Mannheim

Becoming CoBrA – Anfänge einer europäischen Kunstbewegung

Max Walter Svanberg: Minotaurus, Detail, 1946, Moderna Museet Stockholm, Schweden. © Max Walter Svanberg
Nach uns die Freiheit: Schon während des Zweiten Weltkriegs probten Künstler unter NS-Besatzung den ästhetischen Aufstand. Vor allem in Dänemark, den Niederlanden und Belgien – 1948 gründeten sie gemeinsam CoBrA. Wie diese wilde Bilderstürmer-Malerei entstand, führt die Kunsthalle anschaulich vor.

Live fast, die young: Die CoBrA-Gruppe bestand nur von 1948 bis 1951. Doch in diesen drei Jahren brachte sie so viele ästhetische Innovationen hervor, dass die Folgen in Europa noch jahrzehntelang spürbar waren. Manche ihrer Mitglieder wie Asger Jorn in Dänemark, Karel Appel in den Niederlanden oder Karl Otto Götz in der Bundesrepublik wurden zu prägenden Figuren der Nachkriegsmoderne.

 

Info

 

Becoming CoBrA – Anfänge einer europäischen Kunstbewegung

 

18.11.2023 - 05.03.2023

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,

mittwochs bis 20 Uhr

in der Kunsthalle Mannheim, Friedrichsplatz 4, Mannheim

 

Katalog 29,50 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Das Akronym CoBrA setzte sich aus den Anfangsbuchstaben der Städte zusammen, aus denen die meisten Gründungsmitglieder kamen: Copenhagen, Brüssel und Amsterdam. Wobei die Assoziation einer schnell zubeißenden Giftschlange natürlich beabsichtigt war: Diese Bewegung wollte ein agiler Störfaktor im Kunstbetrieb sein, kein weiterer -Ismus auf theorielastiger Grundlage.

 

Jenseits von Zwängen + Systemen

 

Zwar formulierte CoBrA bei der Gründung am 8. November 1948 in einem Pariser Café ein Manifest und gab auch eine Zeitschrift heraus, doch der Akzent lag auf künstlerischer Praxis. Die sollte individuell, experimentell, spontan, kreativ, sinnlich und risikofreudig sein. Voller Nachkriegs-Freiheitspathos lehnte die Gruppe alle Zwänge ab – und damit die zuvor dominanten Kunst-Systeme wie Surrealismus oder Konstruktivismus.

Feature zur Ausstellung; © Kunsthalle Mannheim


 

Zwischen Neo-Expressionismus + Gestischem

 

Stattdessen ließen sich die Mitglieder von ganz unterschiedlichen Quellen inspirieren. Dazu zählten archaische und außereuropäische Objekte ebenso wie nordische Mythologie, Zeichnungen von Kindern oder psychisch Kranken, aber auch von etablierten Zeitgenossen wie Picasso, Mirò, Paul Klee und Jean Dubuffets art brut. Viele Arbeiten von CoBrA-Künstlern changieren zwischen Neo-Expressionismus und gestischer Malerei; manche nahmen den energiegeladenen Primitivismus von „Neuen Wilden“ der 1980er Jahre vorweg.

 

So bilderstürmerisch die Bewegung auftrat, so vielgestaltig fiel ihr Œuvre aus. Manche Kompositionen wirken geradezu zwingend und ergreifen unmittelbar, wie es ihren Machern vorschwebte. Andere hingegen – manchmal vom selben Künstler – erscheinen erratisch bis beliebig, wie uninspiriert hingeworfenes Gekritzel und Gekleckse. Zudem fallen solche Eindrücke bei jedem Betrachter verschieden aus; die Subjektivität von Produktion und Rezeption, die viele moderne Kunstströmungen kennzeichnet, trieb CoBrA auf die Spitze.

 

Dänische Autonomie durch Kollaboration

 

Doch auch diese Gruppe kam nicht aus dem Nichts; ihre Formensprachen hatten sich bereits während der Vorkriegs- und Kriegsjahre entwickelt. Wie es dazu kam, und welche Akteure welche Einflüsse beisteuerten, ist Gegenstand der Ausstellung „Becoming CoBrA“ in der Kunsthalle Mannheim. Dass sie sich dieses Themas annimmt, ist umso verdienstvoller, als die Kunsthalle selbst nur ein Gemälde und einige Grafiken von CoBrA-Künstlern besitzt; die rund 120 Exponate der Schau, darunter etliche Skulpturen, wurden fast alle entliehen.

 

Vor allem aus dänischen Museen: Dortige Künstler waren bei der Entstehung von CoBrA federführend. Zwar war Dänemark im April 1940 von der Wehrmacht besetzt worden und hatte binnen eines Tages kapituliert, doch gerade die Kollaboration der Regierung verschaffte ihr innere Autonomie. Und damit den Künsten mehr Freiräume als andernorts, auch für Avantgarde-Zirkel.

