Berlin

Käthe-Kollwitz-Museum – Neueröffnung

Käthe Kollwitz: Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden, Ende 1941. Lithografie. Foto: Kienzle | Oberhammer. Foto: © Käthe-Kollwitz-Museum Berlin
Aus der verwinkelten Gründerzeitvilla ins Königliche Schlosstheater: Das Museum der sozialkritischen Künstlerin logiert jetzt sehr nobel. Der neue Standort bietet den idealen Rahmen zur Präsentation ihres Gesamtwerks: von kleinteiligen Anfängen über wuchtige Zyklen bis zu anrührenden Plastiken.

Am Anfang lacht die junge Künstlerin dem Betrachter entgegen; frisch und offen wirkt ihr Blick. Käthe Schmidt ist Anfang 20 und noch nicht mit dem Arzt Karl Kollwitz verheiratet. Sorgfältig hat sie ihre Gesichtszüge mit feiner Feder aufs Blatt gestrichelt, die Schultern in sattem Schwarz dazugetuscht, den Körper ansonsten nur angedeutet. Nie wieder wird sich die 1867 in Königsberg geborene Künstlerin auf einem Selbstbildnis so heiter zeigen. Aber der Impuls, sich selbst ins Auge zu sehen, zu prüfen und festzuhalten, wird sie ihr Leben lang begleiten.

 

Info

 

Käthe Kollwitz –
„Aber Kunst ist es doch“

 

ab 24.09.2022

täglich 11 bis 18 Uhr

Käthe-Kollwitz-Museum,
Spandauer Damm 10, Berlin

 

Weitere Informationen

 

Solch selbstbewusstes Beharren ist ungewöhnlich für eine Frau ihrer Generation. Das schloss Selbstzweifel nicht aus, aber ihr künstlerischer Anspruch war hoch. Dass sie eigentlich Malerin werden wollte, hat sie schnell verworfen; mit Farbe zu arbeiten lag ihr nicht. Nur ein einziges Blatt in der neuen Dauerausstellung des Käthe-Kollwitz-Museums lässt einen Hauch von samtigem Blau aufschimmern, im Schultertuch einer Arbeiterfrau – um das wahrzunehmen, muss man sehr genau hinschauen.

 

Nicht nur Sozialkritik, sondern Kunst

 

Am neuen Standort in Berlin-Charlottenburg ist genau dies möglich. Endlich haben die Werke der Künstlerin ein museales Umfeld, in dem sie perfekt ausgeleuchtet und sorgsam gehängt wirken können. So kommt zur Geltung, was angesichts der inhaltlichen Wucht und emotionalen Unmittelbarkeit ihrer sozialkritischen, wirkungsmächtigen Arbeiten oft übersehen wird: „Aber Kunst ist es doch“ lautet der Titel dieser Zusammenstellung von Zeichnungen, Radierungen, Holzschnitten und Plastiken.

Impressionen der Ausstellung


 

Familie Kollwitz lebte im Prenzlberg

 

Käthe Kollwitz ist angekommen in ihrem neuen Berliner Domizil: dem historischen Theaterbau am Westende des langen Seitenflügels von Schloss Charlottenburg. Der klassizistische Architekt Carl Gotthard Langhans errichtete das Haus ab 1788, etwa gleichzeitig mit seinem berühmtesten Bau, dem Brandenburger Tor. Aber von der einstigen Königlichen Spielstätte blieb nach Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg nur die äußere Hülle. 1960 zog das Museum für Vor- und Frühgeschichte ein, das vor knapp 10 Jahren auf die Museumsinsel wechselte.

 

Nun also Kollwitz: Was die Künstlerin mit dem scharfen Blick für soziale Verwerfungen wohl selbst von dieser noblen Adresse gehalten hätte? Bisweilen spazierte sie mit ihrem Mann durch den Schlosspark, aber wohnhaft war die Familie des Armenarztes im Prenzlauer Berg, mitten im sozialen Brennpunkt. 52 Jahre lang lebte die Künstlerin in der Weißenburger Straße Ecke Wörther Platz – Straße und Platz sind seit 1947 nach ihr benannt.

 

Verhängte Fenster zur Papier-Schonung

 

Bis 2023 werden Fassaden und Dach des Theaterbaus noch instand gesetzt. Drinnen ist das Kollwitz-Museum zunächst im Parterre untergebracht; 2024 soll es ins erste Obergeschoss wechseln, wo doppelt soviel Fläche wie jetzt zur Verfügung steht. Dann wird es auch Sonderausstellungen geben; es ist also ein Neustart auf Raten. In den früheren Standort an der Fasanenstraße, einer Gründerzeitvilla mit verwinkelten Etagen, ist derweil das Exilmuseum eingezogen. Es soll dort bleiben, bis der geplante Neubau am Anhalter Bahnhof fertig sein wird.

