 wurde Rom von Truppen des gotischen Generals Alarich drei Tage lang geplündert – zum ersten Mal seit rund 800 Jahren. Dass die Ewige Stadt dem schutzlos preisgegeben war, erschütterte das Weltbild der Zeitgenossen. Diese Katastrophe illustriert die Schau sinnfällig mit unscheinbaren Metallklumpen: Sie waren einst Münzen, die bei Bränden 410 zu unförmigen Brocken geschmolzen sind.
Gegenmaßnahmen bewirkten wenig. Kaiser Valentinian I. (364-375) hatte die Reichsgrenzen an Rhein und Donau aufwändig mit Festungsbauten verstärken lassen – vergebens. 406 fielen Vandalen, Alanen und Sueben nach Gallien ein und verheerten weite Landstriche. Daraufhin musste Rom Britannien aufgeben. 429 setzten die Vandalen unter ihrem König Geiserich nach Nordafrika über und eroberten zehn Jahre später die Provinz von Karthago; sie war die Kornkammer des Reichs.
Vandalen hausen in Karthago
Der Verlust an Getreide- und Olivenöl-Lieferungen sowie Steuerzahlungen traf das Reich schwer. Deshalb versuchten Rom und Konstantinopel 468, Karthago zurückzuerobern, doch der gemeinsame Feldzug scheiterte desaströs. Zugleich blieb die römische Prägung der Provinz unter den Vandalen erhalten: Sie bewirtschafteten die lukrativen Landgüter und exportierten ihre Erzeugnisse weiter an die bisherigen Abnehmer. Die Herrschaft hatte gewechselt, die (Agri-)Kultur blieb gleich.
Ähnliches gilt für das nominelle Ende des weströmischen Kaisertums. Dortige Kaiser hatten ihre Macht im 5. Jahrhundert zunehmend an so genannte Heermeister (magister militium) verloren. Der Feldherr Odoaker setzte 476 den minderjährigen Romulus Augustulus ab und schickte seine Insignien nach Konstantinopel – man brauche im Westen keinen Kaiser mehr. Allerdings wurde Odoaker 493 im Auftrag Ostroms vom Ostgotenkönig Theoderich d. Gr. gestürzt, der bis 526 eine stabile Herrschaft etablieren konnte. Erst der 20-jährige Krieg bis 554, mit dem der oströmische Kaiser Justinian (482-565) das Ostgotenreich unterwarf, verheerte das italienische Kernland und zerstörte das weströmische Erbe, etwa durch Ämter-Abschaffung.
Bleirohre veranschaulichen Diskrepanz
Diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen veranschaulicht die Schau anhand von Alltagsobjekten, wie Wasserrohren aus Blei. Ende des 5. Jh. wurde in Trier deren Reparatur und damit die städtische Versorgung wie der Thermen eingestellt; offenbar fehlten die Mittel oder das Know-how dafür. Zur gleichen Zeit kümmerte man sich in der Residenzstadt Ravenna weiter darum; das belegt ein Bleirohr mit dem Stempel von Theoderich I..
Was für die materielle Ausstattung zutrifft, gilt umso mehr für zivilisatorische Errungenschaften. Vor allem das Christentum: Konstantin d. Gr. ließ die neue Religion 313 reichsweit zu und privilegierte sie. Kaiser Theodosius I. (379-395) bekannte sich 380 in seinem Edikt „Cunctos Populos“ zum katholischen Glauben und erklärte die Arianer zur Ketzern, um einen 60-jährigen Bekenntnis-Streit zu beenden. Doch zugleich geriet er bereits mit dem Eigensinn der Bischöfe aneinander.
Klerus übernimmt römische Verwaltung
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Schau "Nero – Kaiser, Künstler und Tyrann" – grandios inszenierte Ausstellungs-Trilogie in drei Trierer Museen
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Pompeji – Leben auf dem Vulkan" - prächtige Präsentation in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Samnium + die Samniten – Roms letzter Rivale" - in den Staatlichen Antikensammlungen, München
Dagegen wurde das oströmische Reich zur Theokratie mit christlicher Staatsreligion. Diese Zentralisierung und die Tatsache, dass Konstantinopel die unumstrittene Kapitale blieb, in der alle Fäden zusammenliefen, trugen zum Überleben des Staatsgebildes bis ins 15. Jh. bei. Dagegen löste sich das weströmische Reich seit Anfang des 4. Jh. allmählich auf – in einem schleichenden Prozess, in dem nichtrömische Akteure und Gruppen sich immer mehr Ressourcen aneigneten. Da er sehr langsam ablief, dürften ihn viele Zeitgenossen eventuell als Nieder-, aber kaum als Untergang wahrgenommen haben.
Im Sonnenuntergang verdunsten
„Ganze Regionen waren sozusagen lautlos von der römischen in die nichtrömische Zeit gewechselt, als das Weströmische Reich gleichsam ‚verdunstete’“, stellt der Historiker Timo Stickler fest. Eine schöne, aber vielleicht etwas zu idyllische Metapher für diesen Vorgang. Passender erscheint die des Sonnenuntergangs beim Rundgang im Landesmuseum: Im ersten Saal zum Mehrkaiser-System herrscht strahlendes Licht, das dann Saal für Saal immer gedämpfter wird. Der letzte, in dem das weströmische Kaisertum erlischt, liegt düster da.