Köln

SUSANNA – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo

Massimo Stanzione: Susanna und die beiden Alten, um 1630/35, Öl auf Leinwand, Städel Museum, Frankfurt am Main. Fotoquelle: Wallraf-Richartz-Museum
Dreiecksbeziehung mit Möchtegern-Vergewaltigern: „Susanna und die Alten“ ist eines der beliebtesten Bibelmotive der Kunstgeschichte. Dem widmet das Wallraf-Richartz-Museum eine brillante Themen-Ausstellung voller beeindruckender Bildbeispiele; subtil analysiert und kundig kommentiert.

Es ist die alte Geschichte über eine verfolgte Unschuld – verschärft durch Verleumdung und Erpressung. Das alttestamentarische Buch Daniel erzählt, wie die tugendhafte Ehefrau Susanna im Garten ihres Hauses ein Bad nehmen will. Dabei wird sie von zwei alten Richtern beobachtet, die ihr lüstern nachstellen. Als sie mit ihr allein sind, verlangen die beiden von Susanna, ihnen zu Willen zu sein; andernfalls würden beide behaupten, sie habe sich einem jungen Mann hingegeben.

 

Info

 

SUSANNA – Bilder einer Frau
vom Mittelalter bis MeToo

 

28.10.2022 - 26.02.2023

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,

1. + 3. Donnerstag imMonat bis 22 Uhr

 

im Wallraf-Richartz-Museum, Obenmarspforten, Köln

 

Katalog 29,95 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Susanna weigert sich schreiend, wird prompt angeschwärzt und wegen Ehebruchs zum Tod verurteilt. Bis der Jüngling Daniel einschreitet, beide Denunzianten separat verhört und der Lüge überführt: Aufgrund ihrer Falschaussage werden die Männer hingerichtet.

 

Erste Susanna-Schau überhaupt

 

Diese erbauliche Fabel existiert in zwei antiken Versionen: Die ältere betont die Unmoral der Richter, die jüngere malt die Standhaftigkeit ihres Opfers und dessen erotische Reize aus. Letztere zählt zum biblischen Kanon und hat zahllose Darstellungen seit dem Frühmittelalter inspiriert. Ihnen widmet das Wallraf-Richartz-Museum eine mit rund 90 Gemälden, Grafiken und Skulpturen überschaubare, aber ungemein vielschichtige Ausstellung – laut eigenen Angaben die erste zum Susanna-Motiv überhaupt.

Impressionen der Ausstellung


 

Keine Urteile vom Moral-Tribunal

 

Die Ausgangsidee ist bestechend; Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern, Diskriminierung, sexueller Missbrauch und Gewalt werden debattiert wie nie zuvor. Da lohnt der Rückblick in die Kunstgeschichte: Wie gingen damalige Epochen mit diesen Themen um, und wie wurden sie veranschaulicht? Dabei erliegt die Schau nicht der vulgärmoralistischen Versuchung, Werke der Vergangenheit an heutigen Ansprüchen zu messen – und zu verwerfen, wenn sie diesen vermeintlich nicht genügen.

 

Stattdessen wird jedes einzelne Exponat detailliert und kundig kommentiert. Dadurch entsteht ein fast enzyklopädisches Panorama künstlerischer Optionen und Strategien, um dieses so attraktive wie heikle Sujet angemessen in Bilder umzusetzen. Wobei es im Lauf der Zeit radikale, teils sich widersprechende Umdeutungen erfährt: Auf den frühesten Darstellungen, etwa beim „Lothar-Kristall“ aus dem 9. oder Buchmalereien aus dem 13. Jahrhundert, tritt Susanna noch züchtig bekleidet auf.

 

Präzise analysierte Mimik + Gestik

 

Doch auf italienischen Hochzeitstruhen oder -kästchen des 15. Jahrhunderts hockt oder steht sie schon nackt in Badebecken oder -zubern – obwohl es in der Bibel nur heißt, dass sie ihr Bad vorbereitet, nicht aber, dass sie es nimmt. Ebenso wenig, dass die Alten übergriffig werden; im Buch Daniel reden sie nur auf Susanna ein. Aber das lässt sich schlecht visualisieren: Also legen die Zudringlichen auf Bildern meist Hand an.

 

Wie sie das tun, und auf welche Weise Susanna sich dagegen wehrt, ist Gegenstand brillanter Bildanalysen. Sie lassen keine Einzelheit von Mimik und Gestik unbeachtet: Welche Haltungen Glieder, Hände und einzelne Finger einnehmen; wer wen wo anfasst, heranzieht oder wegdrückt; welche Rollen Accessoires wie Tücher, Kopfbedeckungen, Gefäße und sogar Wasserhähne spielen – all diese Elemente vermitteln Bedeutungen, die ein gebildetes Publikum einst zu entschlüsseln vermochte.

 

Zupackende Männerhand gleich Vergewaltigung

 

Dabei lernt man eine Menge. Dass Susannas geschlossene oder übereinander geschlagene Beine Verweigerung ausdrücken, und umgekehrt ein dazwischen geschobenes Männerknie dessen Nichtachtung, ist zeitlos. Doch seit dem Mittelalter steht schon eine Männerhand, die sie am Arm packt, als visuelle Chiffre für Vergewaltigung. Hingegen signalisiert Susannas sichtbares Schreien, bereits in der Bibel erwähnt, nicht nur Gegenwehr: Es galt auch vor Gericht als Beweis für erlittene Notzucht.

