
Am Fuß einer steilen Bergwand wird die Leiche eines abgestürzten Bergsteigers gefunden. War es ein Unfall, Selbstmord oder Mord? Mit der Klärung betraut wird Chang Hae-joon (Park Hae-il), ein erfahrener Kommissar der alten Schule. Zusammen mit seinem Assistenten (Go Kyung-pyo) hat er sich zuletzt vor allem mit liegen gebliebenen Fällen und den Launen seines Chefs herumschlagen müssen.
Info
Die Frau im Nebel
Regie: Park Chan-Wook,
138 Min., Südkorea 2022;
mit: Tang Wei, Park Hae-il, Lee Jung-hyun, Go Kyung-pyo
Weitere Informationen zum Film
Chinesin kam illegal nach Korea
Als er auf Song Seo-rae (Tang Wie) trifft, die Witwe des toten Bergsteigers, ist sie vom Ableben ihres Ehemanns offensichtlich wenig berührt. Auf dessen Smartphone findet Hae-joon verstörende Bilder malträtierter Frauenkörper. Und er erfährt, dass Seo-rae als Chinesin illegal nach Korea kam; erst durch die Heirat erhielt sie einen dauerhaften Aufenthaltsstatus. Dennoch umgibt sie eine Aura der Würde, die Hae-joon ebenso in Bann schlägt wie ihre unnahbare Schönheit.
Offizieller Filmtrailer
Palme in Cannes für beste Regie
Obwohl die Witwe ein Alibi vorweisen kann, kreisen seine Ermittlungen schnell um ihre Person. Bald ist nicht mehr klar, ob es sich bei Hae-joons Beschattung rund um die Uhr um notwendige Polizeiarbeit oder eher um eine private Obsession handelt. Zumal immer mehr die Grenzen zwischen Beobachtungen und halluzinierter Zweisamkeit zwischen Detektiv und Verdächtiger verschwimmen, wofür Park Chan-wook tief in die kinematographische Trickkiste greift.
Seinen internationalen Durchbruch feierte der Regisseur 2003 mit dem alptraumhaft poetischen und exzessiv gewalttätigen Rachethriller „Oldboy“. 2016 bewies er mit „Die Taschendiebin – The Handmaiden“, dass er mit einem so trickreich doppelbödigen wie elegant sinnlichen Erotikthriller ähnlich erfolgreich sein kann. Bisher erhielten seine Filme vier Einladungen in den Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes. Dort gewann er zahlreiche Preise, zuletzt für „Die Frau im Nebel“ denjenigen für die beste Regie.
Destabilisierende Handlung
Tatsächlich stellt Park abermals seine filmemacherische Raffinesse eindrucksvoll unter Beweis. Eine großartige Einstellung folgt der nächsten, und jede neue Perspektive – Makroaufnahmen von Ameisen auf den Gesichtern der Toten oder Blicke durch deren Augen – fügt sich perfekt in die Sinne und Psyche destabilisierende Handlung ein.
Irgendwann muss der Detektiv erkennen, dass es nicht nur darum geht, was er über seine Verdächtige und ihre Machenschaften herausfindet. Mit jedem neuen Ermittlungsschritt und jedem Gespräch mit der bewunderten Femme Fatale erhält sein Selbstverständnis einen weiteren Knacks.
Distanzverlust beim SMS-Versand
Das verwundert kaum, erinnert Seo-rae doch gleichermaßen an Madeleine Elster aus „Vertigo – Aus dem Reich der Toten“ (1958) von Alfred Hitchcock wie an Catherine Tramell aus Paul Verhoevens „Basic Instinct“ (1992). Als Hae-joon schließlich meint, hinter Seo-raes Geheimnis gekommen zu sein und ihr geholfen zu haben, ist er in Wahrheit vor allem an seine eigenen Grenzen gelangt.
Was Realität ist, stellt sich letzten Endes als Frage von Perspektive und Abstand dar. Allmählich verlieren die sich umkreisenden Protagonisten die Distanz zueinander so sehr, dass sie sich in ein und demselben Raum aufzuhalten scheinen – obwohl sie gerade offensichtlich über weite Strecken hinweg miteinander telefonieren oder sich SMS schicken. Das Imaginäre wird langsam, aber sicher zur Wirklichkeit des Detektivs.
Sex für Fitness + Zigaretten verboten
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Taschendiebin - The Handmaiden" – eleganter Erotik-Thriller aus Südkorea von Park Chan-wook
und hier eine Besprechung des Films "Stoker" – stilvoller Familien-Psychothriller von Park Chan-wook mit Nicole Kidman + Mia Wasikowska
und hier einen Beitrag über den Film "Drive my Car" - subtiles Vergangenheitsbewältigungs-Drama von Ryûsuke Hamaguchi, prämiert mit Auslands-Oscar 2022
und hier einen Bericht über den Film "The Grandmaster" – ästhetisiertes Kampfkunst- Epos aus Hongkong von Wong Kar-Wai.
Indes: Zwar setzt Regisseur Park grandios in Szene, wie Körper durch Blicke mit Bedeutung aufgeladen werden; zudem changiert die Schauspielkunst von Tang Wie bewundernswert zwischen Diskretion, Zurückweichen und erotischer Anziehung. Doch bei aller Schönheit der Inszenierung hinterlässt diese nicht so nachhaltige Eindrücke, wie man bei diesem Aufwand erwarten dürfte.
Finaler Aha-Effekt fehlt
Somnambule Ermittler und existenzielle Gefühlslagen in kunstvoll stilisierten Bildern bietet asiatisches Kino öfter; etwa in den Filmen von Wong Kar-Wai aus Hongkong. Auch die feinen Abhängigkeiten und Geheimnisse, durch die Obsessionen entstehen, sind jüngst etwa im japanischen Film „Drive my Car“ von Ryûsuke Hamaguchi deutlich überzeugender dargestellt worden.
So bleibt „Frau im Nebel“ ein stilvoller Neo-Noir-Psychothriller, der Staunen lässt und mit vielen Details begeistert – etwa mit Drohnenaufnahmen, die malerische Bilder erzeugen, die anders nicht zustände kämen. Doch Parks Film fehlt der finale Aha-Effekt oder eine besondere Wendung, welche die Beziehung der Protagonisten unvergesslich machen würde.