Samir Nasr

Sharaf

Sharaf Ahmed (Ahmed Al Munirawi) zusammen mit Mitinhaftierten bei einer Desinfektionsaktion. Foto: barnsteiner-film
(Kinostart: 26.1.) Ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet: So gerät ein junger Ägypter in die Mühlen der Justiz. Das ausgezeichnet inszenierte und gespielte Gefängnisdrama von Regisseur Samir Nasr zeigt am Beispiel dieses Mikrokosmos die Mechanismen nahöstlicher Diktaturen.

Irgendwann in einem ungenannten Maghreb-Staat wird der junge Sharaf (Ahmed Al Munirawi) verhaftet. Er hat ungewollt einen Ausländer getötet, als er „seine Ehre verteidigen“ wollte, wie er es nennt. Unter Folter und der Androhung, auch seiner Schwester Gewalt anzutun, erpresst die Polizei ein Geständnis, und Sharaf landet im Gefängnis. Ihn erwartet ein Prozess und möglicherweise die Todesstrafe.

 

Info

 

Sharaf

 

Regie: Samir Nasr,

95 Min., Tunesien/ Frankreich/ Deutschland 2022;

mit: Ahmed Al Munirawi, Fadi Abi Samra, Jala Hesham

 

Weitere Informationen zum Film

 

Zunächst landet er im Trakt der „Staatlichen“, wo sich viele Männer eine Zelle teilen und er bald schon wieder seine Ehre verteidigen muss. Als er die wohlwollende Aufmerksamkeit des Gefängnisvorstehers weckt, verschafft der ihm einen Platz im Trakt der „Königlichen“: Hier erhalten die besser gestellten Insassen das Essen von der eigenen Familie geliefert, und das Knastleben lässt sich einigermaßen aushalten.

 

Hölle ohne Entrinnen

 

Doch sein Rang unter den Königlichen hat einen Preis: Sharaf soll für den Vorsteher seine Mitgefangenen ausspionieren, was ihn bald in Gewissenskonflikte bringt. Währenddessen geht seine Beziehung mit Hoda (Jala Hesham) in die Brüche, und der Anwalt, den sich seine Familie kaum leisten kann, taucht niemals auf. Bald sieht es so aus, als sei Sharaf in einer Hölle angekommen, aus der es kein Entrinnen gibt. Damit endet der weitgehend düstere Film von Samir Nasr, nur aufgehellt von einem schwachen Lichtstrahl der Hoffnung.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Herrscher, Beherrschte + Strippenzieher

 

„Sharaf“ basiert auf einem 1997 veröffentlichten Roman des ägyptischen Autoren Sonallah Ibrahim; er hatte unter der Regierung von Gamal Abdel Nasser (1952-1970) von 1959 an selbst fünf Jahre im Gefängnis gesessen. Dementsprechend ist der Film zwar arm an Ereignissen, aber reich an Allegorien und Metaphern. Während er die Haftanstalt als Handlungsort niemals verlässt, entfaltet sich diese Männerwelt als Mikrokosmos der Gesellschaft in einer nahöstlichen Diktatur.

 

Alle sind da: die Herrschenden, die Beherrschten und die Strippenzieher im Hintergrund. Es gibt die „Bärtigen“, die in der Bibliothek aus den Bildbänden alle Frauengesichter herauskratzen; einen Frauenmörder, der Krokodilstränen weint (die man ihm abnimmt); mehr oder weniger Unschuldige und außerdem einen mehrfachen Raubmörder, der sich nach einer Umarmung sehnt.

 

Fiktiver Staat in alternativer Geschichte

 

Mit diesem gesellschaftlichen Querschnitt erinnert „Sharaf“ an das klaustrophobische Kammerspiel „Clash“ von Mohammed Diab (2016), das sich gänzlich in der Enge eines Gefangenen-Transporters abspielte. Aber das mähliche Tempo, der Tonfall und der moralische Kompass von „Sharaf“ weisen in eine andere Richtung.  

 

Bevor der Film anfängt, versichert eine Texteinblendung, die Handlung spiele in einem fiktiven Staat, sogar während eines alternativen Geschichtsverlaufs, und die Realität sei dankenswerterweise nicht so schlimm. Aber diese Einleitung entpuppt sich als sarkastische Distanzierung, wohl zur juristischen Absicherung; denn im Verlauf der Handlung werden einige Tabus angekratzt.

 

Puppentheater für politischen Widerstand

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Clash" – Kammerspiel-Drama in einem Polizeitransporter über Ägyptens Zerrissenheit von Mohamed Diab

 

und hier eine Besprechung des Films "In den letzten Tagen der Stadt" – komplexer Kairo-Film von Ramer El Said

 

und hier einen Bericht über den Film "Nach der Revolution – After the Battle" – facettenreiches Polit-Drama über den Umbruch in Ägypten von Yousry Nasrallah

 

Der „fiktive Staat“ ist dabei unschwer als Ägypten zu identifizieren, und die Realität als keine andere als die uns bekannte. Als Alter Ego des Autors fungiert der säkulare Dr. Ramzy Yacoub (Fadi Abi Samra), der gegen die buchstäblich toxischen Aktivitäten seiner ehemaligen Pharma-Arbeitgeber rebelliert hat. Nun organisiert er im Knast zaghaften politischen Widerstand durch Puppentheater. Am Ende landet er in Einzelhaft.

 

Diese Bausteine eines typischen Gefängnis-Films – also immer wenn an einem Ort, an dem erklärtermaßen nichts passieren soll, doch etwas passiert – sind bekannt. Doch anhand dieser Standard-Elemente, von „Papillon“ (1973) mit Steve McQueen bis „Die Verurteilten“ (1994) mit Morgan Freeman, entwickelt der in Karlsruhe geborene deutschägyptische Regisseur Samir Nasr seine politische Argumentation. Als deren Rezipient und somit als Stellvertreter des Publikums dient der meist passive Antiheld Sharaf.

 

Wie Josef K. in „Der Prozess“

 

Großäugig, gutherzig und bildhübsch, wird er in diese ihm unverständliche Welt geworfen wie der arme Josef K. in „Der Prozess“. Im Unterschied zu diesem Roman von Franz Kafka, der postum 1925 erschien, macht aber Sharaf einen Prozess der Bewusstwerdung durch: einen Schritt zur Subjektwerdung und schließlich zur politischen Tat. Darin liegt die positive Botschaft eines ausgezeichnet inszenierten und gespielten, aber inhaltlich beklemmenden Films.