Giuseppe Tornatore

Ennio Morricone – Der Maestro

Voll in seinem Element - Beim Dirigieren vergisst der Maestro Alles um sich herum. Foto: © Plaion Pictures
(Kinostart: 22.12.) Mehr als „Spiel mir das Lied vom Tod“: Der 2020 verstorbene Ennio Morricone war der vielseitigste und wirkmächtigste Film-Komponist aller Zeiten – er beherrschte sämtliche Stile und Genres. Sein Schaffen dokumentiert Regisseur Giuseppe Tornatore so prägnant wie erschöpfend.

Ist Ennio Morricone der größte Filmkomponist aller Zeiten? In Sachen Qualität und Quantität kann es kaum einer mit dem 2020 verstorbenen Komponisten aufnehmen. Doch während andere Meister wie John Barry, Hans Zimmer oder Howard Shore einen individuellen, wieder erkennbaren Stil entwickelten, hatte Morricone eigentlich keinen. Oder vielmehr: alle. Popsongs, Symphonisches, atonale Improvisationen, Musique concrète oder einfach schmachtende Melodien, die sich als hartnäckige Ohrwürmer entpuppten – all das stammte von Morricone. Er galt lange als Western-Spezialist, komponierte aber auch für Gangsterfilme und Thriller, Horror- und Kostümschinken, Literaturverfilmungen, Romanzen und vieles mehr.

 

Info

 

Ennio Morricone – Der Maestro 

 

Regie: Giuseppe Tornatore,

156 Min., Italien 2021;

mit: Ennio Morricone, Hans Zimmer, Quentin Tarantino

 

Weitere Informationen zum Film

 

Viele Meisterwerke des Kinos verdanken ihren Erfolg nicht zuletzt seinen Kompositionen, darunter Sergio Leones Amerika-Trilogie, Gillo Pontecorvos Kriegsfilm „Schlacht um Algier“ (1966) oder Roland Joffés Dschungel-Drama „Mission“ (1986). Bei etlichen Filmen blieb als einziges seine Musik in Erinnerung, wie zuletzt bei Quentin Tarantinos „Hateful Eight“ (2015). Von seinem Midas touch hat auch Regisseur Giuseppe Tornatore profitiert: Er gewann Morricone für „Cinema Paradiso“, seine nostalgische Liebeserklärung ans italienische Kino der Nachkriegszeit. 40 Jahre und ein Dutzend gemeinsamer Filme später revanchiert sich der längst etablierte Regisseur mit einem Posthum-Dokumentarfilm über Morricone.

 

Goldene Einzeiler

 

Der beginnt wie jede TV-Doku mit goldenen Einzeilern prominenter Weggefährten. Darunter sind durchaus Berufene wie Regisseur Dario Argento, die 2021 verstorbene Filmemacherin Lina Wertmüller, Sängerinnen und Komponisten-Kollegen. Dazu gesellen sich prominente Musiker wie Gitarrist Pat Metheny oder Rocker Bruce Springsteen, die aber außer Superlativen nichts Erhellendes beizusteuern haben.

Offizieller Filmtrailer


 

Der Abtrünnige

 

Solch überflüssiges Wissen macht allerdings nur einen Bruchteil des Films aus, der nach einem ebenso überflüssigen Intro – Morricone bei der Gymnastik – sein eigentliches Erzähltempo findet. Aus Interviews, Fotografien, TV- und Kinofilm-Einspielern montiert er die Geschichte eines Mannes, der lange auf der Suche nach sich selbst war und dabei ein paar der berühmtesten Melodien der Filmgeschichte erfand.

 

Morricone wurde von seinem Trompete spielenden Vater ermuntert, auch dieses Instrument zu erlernen. Später besuchte er das Konservatorium, dann studierte er in der Kompositionsklasse des Avantgardisten Goffredo Petrassi, der für ihn eine zweite Vaterfigur wurde. Nach dem Studium schlug er den Weg zum Rundfunk-Arrangeur ein und kam über das Fernsehen zur Filmmusik – damit wurde er in den Augen seines Mentors und seiner Kommilitonen zum Abtrünnigen, zum Dünnbrettbohrer und verlorenen Sohn.

 

Bach nach Morricones Vorstellungen

 

Es sollte lange dauern, bis sie ihr Urteil revidierten, und Morricone selbst litt lange unter ihrer Ablehnung. Doch gleichzeitig jagte er von Erfolg zu Erfolg. Bald brachte er es auf ein Pensum von zehn bis zwölf Filmen im Jahr, die er mit seinen Kompositionen unterlegte. Wobei er eigensinnig darüber wachte, sich niemals unter Wert zu verkaufen. Wenn einem Regisseur wie Pier Paolo Pasolini einfiel, dass an bestimmter Stelle besser ein Stück von Johann Sebastian Bach erklingen sollte, drohte Morricone mit Rücktritt. Lieber ging er nach Hause und arbeitete über Nacht einen Bach-Choral in die Partitur ein – nach seinen Vorstellungen.

 

Oliver Stone holte sich eine Abfuhr, als er sich für seinen Neo-Noir-Film „U-Turn – Kein Weg zurück“ (1997) Cartoon-Effekte wie in Morricones frühen Western wünschte. Der hatte zu diesem Zeitpunkt schon zwei Phasen konkreter Musik hinter sich und arbeitete längst wieder symphonisch. Es ist das Verdienst von Regisseur Tornatore, derart spezielle Momente so illustrativ herauszuarbeiten, dass sich aus dem Anekdotischen ein Muster formt.

 

Ehrgeiz + verletzter Stolz

 

Hintergrund

 

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Dabei wird mitunter einige musikalische Vorbildung vorausgesetzt, was den Film manchmal etwas abgehoben erscheinen lässt. Andererseits: Da Morricone selbst nie unterrichtet und keine eigene Schule gegründet hat, kommt diese Doku der Erfahrung einer Meisterklasse mit ihm ziemlich nahe, während sie anschaulich sein Werk in verschiedene Phasen gliedert.

 

Gleichzeitig entsteht das Porträt eines Mannes, hinter dessen Schüchternheit sich ein eiserner Wille und Ehrgeiz verbergen – sowie verletzter Stolz: Lange wurde ihm ein Oscar vorenthalten. Hollywood entschuldigte sich 2007 mit einer Trophäe fürs Lebenswerk. Da ist es verzeihlich, dass der Maestro seine Leistung selbst ein wenig überhöht, wenn er etwa seine melodische Schwerpunktverschiebung als Durchbruch für die tonale Musik bezeichnet.

 

Notizblock vonnöten

 

In solchen Augenblicken erweist sich Regisseur Tornatore eher als gutgläubiger Fan denn als kritischer Chronist. Doch das mindert nicht den Wert dieses erstaunlich erschöpfenden Porträts; es vergeht aufgrund der Ereignisdichte wie im Flug. Das vorgestellte Lebenswerk ist so umfangreich und das Erzähltempo entsprechend hoch, dass professionell Interessierte sich am besten Notizen machen.