Berlin

Magyar Modern: Ungarische Kunst in Berlin 1910 – 1933

Eva Besnyö: Strandbad Wannsee, 1931. © Eva Besnyö / MAI, Foto: Anja E. Witte
Von Budapest in die Reichshauptstadt: Sie wurde in der Zwischenkriegszeit zum bevorzugten Exil-Ort ungarischer Künstler. Wie präsent diese in allen Sparten von der Malerei über die Fotografie bis zur Architektur waren, zeigt nun die Berlinische Galerie anhand von 200 glänzend inszenierten Werken.

Berlin als Sprungbrett in die westliche Welt: Die 20-jährige Fotografin Éva Besnyö kommt 1930 aus Budapest hierher. Mit der Kamera in der Hand streift sie durch eine Metropole im Umbau. Auf der U-Bahn-Großbaustelle Alexanderplatz beobachtet sie vom Rand der Baugrube aus die Arbeiter. Jungen, die Murmeln spielen, fallen der Fotografin vor einem Hauseingang auf: ein Bild wie aus Emil Kästners Bestseller „Emil und die Detektive“. Der Radrennbahn im Grunewald gibt Besnyö allein durch den gewählten Bildausschnitt einen rasanten Dreh.

 

Info

 

Magyar Modern: Ungarische
Kunst in Berlin 1910 – 1933

 

04.11.2022 - 06.02.2023

täglich außer dienstags 10 bis 18 Uhr

in der Berlinischen Galerie, Alte Jakobstr. 124-128, Berlin

 

Katalog 34,80 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Im Strandbad Wannsee fotografiert sie junge, miteinander verschlungene Sonnenbadende aus nächster Nähe mit fast zärtlichem Blick. Distanzierter hat ihr Landsmann Martin Munkácsi die Badeanzug- und Bubikopfmädels abgelichtet: Als Hausfotograf für Zeitschriften des Ullstein-Verlags belieferte er ein Millionenpublikum – und brachte ihm dabei die Prinzipien des „Neuen Sehens“ nahe. Sie prägen auch die Aufnahmen von Judit Kárász: So fing sie hoch oben auf dem neuen Berliner Funkturm die schwindelerregenden Sicht hinunter in die filigrane Stahlarchitektur ein.

 

Gobelins mit Hammer + Sichel

 

Berlin zog in der Zwischenkriegszeit viele ungarische Künstler magnetisch an, die vor dem autoritären Horthy-Regime in ihrer Heimat flohen. Wie sehr sie den reichshauptstädtischen Kunst- und Medienbetrieb bereicherten, zeigt die Berlinische Galerie in einer breit angelegten Ausstellung mit rund 200 Gemälden, Grafiken, Fotos und Skulpturen. Sogar moderne Gobelins sind zu entdecken: Die Weberin Noémi Ferenczy schmückte 1925 die Randbordüre ihrer „Reisigträgerin“ mit Hammer- und Sichel-Emblemen – ihre Bildteppiche kamen damals bei der Berliner Presse glänzend an.

Interview mit Direktor Thomas Köhler + Impressionen der Ausstellung


 

Austausch von „Sturm“ und „Ma“

 

Ein Fünftel der in der Ausstellung gezeigten 42 Künstler sind Frauen – aber die damaligen Avantgarde-Zirkel wurden, wie überall, von Männern dominiert. Etwa dem hyperaktiven Impresario Herwarth Walden: Er machte seine Galerie „Der Sturm“ und die gleichnamige Zeitschrift zur Bühne für die ungarischen Kunst-Exilanten. Die Schau dokumentiert detailliert, wie Walden und sein ungarischer Sparringspartner Lajos Kassák, der agile Wortführer moderner Kunst in Budapest und später in Wien, sich gegenseitig neu entdeckte Künstler zuspielten.

 

Das lässt sich anschaulich anhand der ausgestellten Titelseiten ihrer Zeitschriften nachvollziehen. Waldens „Sturm“ bot etwa Béla Kádár, Sándor Bortnyik, Lajos d’Ebneth und immer wieder László Moholy-Nagy ein Forum: Expressionisten und Konstruktivisten passten glänzend ins Profil seiner Galerie. Kassák wiederum machte das ungarische Publikum seiner Zeitschrift „Ma“ („Heute“), die von 1916 bis 1925 erschien, mit „Sturm“-Künstlern wie Franz Marc oder Maria Uhden bekannt. In der Ausstellung hängt neben manchen der abgebildeten Kunstwerke nun das Original.

 

Alle Werke schon vor 100 Jahren in Berlin

 

Bei der Werkauswahl ging die Berlinische Galerie in Kooperation mit der ungarischen Nationalgalerie höchst präzise vor: Alle Exponate waren schon damals in Berlin zu sehen, oder sie entstanden an der Spree. Eine echte Wiederentdeckung sind wuchtig-konstruktive Geometrien von Peter László Péri, die er in Linolschnitten oder als Betonreliefs durchdeklinierte. Den ungewöhnlichen Werkstoff Beton verwendete Péri auch für Figürliches, etwa die Skulptur einer lässig Liegenden in kubischen Formen.

