
Es schlägt 14 Uhr auf der fiktiven irischen Insel Inisherin im Jahre 1923: Einige Kühe und Schafe grasen, ein Mann geht spazieren, der Pub öffnet seine Pforten. Sonnenschein taucht die idyllische Landschaft in perfektes Licht, und hinter dem satten Grün der Wiesen rauscht das Meer. Alles wirkt irgendwie ruhig und vertraut – aber zugleich auch unberechenbar und seltsam: So wie das Meiste in diesem Film. Das gilt vor allem für die Menschen.
Info
The Banshees of Inisherin
Regie: Martin McDonagh,
114 Min., Irland/ USA 2022;
mit: Colin Farrell, Brendan Gleeson, Kerry Condon, Barry Keoghan
Weitere Informationen zum Film
Besser komponieren als reden
Colm wohnt in einem Haus direkt am Strand. Pádraic klopft an der Holztür und ruft, doch Colm antwortet nicht. Er sitzt nur da im staubigen Zwielicht und raucht. Pádraic kehrt verdutzt zurück zum Pub. Dort erfährt er, dass Colm ihn nicht mehr leiden kann. Pádraic gehe ihm mit seinem Gerede auf die Nerven, sagt Colm, und stehle ihm die Zeit, um wichtigeren Dingen nachzugehen: etwa neue Stücke auf der Geige zu schreiben oder nachzudenken.
Offizieller Filmtrailer
Lächeln gefriert zur Fratze
Pádraic hat wenig für Musik oder Lektüre übrig; daher klingt Colms Begründung zwar grob, aber plausibel. Warum Colm jedoch bald immer weiter geht, um Pádraics zunächst noch liebenswürdige Annäherungsversuche zu unterbinden und sogar damit droht, sich einen Finger abzuschneiden, falls er noch einmal von seinem früheren Freund angesprochen werde, bleibt ein Rätsel – bis zum Schluss.
Bei der Besetzung seiner beiden Protagonisten greift der irische Regisseur Martin McDonagh auf ein bewährtes Team zurück. Farrell und Gleeson spielten bereits in seinem Debütfilm „Brügge sehen und sterben“ ein ungleiches Duo; diese Krimikomödie voller schwarzem Humor war 2008 ein Überraschungserfolg. Ging es in ihr noch durchgehend witzig zu, verändern sich in „The Banshees of Inisherin“ die zuerst noch lustigen Dialoge zusehends zu galligen Wortgefechten – wie ein Lächeln, das zur Fratze gefriert.
Irischer Bürgerkrieg in Sichtweite
Das Schweigen zwischen den ehemaligen Freunden erzeugt eine merkwürdige Grundspannung; womöglich lässt sich leichter beschreiben, was nicht gesagt und nicht gezeigt wird, als das, was man sieht und hört. Denn hinter der vermeintlichen Insel-Idylle lauern Verzweiflung, Melancholie und auch Gewalt.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Three Billboards outside Ebbing, Missouri" – schwarzhumoriges US-Outsider-Drama von Martin McDonagh, mit zwei Oscars prämiert
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und hier einen Beitrag über den Film "The Guard - Ein Ire sieht schwarz" – schwarzhumorige Krimi-Komödie von John Michael McDonagh mit Brendan Gleeson.
Allmählich aus den Fugen geraten
Überhaupt lebt die Handlung von ihrer langsamen, aber unaufhörlichen Entwicklung ins Tragische, das bedrohlich vor sich hin köchelt. Fröhliche Unterhaltungen kippen um in schwermütige; ein ausgelassener Folksong, der im Pub erklingt, kontrastiert mit Einstellungen, die melancholisch dreinblickende Gäste zeigen. In Farells unschuldig treuherzigem und Gleesons verbittertem Gesicht zeichnet sich unbestimmte Verzweiflung ab.
Wie in seinem mit zwei Oscars prämierten Vorgängerfilm „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ (2017) gelingt es Regisseur McDonagh hervorragend, von der conditio humana zu erzählen, ohne dabei viel zu psychologisieren oder politisieren. Der Krieg auf dem Festland steht als Metapher für eine Welt, die ebenso auf der Insel wegen vermeintlicher Kleinigkeiten aus den Fugen geraten ist: Sprachlosigkeit durch falschen Stolz, unterdrückte Emotionen, häusliche Gewalt, fatale Auswirkungen der allgegenwärtigen sozialen Kontrolle im Dorf. Und alles, was dazwischen liegt.