 

Im großzügigen Schau-Saal des Theaterbaus müssen die Fenster allerdings verhängt bleiben, um die empfindlichen Papierarbeiten zu schützen. Kollwitz zeichnete, tuschte und druckte mit großer Experimentierfreude auf weiße Blätter. Wie sie sich dabei von bescheidenen Formaten allmählich an immer anspruchsvollere Bildgrößen heranwagte, zeigt die chronologisch aufgebaute Dauerausstellung in einer Abfolge von offenen Kabinetten.

 

Tabubruch mit Vergewaltigungs-Grafik

 

Ihren Durchbruch im männerdominierten Kunstbetrieb erlebte Kollwitz mit dem Zyklus „Ein Weberaufstand“ (1893/97), inspiriert von Gerhard Hauptmanns Drama. Komplett ausgebreitet, entfaltet die Serie ihre dramaturgische Spannung: Kollwitz greift Schlüsselszenen heraus und setzt auf Emotionalität ohne verstaubte Pathosgesten. Wie ein Paukenschlag folgt im nächsten Raum der Radierzyklus zum „Bauernkrieg“ (1902/08), auch er literarisch inspiriert.

 

Plötzlich herrscht eine andere Wucht; fast expressiv reißen die Kompositionen den Blick mit. Alles konzentriert sich auf wenige Gestalten, das Helldunkel wird schärfer. Im Schein einer Lampe blitzt auf dem nachtschwarzen Schlachtfeld nur das Gesicht eines Gefallenen auf. Tief beugt sich eine Frau zum ihm herab; alles andere versinkt im Dunkel. Dass Kollwitz in diesem Zyklus auch eine Vergewaltigung thematisierte, brach ein Tabu.

 

Zum Block verschmolzene Liebende

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Die erste Generation: Bildhauerinnen der Berliner Moderne" - gute Überblicksschau mit Werken von Käthe Kollwitz im Georg-Kolbe-Museum, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung  "«Entartete Kunst»: Der Berliner Skulpturenfund von 2010" in München, Würzburg + Halle/Saale mit Werken von Emmy Roeder + Marg Moll

 

und hier einen Beitrag über den Film "Lied der Ströme" - poetisch-avantgardistische Agitprop-Dokumentation der internationalen Arbeiterbewegung von Joris Ivens, 1954.

 

Von Anfang an hatte die Künstlerin der Aktdarstellung hohen Stellenwert eingeräumt; dem ist ein eigener Themenraum gewidmet. Mit breiten Kohlestrichen umrissen steht eine „Schwangere“ da; aus ihrem Körper und Gesicht sprechen Müdigkeit, verausgabte Kraft. Ihre erste Plastik nannte Kollwitz „Die Liebenden“: Die beiden Nackten klammern sich im Sitzen aneinander, wie zu einem Block verschmolzen. Da hatte Kollwitz bereits in Paris die Skulpturen von Rodin studiert. Aber die Idee zu dieser Bronzegruppe wurzelte in der großen Radierung „Mutter mit totem Kind“ von 1903: Nackte Körper schmiegen sich mit aller Kraft aneinander, diesmal in einem existenziellen Moment der Verzweiflung.

 

Tod und Liebe: bei Kollwitz sind sie oft untrennbar. Schon im Frühwerk war die Unausweichlichkeit des Sterbens präsent. Mit dem Verlust ihres jüngeren Sohns Peter, der 1914 im Ersten Weltkrieg fiel, wird das Dauerthema übermächtig und kulminiert im Spätwerk der 1930er Jahre. Anders als Otto Dix zeigte Kollwitz auch in ihrem Holzschnittzyklus „Krieg“ nicht das Sterben an der Front – sondern das, was sie kannte: die Verzweiflung der Frauen und Kinder.

 

Zeitloses Anti-Kriegs-Ausrufezeichen

 

Auch ihr berühmtestes Plakat mit dem emphatischen Aufruf „Nie wieder Krieg!“ wird gezeigt: Ein Junge reckt darauf den Arm, in einer Geste wie ein Ausrufezeichen. Das 1924 für den „Mitteldeutschen Jugendtag“ gestaltete Plakat ist von zeitloser Aktualität. Ebenso unter die Haut gehen die Szenen aus dem Prekariat, die Kollwitz für die Satirezeitschrift „Simplicissimus“ festhielt: häusliche Gewalt, ungewollte Schwangerschaft und Kinderelend. Dass diese Blätter bis heute auf Anhieb berühren, liegt an ihrer künstlerischen Meisterschaft. „Ich will wirken in dieser Zeit“, betonte Kollwitz – aber mit dem Anspruch, sich als Künstlerin zu bewähren.