Elene Naveriani

Wet Sand

Amnon (Gia Agumava) und Elikos Enkelin Moe (Bebe Sesitashvili) vereint in tiefer Trauer. Foto: ©Salzgeber & Co. Medien GmbH
(Kinostart: 24.11.) Hetero-Zwang selbst nach dem Suizid: Dass der Tote zu Lebzeiten eine schwule Beziehung hatte, wühlt ein georgisches Schwarzmeerdorf auf. Regisseurin Elene Naveriani blickt kühl distanziert, aber sorgfältig inszeniert auf eisern patriarchalische Verhältnisse.

Wer in Georgien anders liebt als die Mehrheit, sieht sich heftigen Repressalien ausgesetzt. Zwar ist Homosexualität in der Kaukasusrepublik laut Gesetz erlaubt, doch die überwiegende Mehrheit steht gleichgeschlechtlichen Beziehungen ablehnend bis feindlich gegenüber. Die orthodoxe Kirche hetzt regelmäßig gegen sexuelle Minderheiten; Gay-Pride-Paraden werden von rechtsextremen Schlägern angegriffen. Homo- oder Transsexualität auszuleben, ist nur unter Gleichgesinnten im stark geschützten Rahmen möglich.

 

Info

 

Wet Sand

 

Regie: Elene Naveriani,

115 Min., Schweiz/ Georgien 2021;

mit: Bebe Sesitashvili, Gia Agumava, Megi Kobaladze

 

Weitere Informationen zum Film

 

Sogar wenn Filme nicht-heterosexuelle Liebe thematisieren, können Kinovorführungen nur unter Polizeischutz stattfinden; so erging es beispielsweise dem furiosen Drama „Als wir tanzten“ (2020 ) von Levan Akin. Der mitreißende, international viel beachtete Film über die aufkeimende Liebe zweier junger Tänzer lenkt die Aufmerksamkeit auf die schwierige Lage queerer Menschen in Georgien – schon zwei Tage nach der Premiere in Tbilissi wurde er abgesetzt.

 

Des Meeres und des Lebens Wellen

 

„Wet Sand“ betrachtet allerdings nicht den Anfang, sondern das Ende einer Liebe – auch dann darf sie noch immer nicht stattfinden. Schauplatz ist ein namenloses Dorf an der Schwarzmeerküste. Das Leben plätschert hier so ruhig dahin wie die Wellen an den Strand. Es zeigt Georgien, seit einigen Jahren beliebtes Touristen-Reiseziel, jenseits pittoresker Postkartenidyllen.

Offizieller Filmtrailer


 

Großstadt-Schickse mischt Kaff auf

 

Stillstand und Verfall allerorten: Die Menschen scheinen sich ruhig in ihrem bescheidenen Dasein eingerichtet zu haben. Jeden Tag sitzen die gleichen Gäste in Amnons Strandcafé; sie trinken, spielen und blicken aufs Meer hinaus. Hier herrscht ein oberflächlicher Frieden, der Konflikte unter Alltagsritualen begräbt.

 

Die Nachricht vom Selbstmord ihres einsamen Nachbarn Eliko reißt die Menschen aus ihrer Lethargie. Beliebt war der Außenseiter im Dorf nicht, da er sich wohl für etwas Besseres hielt. Und Gerüchte über seine unziemlichen Neigungen gab es schon immer. Während das Dorf noch debattiert, ob und wo man Eliko nun beerdigen soll, taucht seine lang verschollene Enkelin Moe (Bebe Sesitashvili) aus der Hauptstadt Tbilissi auf. Für die Dorfbewohner ist sie die Verkörperung großstädtischer Arroganz: schick, schroff und unhöflich geradeheraus.

 

Perspektive einer non-binären Exilantin

 

Dabei sind die Protagonisten alle recht wortkarg und wirken schwer zugänglich. Es gibt kaum direkte Kommunikation; Wesentliches wird zwischen den Zeilen durch Gesten und Blicke mitgeteilt. Moe durchschaut schnell das Geflecht aus Lügen und Halbwahrheiten, das sich im Lauf der Zeit um ihren Großvater gesponnen hat. Ihr Auftreten provoziert und brüskiert, doch als sie zufällig die Beziehung zwischen Eliko und dem feinsinnigen Amnon (Gia Agumava) aufdeckt, die beide ihr Leben lang geheim hielten, legt die junge Frau eine Offenheit an den Tag, die den meisten Dorfbewohnern fremd ist.

 

Regisseurin Elene Naveriani, die in Tbilissi geboren wurde, mittlerweile in der Schweiz lebt und sich selbst als non-binär bezeichnet, charakterisiert ihr Personal überwiegend als passive, ihrem Schicksal und den Traditionen ergebenen Menschen. Auf sie und ihr Dorf richtet die Filmemacherin einen distanzierten Blick von außen: Unter dem eisernen Patriarchalismus von mit Muskeln, Bierbauch und Grobheit gepanzerten Platzhirschen leiden nicht nur Homosexuelle, sondern auch Frauen und Kinder.

 

Lesbische Love-Story

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Als wir tanzten" - mitreißendes Coming-Out-Ballett-Drama aus Georgien von Levan Akin

 

und hier eine Besprechung des Films "Beginning" – faszinierend subtiles Drama aus Georgien über eine Prediger-Gattin von Dea Kulumbegashvili

 

und hier einen Beitrag über den Film "Die langen hellen Tage" – stimmungsvolles Porträt zweier Freundinnen im Georgien der chaotischen 1990er Jahre von Nana Ekvtimishvili + Simon Groß.

 

Durch die Authentizität von Schauplatz und Darstellern – die Mehrzahl von ihnen stand erstmals vor der Kamera – und die ruhige, beobachtende Inszenierung mutet dieses Kammerspiel quasi dokumentarisch an. Wobei die sorgfältig kadrierten Aufnahmen dem morbiden Charme des Ortes eine Anziehungskraft verleihen, dem man sich schwer entziehen kann.

 

Gleichwohl tritt „Wet Sand“ dezidiert programmatisch auf: Regisseurin Naveriani will eine klare gesellschaftspolitische Botschaft gegen die Unterdrückung Andersliebender vermitteln. Dadurch erscheinen Handlung und Figurenkonstellation mitunter etwas überkonstruiert. So verlieben sich etwa Moe und Fleshka (Megi Kobaladze), die bei Amnon als Aushilfe arbeitet, ineinander. Durch ihren jungenhaften Charme gilt Fleshka ebenfalls als Außenseiterin, die von den Männern nicht als richtige Frau anerkannt wird.

 

Trotziger Optimismus

 

Gegen Ende findet der Film zu einem Optimismus, der eher trotzig als realistisch wirkt. Während die Anhänger der bisherigen Ordnung zum Feuer greifen, um sie von in ihren Augen schädlichen Elementen zu reinigen, entsteht aus der Asche ein Neuanfang – und der erscheint fast zu schön, um wahr zu sein.