 

Den farbintensiv glühenden Gemälden von János Mattis Teutsch sieht man die Wahlverwandtschaft zum expressionistischen Künstlervereinigung „Blauer Reiter“ in München an. Dagegen erinnern die ebenfalls farbsatten und dynamischen Kompositionen von Hugó Scheiber, etwa „Feuerwerk im Lunapark“ (1925) oder „Auf der Straßenbahn“ (1926), an kubo-futuristische Vorbilder in Italien und Russland. In seinem „Selbstbildnis“ (1928/30) porträtierte sich Scheiber fast schon karikaturistisch als massiger Glatzkopf mit dicker Zigarre. Mit einer Galerie verschiedener Selbstporträts wird die Schau eröffnet, um die enorme stilistische Bandbreite der in Berlin lebenden Künstler vorzuführen.

 

Auf Plakaten bricht Revolution aus

 

Ihren ersten großen Auftritt hatten ungarische Kreative hier bereits 1910. Die Secession am Kurfürstendamm räumte für 200 Werke ihrer Gäste das gesamte Ausstellungshaus frei. Zuvor hatte der Kunsthändler Paul Cassirer, damals Erster Vorstand der Secession, persönlich die Ateliers in Budapest inspiziert. Die seinerzeit junge Gruppe der „Acht“ bildet jetzt im ersten Saal den eigentlichen Auftakt der Ausstellung. Ihre an der französischen Moderne geschulten Landschaften, Blumenstillleben und Akte wirken reichlich gediegen.

 

Schon im nächsten Raum bricht die Revolution aus. „Fegyverbe!“ („Zu den Waffen!“), schreit ein rotschwarzes Riesenplakat 1919 – entworfen von Róbert Berény, der zuvor noch á la Cézanne subtile Farbtonwerte gepinselt hatte. Martialisch muskelbepackte Arbeitergestalten stürmen voran: Die Monarchie wird vom Thron gekickt, das Parlament rot angepinselt und die Kommunistenfahne über Fabriken geschwungen.

 

Nach 1933 Exodus in die USA

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Eva Besnyö – Fotografin 1910-2003" - große Retrospektive der  ungarischen Fotokünstlerin in der Berlinischen Galerie, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung  "Der Sturm – Zentrum der Avantgarde" über die Berliner Galerie von Herwarth Walden mit Werken ungarischer Künstler im Von der Heydt-Museum, Wuppertal

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Martin Munkacsi: Think while you shoot" - gute Präsentation von Arbeiten des ungarischen Fotografen im Kunstfoyer der Versicherungskammer Bayern, München

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Marcel Breuer: Design und Architektur" – umfassende Werkschau des ungarisch-amerikanischen Architekten im Bauhaus Dessau.

 

Solche Plakate waren das Propaganda-Medium der Räterepublik ab März 1919 in Ungarn. Im Spätsommer wurde die Regierung unter Béla Kun von konterrevolutionären Truppen gestürzt, im November übernahm Militärdiktator Miklós Horthy die Macht. Alle gesellschaftlichen Aufbruchsutopien waren erledigt, aufflammender Antisemitismus kam hinzu: Links stehende Künstler setzten sich ins Ausland ab, meist nach Berlin.

 

Dass diese Zuflucht nur 13 Jahre später nach Hitlers Machtergreifung kein sicherer Ort mehr war, macht der letzte Raum klar. Als Pressefotograf hielt Martin Munkácsi fest, wie sich auf dem Tempelhofer Feld zehntausende Arme zum „Deutschen Gruß“ in den Himmel recken. Für Avantgarde-Experimente, etwa einen abstrakten Film von Bauhaus-Dozent László Moholy-Nagy, gab es nun keine Freiräume mehr: Er emigrierte in die USA. Die Karikaturistin Jolán Szilágyi hatte schon 1932 das politische Grauen kommen sehen: Auf ihrer Zeichnung verarbeitet ein Fleischwolf Hakenkreuze zu eisernen Ketten.  

 

Drei Theater von Oskar Kaufmann

 

Wie manche Ungarn, die nun erneut zur Migration gezwungen wurden, Berlin auch architektonisch mitgestaltet hatten, ist weitgehend in Vergessenheit geraten. So entwarf Fred Forbát, zuvor Mitarbeiter von Bauhaus-Chef Walter Gropius, das heute denkmalgeschützte Mommsenstadion am Messegelände. In Stadtteil Haselhorst realisierte Forbát Hunderte von zweckmäßigen und kostengünstigen Wohnungen.

 

Marcel Breuer, auch er gebürtiger Ungar, stattete eher eine gehobene Klientel aus: Mit seinen Stahlrohrmöbeln richtete sich 1927 der berühmte Theaterregisseur Erwin Piscator ein, wie Zeitschriftenfotos dokumentieren. Die Vergnügungstempel von Breuers Landsmann Oskar Kaufmann erfreuen hingegen Berlins Theaterpublikum noch immer: Das Hebbel-Theater, das Renaissance-Theater und die Volksbühne tragen seine architektonische Handschrift.