 

Subtiler sind manche Spielarten der Körpersprache. Ein Frauenleib in doppelt gebogener S-Form wie auf einem Großformat des Barockmaler Francesco Travisani bezieht sich auf die berühmte Laokoon-Gruppe; Männerhände attackieren das Weib wie Schlangen den antiken Helden. Krümmt sich Susanna dagegen – wie auf einem Stich nach einem verlorenen Rubens-Gemälde von 1620 – nach vorn zusammen und presst ihr Kleid an sich, verweist das auf die Pose der schamhaften Venus pudica. Als ebenso tugendhaft galten flehentlich gen Himmel gerichtete Blicke.

 

Alte als Klischee-Juden karikiert

 

Wobei die Zahl der Variationen verblüfft; kaum glaublich, zu wie vielen unterschiedlichen Konstellationen sich drei Personen im Raum anordnen lassen. Auf einem großen Tintoretto-Gemälde von 1546/7 sind sie wie Ballspieler im Garten verteilt. Der Manierist Cornelis van Haarlem lässt 1589 eine kreidebleiche Susanna sich gequält von ihren Verfolgern wegschrauben, während der Ältere scheinbar an ihren Fingern saugt und der Jüngere beide umarmt. Jacob Jordaens hält 1653 fest, wie zwei grotesk faltige Greise hinterrücks über Susanna herfallen – die recht füllig, unförmig und darüber nicht unerfreut ist.

 

Jordaens karikiert beide Sittenstrolche mit Kippas und Hakennasen als Klischee-Juden; solche antisemitischen Stereotypen sind nicht selten. Wesentlich bedeutsamer sind aber Blickbeziehungen: Auf etlichen Bildern blickt Susanna den Betrachter an und macht ihn damit zum Zeugen, wenn nicht Komplizen. Mal diskret wie von Rembrandt und seiner Werkstatt 1630: Außer ihrem Rücken, dem verschatteten Antlitz und zwei Fratzen am rechten Bildrand ist kaum etwas zu erkennen.

 

Massiver Widerstand im letzten Saal

 

Mal überdeutlich wie beim spanischen Salonkünstler Francesco Hayez: Er malt 1850 eine lebensgroße Susanna in lasziver Pose mit schmachtendem Augenaufschlag – mehr Pin-up geht kaum. Je stärker sittenstrenge Botschaften verblassen, desto deutlicher tritt Voyeurismus hervor. Ein exzellent komponiertes Exkurs-Kabinett darüber widmen die Kuratoren dem Filmklassiker „Psycho“ von 1960. Regisseur Alfred Hitchcock hatte nicht nur das Guckloch, durch das Norman Bates sein Opfer beäugt, mit dem Faksimile einer Rokoko-Susanna kaschiert; er inszenierte auch die legendäre Duschmord-Szene analog zu Susanna-Motiven.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "She said" - spannendes Dokudrama über den Weinstein-Skandal als Auslöser der #MeToo-Bewegung von Maria Schrader

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "No Master Territories: Feminist Worldmaking and the Moving Image" über Pionierinnen des feministischen Autorenfilms im Haus der Kulturen der Welt, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Wege des Barocks" mit "Meisterwerken aus den Sammlungen der Palazzi Barberini und Corsini Rom" im Museum Barberini, Potsdam

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Kleopatra. Die ewige Diva" - facettenreiche Schau über den Imagewandel der antiken Herrscherin in der Bundeskunsthalle, Bonn.

 

Als Produkt des 21. Jahrhunderts kommt diese Schau natürlich nicht ohne weibliche Selbstermächtigung aus: Im letzten Saal leisten alle Susannas teils verhaltenen, teils heftigen Widerstand. Bei Anthonis van Dyck rafft sie 1622/23 ihre Kleider zusammen und schleudert den Eindringlingen einen Blick entgegen, der töten könnte. Ganz cool klopft sie bei Massimo Stanzione 1630 einem der beiden auf den schmuddeligen Ärmel: Hände weg, Du Lustgreis!

 

Rabiat plakative Gegenwart

 

Gleich drei Varianten des Selbstschutzes stammen von Artemisia Gentileschi; die bedeutendste Barock-Malerin gilt als Schutzpatronin feministischer Kunsthistorie. Sie kannte das Sujet aus eigener leidvoller Erfahrung: Als 18-Jährige wurde sie vergewaltigt, erwirkte aber hernach vor Gericht eine Verurteilung des Täters. Auf ihrem Gemälde von 1622 verhält sich Susanna noch duldsam abwartend; auf einem von 1649 wehrt sie dagegen mit ihrer Rechten den Alten schwungvoll ab.

 

Noch drastischer bewegt ist eine Version von 1610: Susanna kauert vor einer Brüstung und drückt beide Typen mit angeekelt abgewandtem Kopf weg. Diese Fassung erweitert die zeitgenössische US-Künstlerin Kathleen Gilje zum Diptychon: Im Stil einer Infrarot-Aufnahme ist eine angebliche Unterzeichnung des Gemäldes zu sehen – und auf der zückt eine kreischende Susanna ein Messer, wohl um die Kerle abzustechen. Diese plakative Rachephantasie spricht allen differenzierten Susanna-Darstellungen des Rundgangs Hohn: Willkommen in der Gegenwart!