Snow Hnin Ei Hlaing

Midwives

Die Lehrerin Hla und ihr Lehrling Nyo Nyo bei einem buddhistischen Ritual - sie schenken das Licht Buddha im Himmel. Foto: jip film & verleih
(Kinostart: 26.1.) Laut UN wird keine Minderheit weltweit stärker diskriminiert als die muslimischen Rohingya in Myanmar. Ihre Lebensbedingungen sind erstmals im Kino zu sehen – Regisseurin Snow Hnin Ei Hlaing beobachtet sensibel und differenziert zwei Frauen im ländlichen Gesundheitswesen.

Midwives ist das englische Wort für Hebammen – eine Berufsgruppe, ohne die kein Mensch auf die Welt kommt. Wie das geschieht, zeigt der Auftakt in ungeschönter Deutlichkeit; ein kräftiger Junge wird geboren. Seine Nabelschnur trennt Hla ab: Die resolute Frau arbeitet nicht nur als Geburtshelferin, sondern auch als De-facto-Landärztin. Zu ihr kommt die Bevölkerung der umliegenden Dörfer bei allen gesundheitlichen Problemen – von Schlaflosigkeit bis Typhus.

 

Info

 

Midwives 

 

Regie: Snow Hnin Ei Hlaing,

92 Min., Myanmar/ Kanada/ Deutschland 2022;

mit: Hla, Nyo Nyo, Kyaw Kyaw

 

Weitere Informationen zum Film

 

Die meisten Patienten zählen zur muslimischen Rohingya-Minderheit im Rakhaing-Staat, der westlichsten Region im südostasiatischen Vielvölkerstaat Myanmar. Dagegen gehört Hla der buddhistischen Rakhaing-Mehrheit an, die in dieser Provinz den Ton angibt. Doch sie behandelt nicht nur alle Hilfesuchenden ungeachtet ihrer Ethnie – sie beschäftigt auch die Muslimin Nyo Nyo als Auszubildende.

 

„Kalar sind wie Kühe“

 

Der Umgangston zwischen beiden Frauen ist mal herzlich, mal rustikal bis rau. Wenn Hla mit Nyo Nyo unzufrieden ist, hält sie ihr vor, schlampig, faul oder geldgierig zu sein. „Kalar sind wie Kühe, man kann ihnen nichts beibringen“, zetert Hla. „Kalar“ bedeutet „Dunkelhäutige“: ein Schimpfwort für Rohingya, obwohl ihre Hautfarbe derjenigen der Rakhaing gleicht. Allenfalls ähneln die Rohingya den Bengalen in Bangladesh, mit denen sie ethnisch verwandt sind, während die Rakhaing malaiisch geschnittene Gesichtszüge aufweisen.

Offizieller Filmtrailer


 

Mörderische Militäroperation 2017

 

Beleidigungen ihrer Chefin steckt Nyo Nyo wortlos weg; sie ist weit schlimmere gewohnt. Im Fernsehen trällern Schlagersänger nationalistische Propaganda-Lieder, die den Rakhaing-Staat allein für das Titular-Volk beanspruchen und Verwünschungen gegen die Rohingya ausstoßen. Das tun auch Demonstranten auf der Dorfstraße; sie wollen „muslimische Terroristen“ vertreiben und diejenigen, die sie unterstützen, gleich mit.

 

Damit sind Personen wie Hla gemeint; um sie einzuschüchtern, verbreiten Rakhaing-Chauvinisten Gräuel-Gerüchte. 2017 wurde aus Drohgebärden blutiger Ernst: Das Militär von Myanmar brannte etliche Rohingya-Dörfer nieder und tötete deren Bewohner. Mehr als eine halbe Million floh ins benachbarte Bangladesh. Damals kampierte Nyo Nyo auf Reisfeldern, um der Verfolgung zu entgehen. Inzwischen herrscht wieder prekäre Normalität: Die Rohingya besitzen keine Staatsbürgerschaft und dürfen keine Schulen besuchen. Daher bringen Nyo Nyo und ihr Mann den Dorfkindern zumindest Lesen und Schreiben bei.

