Luca Marinelli

Acht Berge

Bruno (Alessandro Borghi) und Pietro (Luca Marinelli) am Lagerfeuer. Foto: © 2022 DCM
(Kinostart: 12.1.) Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt: Das belgische Regieduo Felix van Groeningen und Charlotte Vandermeersch feiert die innige Freundschaft zweier Männer in der alpinen Bergwelt – mit einem überambitioniertem Heimatfilm samt Folkpop-Zuckerguss.

Die Sommer seiner Kindheit verbringt Pietro (Luca Marinelli), der Sohn eines Turiner Ingenieurs und einer Lehrerin, in der Abgeschiedenheit der italienischen Alpen. Hier ist der gleichaltrige Bruno (Alessandro Borghi) das einzige andere Kind im Dorf, das allmählich von seinen Einwohnern verlassen wird. Im Gegensatz zu Pietro, der mit den Feriengästen die Berglandschaft am Ende des Sommers wieder verlässt, ist Bruno in dieser Welt verwurzelt.

 

Info

 

Acht Berge

 

Regie: Felix van Groeningen +
Charlotte Vandermeersch,

147 Min., Italien/ Belgien 2022;

mit: Luca Marinelli, Alessandro Borghi, Filippo Timi, Elena Lietti 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Von klein auf muss er in der bescheidenen Landwirtschaft der Familie arbeiten. Das nervt ihn bisweilen, verhilft ihm aber auch zu reichem praktischen Alltagswissen. Zwischen den beiden Jungen entwickelt sich schnell eine tiefe, wortkarge Freundschaft, die ein Leben lang halten wird. Von ihr erzählt „Acht Berge“ – im für aktuelle Sehgewohnheiten ungewohnten 4:3-Format. In der Enge der Bilder finden die Einschränkungen, die ein Leben als Bergbewohner mit sich bringt, ebenso wie die verstockte Schweigsamkeit der beiden Protagonisten ihre Entsprechung.

 

Distanzierte Regie

 

Streng chronologisch, von Pietros Kommentar aus dem Off sparsam begleitet, erzählt der Film ihre aufeinander bezogenen Leben: Auf unbeschwerte Kindertage mit Erkundungen der Umgebung, Klettern und Baden in Bergseen folgen erste Revolten gegen die Eltern, eine Zeit der Trennung und schließlich das Wiederzusammenfinden nach vielen Jahren. All das registriert das Regieduo Felix van Groeningen und Charlotte Vandermeersch mit fast ehrfürchtigem Abstand – unter weitgehendem Verzicht darauf, die Suche der beiden Männer nach dem richtigen Platz im Leben einer erkennbaren Dramaturgie unterzuordnen.

Offizieller Filmtrailer


 

Ein gemeinsames Haus

 

Über weite Strecken reicht dieser Naturalismus aus, um die unterschiedlichen Wege aufzuzeigen, die Pietro und Bruno einschlagen. Szenen eines zufälligen Wiedersehens, als der Städter und werdende Weltenbummler gerade anfängt zu studieren und der Bergbewohner als Maurer mit seiner Brigade eine Runde Feierabendbier bestellt, wirken überzeugend – allein durch kleine Gesten.

 

Ebenso die Art und Weise, in der die Freunde beim gemeinsamen Bau eines Hauses neu zusammenfinden. Während sie mit einfachsten Mitteln ohne zivilisatorische Annehmlichkeiten vorgehen, ersteht die zwischenzeitlich verlorene Nähe mit jedem Mauerstein wieder auf. Bruno hat Pietros Vater versprochen, dieses Haus zu bauen – zunächst für Pietro, der das Grundstück von seinem Vater geerbt hat. Doch im Laufe des Errichtung beschließt Pietro, dass es ihr gemeinsames Haus werden soll. In diesen Szenen – und bei der spröden Darstellung der majestätischen Bergwelt – hat der Film seine starken Momente.

 

Folkpop für die Tränendrüsen

 

Dann jedoch geben die Filmemacher ihre gestalterische Zurückhaltung auf und überfrachten Szenen, die emotionale Zustände der Männerseelen unterstreichen sollen, hemmungslos mit Folkpop für die Tränendrüsen. Das hat bei van Groeningens Musiker-, Leukämie- und Familiendrama „The Broken Circle“ von 2012 vortrefflich funktioniert – und ihm unter anderem den Publikumspreis der Berlinale eingebracht. War dort die Musik jedoch durch Live-Performances der Charaktere tief in der Erzählung verankert, wirkt sie hier – in einem Film, der ansonsten so gut wie ohne Musik auskommt – wie ein Fremdkörper.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Beautiful Boy" - Familien-Drama über Drogensucht von Felix van Groeningen

 

und hier eine Besprechung des Films "Café Belgica" - eindrucksvolles Nachtclub-Drama von Felix van Groeningen

 

und hier einen Bericht über den Film "Martin Eden" – faszinierend originelle Verfilmung des Aufsteiger-Romans von Jack London durch Pietro Marcello mit Luca Marinelli

 

und hier einen Beitrag über den Film „The Broken Circle“ – bewegendes Melodram über eine belgische Bluegrass-Band von Felix van Groeningen.

 

Ähnlich willkürlich eingestreut erscheint die Legende von den acht Bergen, die dem Film – wie auch dem zugrunde liegenden Roman von Paolo Cognetti – den Titel gibt. Denn sie bezieht sich mitnichten auf das Monte-Rosa-Massiv in den Walliser Alpen, wo die Handlung angesiedelt ist. Vielmehr stammt sie aus Nepal; von dort bringt Pietro sie von seiner Wanderschaft mit nach Hause. In der Legende geht es um die Frage nach dem erfüllteren Leben: für denjenigen, der den höchsten Berg in der Mitte des Erdkreises bezwingt, oder denjenigen, der die anderen acht Gipfel erklimmt, die ihn umgeben?

 

Große Gefühle in majestätischer Kulisse

 

Soll man also – wie Bruno es tut – in seinem Heimatort bleiben und sich mit dem bescheiden, was einem durch Herkunft gegeben ist, auch wenn das unter den heutigen ökonomischen Zwängen wenig aussichtsreich erscheint? Oder ist es besser, wie Pietro in die Welt hinauszugehen und zu versuchen, sie für sich zu gewinnen?

 

Viel wichtiger als diese kaum beantwortbare Frage ist dann jedoch die Intensität der geschilderten Freundschaft. Als Bruno in mehrfacher Hinsicht in existenzielle Not gerät, versteht es sich von selbst, dass Pietro umgehend vom anderen Ende des Planeten heimkehrt, um ihm beizustehen. Seine Seelengröße verleiht dem doch eher kargen Stochern nach dem richtigen Leben dann immerhin eine gewisse Erhabenheit; sie passt trefflich ins Bergpanorama eines insgesamt überambitionierten Heimatfilms.