Alex Schaad

Aus meiner Haut

Fabienne (Maryam Zaree), Mo (Dimitrij Schaad),Tristan (Jonas Dassler), Leyla (Mala Emde) und Stella (Edgar Selge, vorne) besprechen, wie es weiter gehen soll. Foto: AMH Walker Worm xverleih
(Kinostart: 2.2.) Science Fiction auf zwischenmenschlicher Ebene: Regisseur Alex Schaad zeigt in seinem Gedankenspiel, was passieren könnte, wenn der Geist von Individuen in andere Körper schlüpft – mit dem Fazit: Verliere deine Seele, um sie zu gewinnen, und gib sie weg, um sie wiederzufinden.

Ich denke, also bin ich. Mit diesem vielzitierten Satz beschrieb der Philosoph René Descartes Mitte des 17. Jahrhunderts den Geist als zentrale Instanz menschlicher Existenz und stellte ihn damit über den Körper. Die These suggeriert, Denken sei eine Angelegenheit des Kopfes, während der Körper nichts anderes als eine Maschine sei, die von jenem Kopf gesteuert wird. Daraus zu folgern, Geist und Körper seien getrennt, wäre jedoch ein Missverständnis: Beide sind zwei sich bedingende Einheiten, die ohne einander nicht auskommen. Doch was wäre, wenn der Geist sich wirklich vom Körper trennen ließe?

 

Info

 

Aus meiner Haut 

 

Regie: Alex Schaad,

93 Min., Deutschland 2022;

mit: Mala Emde, Jonas Dassler, Maryam Zaree

 

Weitere Informationen zum Film

 

In seinem Film nimmt sich der Regisseur Alex Schaad dieser Frage an – und lässt „Aus meiner Haut“ da beginnen, wo sich Innen und Außen auch in der Wirklichkeit seltsam vermischen: im Wasser. Darin schwimmt eine Frau; mit weit aufgerissenen Augen sinkt sie hinab, immer tiefer hinein in den Ozean. Bläschen blubbern aus ihrem Mund nach oben, wo diffus die Sonne schimmert. Wie das Licht am Ende eines Tunnels. Schnitt.

 

Nur geträumt

 

Die Frau, die gerade noch zu ertrinken schien, hat nur geträumt. Sie heißt Leyla (Mala Emde) und wacht jetzt auf dem Schoß ihres Partners Tristan (Jonas Dassler) auf. Die beiden sitzen auf der Bank an Bord eines Schiffs, das sie auf eine Insel bringt: an einen Ort, der bedrohlich, aber auch hoffnungsvoll wirkt – wie eben jener Traum, der Leyla seit einigen Monaten heimsucht.

Offizieller Filmtrailer


 

Körpertausch, paarweise

 

Als sie ankommen, wird das junge Paar von Leylas Jugendfreundin Stella begrüßt. Stella ist eine Frau in ihren Dreißigern, erscheint aber als Mann (Edgar Selge): Sein Körper gehört eigentlich zu ihrem Vater. Wie sie erzählt, hat sie sich im eigenen weiblichen Körper nicht glücklich gefühlt – sie hat sich den Körper ihres Vaters gewünscht. Um einen solchen Körpertausch selbst auszuprobieren, sind Tristan und Leyla zusammen mit anderen Paaren angereist; sie sollen mit dem Körper eines fremden Menschen, der ihnen per Los zugeteilt wird, tauschen. Paartausch im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Abends am festlichen Dinner-Tisch werden Leyla und Tristan zwei Personen zugewiesen, die scheinbar gar nicht zu ihnen passen. Fabienne (Maryam Zaree) ist im Gegensatz zur depressiven Leyla extrovertiert und gut gelaunt, Mo (Dimitrij Schaad) ist exzentrisch und redet – anders als der introvertierte Tristan – pausenlos. Als die vier am nächsten Morgen aus dem haushohen Zelt treten, wo das Tauschritual ohne nähere Erläuterung stattgefunden hat, finden sie sich in ihren neuen Körpern wieder. Leyla – beziehungsweise das, was Descartes ihren Geist nennen würde – befindet sich im Körper von Fabienne, Tristan in dem von Mo – und umgekehrt.

 

Science Fiction, zwischenmenschlich

 

Leyla ist wie ausgewechselt, joggt freudig durch die Gegend und tanzt mit ihrer alten Freundin Stella. Derweil plagt sich Tristan in Mo’s Macho-Körper mit Selbstzweifeln. Während er so schnell wie möglich wieder zurück in den eigenen Körper möchte, würde Leyla am liebsten Fabiennes Körper behalten. Ihr verzweifelter Wunsch, nicht mehr in ihr altes „Ich“ zurückzukehren und stattdessen andere, auch männliche, Körper auszuprobieren prägt die zweite Hälfte des Films.

 

Hintergrund

 

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All das inszeniert der Gewinner des Studenten-Oscars 2016 ziemlich unaufgeregt. Die Dramatik entlädt sich nicht in bei Science-Fiction üblichen Materialschlachten, sondern auf zwischenmenschlicher Ebene. Statt sich in futuristischen Bildern oder spektakulären Effekten zu verlieren, bleiben Regie und Kamera so nah an den Figuren, dass die Welt um sie herum nicht mehr zu existieren scheint. Zudem bleiben Erklärungen, wann die Geschichte spielt, wie die Welt außerhalb der Insel aussieht und wie das mit dem Körpertausch genau funktioniert, völlig aus.

 

Bewusstsein hinkt Technik hinterher

 

Dass der Film dennoch streckenweise so packend wie ein Sci-Fi-Thriller ist, liegt am überzeugenden Agieren der Schauspieler, denen Schaad nicht wenig abverlangt. Während sich Edgar Selge authentisch dem Wesen der in ihm steckenden, eigentlich 30 Jahre jüngeren Frau annähert, gelingt es Mala Emde, ihrer Figur drei sehr verschiedene Rollen abzuringen, die zwischen Verzweiflung, Depression und Euphorie pendeln.

 

Das ist Science Fiction, die von etwas erzählt, was sonst häufig im Effektgewitter verloren geht: Technischer Fortschritt geht oft nicht einher mit der mentalen Verfassung derer, die ihn nutzen. Der Philosoph Michel Serres schreibt 1993 in seinem Dualismus-kritischen Buch „Die fünf Sinne“ einen Satz, der sich auch als Motto eignen würde: „Verliere deine Seele, um sie zu gewinnen: gib sie weg, um sie wiederzufinden.“