 

Heilkünste-Praxis plus Krämerladen

 

Doch die politische Lage bleibt angespannt: Zeitweise liefern sich Rakhaing-Separatisten mit der Armee von Myanmar Gefechte – das Artilleriefeuer nehmen die Dörfler achselzuckend hin. Im Februar 2021 putscht das Militär unter General Min Aung Hlaing gegen die regulär gewählte Parlamentsmehrheit der „Nationalen Liga für Demokratie“ (NLD) und inhaftiert Regierungschefin Aung San Suu Kyi. Bei Protesten gegen den Coup werden mehr als 1000 Menschen erschossen und mehr als 10.000 ins Gefängnis geworfen. Davon erfährt Nyo Nyo bei Telefonaten mit ihrer Schwester, die in der Metropole Rangun lebt.

 

Eigentlich war es ihr Traum, selbst dorthin zu ziehen und das öde Landleben hinter sich zu lassen. Doch dann wurde sie zum zweiten Mal schwanger. Also kratzten Nyo Nyo und ihr Mann alle Ersparnisse zusammen, um an ihr Haus eine „Klinik“ anzubauen, in der sie nun ihre Heilkünste ausübt. Da sie genug Platz hat, bietet sie auch noch allerlei Waren des täglichen Bedarfs an: Die Erlöse von Praxis plus Krämerladen ernähren ihre Familie.

 

Sechs Jahre lang von Haft bedroht

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Dust of Modern Life" - einfühlsame Doku über die ethnische Sedang-Minderheit in Mittelvietnam von Franziska von Stenglin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Myanmar - Von Pagoden, Longyis und Nat-Geistern" - anschauliche Überblicksschau über traditionelle Kulturen des südostasiatischen Vielvölkerstaats im Museum Fünf Kontinente, München

 

und hier einen Beitrag über den Film "The Lady - Ein geteiltes Herz" – Biopic über Friedens-Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi in Myanmar von Luc Besson 

 

und hier einen Bericht über den Film "Das Fieber – Der Kampf gegen Malaria" - Doku über alternative Heilmethoden in Ostafrika von Katharina Weingartner.

 

In dieser Hinsicht ist auch ihre Mentorin Hla nicht zimperlich. Als die Provinzregierung aus „Sicherheitsgründen“ einmal mehr die Schließung aller Schulen und Kliniken anordnet, sattelt Hla flugs um: Sie kauft en gros Wassereis ein, das von Rohingya-Männern auf Fahrrädern en detail in den Dörfern verhökert wird, und verwandelt ihre Klinik in ein Fischgeschäft – solange, bis sie wieder praktizieren darf.

 

Wie solch pragmatische Flexibilität das Zusammenleben von Mehrheit und Minderheit trotz aller Widrigkeiten halbwegs möglich macht, fängt Regisseurin Snow Hnin Ei Hlaing in aussagekräftigen Szenen ein. Mit viel Geduld und hohem Risiko: Sechs Jahre lang besuchten sie und ihr Kameramann regelmäßig beide Protagonistinnen. Wären sie mit ihrer Ausrüstung vom Militär aufgegriffen worden, hätte ihnen das eine Haftstrafe eingebracht.

 

Duldung, Diskriminierung + Dorfleben

 

Die ausdauernde Undercover-Recherche hat sich gelohnt: Der Film dokumentiert sehr differenziert die Gemengelage aus Duldung und Diskriminierung, mit der die Rohingya zurecht kommen müssen. Ohne Parteinahme, nur durch Beobachtung und Selbstaussagen der Betroffenen, ergänzt um ein paar Archivbilder über die Militärdiktatur in Myanmar. Zugleich bietet die Regisseurin unprätentiös anschauliche Einblicke in den Alltag eines südostasiatischen Reisbauern-Dorfes – ein kleines Meisterwerk.