Léa Seydoux

An einem schönen Morgen

Sandra (Léa Seydoux) umgarnt ihren Liebhaber Clément (Melvil Poupaud). Foto: © Les Films Pelléas
(Kino-Start: 8.12.) Eine Frau zwischen zwei Männern: Ihr Vater wird bald sterben, mit einem alten Freund bahnt sich eine Liebesbeziehung an. Daraus macht Regisseurin Mia Hansen-Løve eine feinfühlige Reflexion über Liebe und Verlust – mit einer aufregend alltäglichen Léa Seydoux in der Hauptrolle.

Sandra gibt alles – jederzeit. Ob als Mutter oder Tochter, in der Liebe wie im Beruf: Ihre Fürsorge und Zuneigung kennen keine Grenzen. Ständig ist sie in Bewegung, läuft zu Fuß durch die Stadt und kümmert sich darum, dies oder jenes zu organisieren. Erst bringt sie ihrem kranken Vater Georg (Pascal Greggory) das Mittagessen, dann holt sie ihre achtjährige Tochter Linn (Camille Leban Martins) von der Schule ab. Dazwischen arbeitet sie als Übersetzerin.

 

Info

 

An einem schönen Morgen

 

Regie: Mia Hansen-Løve,

113 Min., Frnkreich/ Deutschland 2022;

mit: Léa Seydoux, Pascal Greggory, Melvil Poupaud

 

Weitere Informationen zum Film

 

Léa Seydoux spielt diese Frau, deren Mann vor fünf Jahren viel zu früh verstorben ist. Und sie verkörpert sie so gut, dass man Seydoux’ andere Rollen etwa als französisches Bond-Girl oder Actionfilm-Star einfach vergisst. Nur im Sweater oder T-Shirt und ganz ohne Make-up kommt sie daher – mit kurzen Haaren und großem Herzen. Sandra ist eine Pragmatikerin, die ihre eigenen Gefühle tief unter der blassen Haut trägt, weil sie offenbar nur so ihr Leben bewältigen kann.

 

Freundschaft Plus mit Verheiratetem

 

Den langsamen Verfall ihres Vaters erträgt sie nur schwer. Der frühere Philosophieprofessor leidet an einer seltenen Form von Demenz, die ihn zusehends zum Pflegefall macht. Zwar verschafft Sandra ein Wiedersehen mit ihrem alten Freund Clément (Melvil Poupaud) zur gleichen Zeit ein bisschen Zuneigung und Sex. Aber eine glückliche Beziehung gönnt ihr Regisseurin Mia Hansen-Løve mit ihm nicht: Clément ist verheiratet und hat ein Kind.

Offizieller Filmtrailer


 

Von Fårö ins Pariser Großstadtmilieu

 

Stattdessen stellt die Regisseurin ihre Protagonistin vor die Frage: Was passiert, wenn man einen Menschen verliert und gleichzeitig einen anderen gewinnt? Plötzlich muss sich Sandra mit zwei Männern auseinandersetzen, die ihr beide viel bedeuten, die sie aber auch emotional enorm herausfordern. Die fortschreitende Krankheit raubt Georg sein Gedächtnis und Augenlicht; deshalb muss er ins Heim. Dagegen verhält sich Sandra gegenüber Clément wie eine Frau, die überzeugt schien, dass ihr Liebesleben für immer vorbei sei, bevor ihre Romanze begonnen hat.

 

Nach ihrem ersten englischsprachigen Film „Bergman Island“ (2020), der auf der schwedischen Insel Fårö spielte, ist Hansen-Løve wieder ins Pariser Großstadtmilieu zurückgekehrt. Und man spürt sofort, wie sehr sie hier zuhause ist. Etliches in diesem Film wirkt leicht und vertraut, obwohl Hansen-Løve mit großen Themen wie Liebe und Verlust, Leben und Tod jongliert; etwa der Trauer um jemanden, der noch am Leben ist, und das fragile Glück einer Affäre, aus der irgendwann mehr werden könnte. Vielleicht, vielleicht auch nicht.

 

Altern als Problem für Autorenfilmer

 

Nichts ist daran neu oder originell, und doch findet die Regisseurin kleine Momente der Wahrheit, die berühren. Seine Überzeugungskraft gewinnt der Film aus der Traurigkeit in Sandras Augen, ihrer Sehnsucht und der Authentizität, mit der Seydoux ihre Figur durch ihr bildungsbürgerliches Leben gleiten lässt. Sie verleiht jeder Szene einen zarten Sinn für das Vergangene und Gewesene, all die gelebten Gefühle und Momente des Glücks.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Bergman Island" - Beziehungschronik auf der Insel Fårö von Mia Hansen-Løve

 

und hier eine Besprechung des Films "Alles was kommt – L’Avenir" – vielschichtiges Porträt einer Philosophie-Lehrerin mit Isabelle Huppert von Mia Hansen-Løve

 

und hier einen Bericht über den Films "Alles ist gut gegangen" - eindringliche Reflexion über Sterbehilfe von François Ozon

 

und hier einen Beitrag über den Film "France" - Satire über den zeitgenössischen Medienbetrieb von Bruno Dumont mit Léa Seydoux.

 

In jüngster Zeit haben sich einige französische Filmemacher mit den Folgen des Älterwerdens der eigenen Eltern befasst und über das Lebensende philosophiert. François Ozon hat sich in dem berührenden Vater-Tochter-Drama „Alles ist gut gegangen“ (2021) unlängst mit dem Thema Sterbehilfe auseinandergesetzt; Florian Zeller in „The Father“ (2020) mit den Schwierigkeiten von Demenz im Alter. Für die Titelfigur erhielt Anthony Hopkins 2021 den Oscar für den besten Hauptdarsteller.

 

„Einfach zeigen, dass du da bist“

 

Daran schließt Hansen-Løve an; wie viele ihrer Filme ist auch „An einem schönen Morgen“ autobiographisch eingefärbt. Sie hat ein Gespür dafür, Figuren zu erschaffen, die auf den ersten Blick oberflächlich oder unerheblich erscheinen, aber tiefe Details und Einblicke in ihre Lebensweise geben. Doch es ist nicht ihre Art, Emotionen allzu sehr auszubreiten. Lieber erschafft die Regisseurin Situationen, vermittelt Informationen darüber und lässt das Publikum seine eigenen Schlüsse ziehen.

 

Etwa mit einem Auftritt von Jacqueline, der 98-jährigen Großmutter der Regisseurin, im Film. „Man darf nicht zulassen, dass die Leute Mitleid haben“, sagt sie in einer kurzen, aber eindrucksvollen Szene am Küchentisch: „Du musst einfach zeigen, dass du da bist.“ Ähnliches Selbstvertrauen in ihr Handeln beweist auch die Regisseurin mit jeder Einstellung, in jedem Augenblick. Ihr Film mag flüchtig wirken, doch er hallt lange nach.