 

Höllenpferd mit drei Beinen

 

1934 hatte sich das Künstlerkollektiv „Linien“ formiert; aus ihm ging um 1940 die Nachfolge-Gruppe „Høst“ („Ernte“) hervor. Sie veröffentlichte nicht nur ab dem Folgejahr die Zeitschrift „Helhesten“ („Höllenpferd“), deren Titel oft eine skurrile Karikatur des dreibeinigen Reitpferds der nordischen Unterwelt-Göttin Hel schmückte. 13 Künstler stellten auch im Sommer 1941 ihre experimentellen Arbeiten in einem Park-Zelt in Kopenhagen aus – diese waghalsige Präsentation wäre in anderen Ländern unter NS-Kontrolle undenkbar gewesen.

 

Wie nonkonformistisch und aus Nazi-Sicht ‚entartet’ ihre Werke waren, führt die Schau anhand anschaulicher Beispiele vor. Else Affelt schuf fiebrige Abstraktionen, Ejler Bille organische Bronzen, die an Hans Arp erinnern; Sonja Ferlov Mancoba stilisierte Totems als Bilder und Skulpturen, Henry Heerup Assemblagen aus Fundstücken und Asger Jorn biomorph verschlungene Signets, die im Laufe der Jahre gröber und zugleich komplexer anmuteten. Alles meilenweit von konventioneller Figuration und Realismus entfernt.

 

Europaweite Vernetzung

 

Das andere Kraftfeld, in dem sich verdichtete, was später CoBrA werden sollte, waren die Niederlande. Obwohl die Ausgangslage höchst ungünstig war: Die NS-Besatzer kontrollierten den öffentlichen Raum scharf; niederländische Kreative waren von ausländischen Impulsen völlig abgeschnitten. Also gingen sie unbeeinflusst eigene Wege; bereits 1946 zeigte eine Ausstellung im Stedelijk Museum junge heimische Künstler, darunter Corneille, Constant und Karel Appel.

 

Die drei formierten im Juli 1948 die „Experimentele Groep Nederland“, die vier Monate später in CoBrA aufging. Weitere wichtige Gründungsmitglieder wie Christian Dotremont, Joseph Noiret und Pierre Alechinsky kamen aus Belgien. Dazu stießen einzelne Mitstreiter aus anderen Ländern, etwa Jean-Michel Atlan und Jacques Doucet aus Frankreich, Max Walter Svanberg und Anders Österlin aus Schweden, der Tscheche Josef Istler und der Deutsche K.O. Götz. Eine europaweite Vernetzung war CoBrA sehr wichtig.

 

Aneinanderreihung statt Analyse

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Der geteilte Himmel: Die Sammlung 1945–1968" mit Kunst der Nachkriegszeit in der Neuen Nationalgalerie, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Kunst in Europa 1945–1968 – Der Kontinent, den die EU nicht kennt" – umfassende Überblicks-Schau im ZKM, Karlsruhe

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "K. O. Götz" - prachtvolle Retrospektive zum 100. Geburtstag des abstrakten CoBrA-Künstlers in Berlin, Duisburg + Wiesbaden.

 

und hier einen Bericht über den Vortrag von Tom McDonough über die "Situationistische Internationale", der CoBrA-Künstler Asger Jorn angehörte, auf den "Künstler-Kongressen" der documenta 13 in Kassel.

 

Solche personellen und organisatorischen Verflechtungen zeichnet die Ausstellung minutiös nach, illustriert mit prägnanten Werkbeispielen. Allerdings belässt sie es auch weitgehend bei ihrer Aneinanderreihung. Eine tiefer gehende Analyse, warum sich diese radikal antiakademische Avantgarde-Bewegung zeitgleich, aber weitgehend unabhängig voneinander in drei kleineren Nationen abseits traditioneller Kunstzentren herausbildete, sucht man vergebens.

 

Zudem scheint die Auswahl weitgehend dadurch bedingt, was die Leihgeber anboten; dadurch entstehen Ungleichgewichte. Beispielsweise wird die Dänin Sonja Ferlov Mancoba ausführlich als Vermittlerin zwischen den Kunstszenen in Kopenhagen und Paris vorgestellt. Ihr Ehemann Ernest Mancoba – als Südafrikaner einer der ganz wenigen schwarzen Künstler der Nachkriegsmoderne – ist dagegen nur mit einer kleinen Grafik vertreten.

 

CoBrA-Meisterwerke in Amstelveen

 

Schließlich endet die Schau fast abrupt mit der CoBrA-Auflösung. Konkreter Auslöser war, dass Asger Jorn und Christian Dotremont fast gleichzeitig an Tuberkulose erkrankten; de facto hatten die heterogene Mitgliederschar zu verschiedene Auffassungen von Kunst, um nach der zweiten und letzten Gruppenausstellung in Lüttich Ende 1951 noch gemeinsam auftreten zu wollen.

 

Viele von ihnen schufen aber erst nach dem Ende von CoBrA ihre bedeutendsten Werke – davon bietet die Kunsthalle leider nur eine Handvoll Beispiele auf. Wer mehr sehen will, muss in die Niederlande reisen: In Amstelveen, einem Vorort von Amsterdam, verfügt das 1995 eingeweihte „Cobra Museum“ über die wohl größte Kollektion dieser Strömung.