Frankfurt am Main

Guido Reni – Der Göttliche

Guido Reni (1575–1642): Hippomenes und Atalante, um 1615–18, Öl auf Leinwand, 206 x 297 cm, Museo Nacional del Prado, Madrid. Foto: Museo Nacional del Prado, Madrid
Meister des himmelnden Blicks: Wohl kein Barockmaler ist so häufig nachgeahmt worden wie Guido Reni – seine Heiligenbilder finden sich bis heute in vielen katholischen Kirchen. Mit einer großen Retrospektive will das Städel Museum ihn aus der Kitsch-Ecke holen; das gelingt nur zum Teil.

Bilder von Guido Reni (1575-1642) hat wohl jeder schon gesehen, auch wenn er nicht in Museen geht – aber in katholische Kirchen. All die Erlöser-, Marien- und Heiligendarstellungen mit himmelwärts verklärtem Blick und erhobenen Händen, getaucht in sanft strahlendes Licht, die erbauliche Broschüren oder Einlegeblätter in Gebetsbüchern zieren: Häufig reproduzieren sie Motive von Guido Reni oder sind zumindest an sie angelehnt.

 

Info

 

Guido Reni – Der Göttliche

 

23.11.2022 - 05.03.2023

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,

donnerstags bis 21 Uhr

im Städel Museum, Schaumainkai 63, Frankfurt am Main

 

Katalog 39,90 €

 

Weitere Informationen

 

Der katholische Devotionalienkult machte Reni zum meistkopierten Barock-Maler – und für die Kunstgeschichte suspekt. Zu Lebzeiten wegen der Eleganz seiner religiösen Sujets als „der Göttliche“ gepriesen und später Leitfigur vieler spätbarocker und klassizistischer Kollegen, galt sein Stil ab Mitte des 19. Jahrhunderts als süßlich und sentimental. Besonders im Vergleich mit seinem Rivalen Caravaggio (1571-1610) und dessen naturalistischer Hell-Dunkel-Malerei.

 

Erste Werkschau seit drei Dekaden

 

1954 wurde Reni durch eine umfangreiche Werkschau in seiner Heimatstadt Bologna neu entdeckt, dann international aufgewertet mit einer Tournee-Ausstellung 1988/89 in Bologna, Los Angeles und der Frankfurter Schirn Kunsthalle. Doch seine Popularität bleibt bislang überschaubar. Das will das Städel ändern: Die erste große Retrospektive seit drei Dekaden mit rund 130 seiner Werke soll Reni endgültig vom Stigma des Kitsch-Produzenten befreien, indem sie Variantenreichtum und Noblesse seiner Malweise vor Augen führt.

Feature zur Ausstellung; © Städel Museum


 

Hundert Arten, in den Himmel zu schauen

 

Wobei das Museum diese Herausforderung frontal angeht: Den ersten Saal füllen gleich sechs Darstellungen der Himmelfahrt Mariens von bildschirm- bis überlebensgroß. Eine ist als „Unbefleckte Empfängnis“ betitelt, ähnelt aber den anderen sehr. Ob sitzend oder stehend, von wenigen oder vielen Engeln und Putten umgeben, mit gekreuzten oder flehentlich ausgebreiteten Armen: Diese Marien gleichen einander wie Zwillingsschwestern. Einmal entwickelte Pathosformeln wandelte Reni nach Bedarf ab, aber er änderte sie nicht mehr; der Erfolg beim zahlenden Publikum gab ihm recht.

 

Dem „himmelnden Blick“, Renis Markenzeichen, widmet die Ausstellung sogar eine eigene Abteilung: Er rühmte sich, zum Firmament gewandte Köpfe mit aufblickenden Augen auf hundert verschiedene Weisen darstellen zu können. Ein Dutzend sind hier versammelt, samt ihrer Vorbilder aus der Antike, von Raffael oder Renis Lehrer Annibale Carracci. Nicht alle drücken Entrückung und Verzückung aus; ein gehäuteter Marsyas schreit vor Todesangst, ein Antlitz Christi wirkt eher abgeklärt. Doch gemeinsam ist allen ihre Ausrichtung auf höhere Sphären.

 

Frühe Anleihen bei Caravaggio

 

Als sie in den 1620/30er Jahren entstanden, war Guido Reni längst ein etablierter Großkünstler. Abwechslungsreicher sind die Anfänge seiner Laufbahn. In Bologna ging er beim flämischen Maler Denys Calvaert in die Lehre, wechselte 1593 auf die Kunstakademie der Caraccis und zog um 1600 nach Rom. Dort erregte gerade Caravaggio mit seiner dramatischen Lichtführung großes Aufsehen. Auch Reni versuchte sich darin, blieb aber zugleich seinen harmonischen Kompositionen treu: Sein „Christus an der Geißelsäule“ von 1604 erinnert an einen austrainierten Athleten, ein „David mit dem Haupt des Goliath“ von 1605/6 lehnt entspannt an einem Säulenstumpf, mit kecker Feder am Kopfputz.

 

Solchen barocken Klassizismus mit einer oder zwei Hauptfiguren vor dunklen Hintergründen ohne Beiwerk behielt Reni auch bei, als er 1614 nach Bologna zurückkehrte; dort blieb er bis ans Lebensende. Diese Malweise nannte sein erster Biograph Carlo Cesare Malvasia die prima maniera; Beispiele dafür bilden den Auftakt zum zweiten Ausstellungsteil. Schlicht, doch voller Spannung wirkt etwa das Gemälde „Hippomenes und Atalante“ (um 1615/18). Einer antiken Sage zufolge gewinnt Hippomenes den Wettlauf mit Atalante, weil er goldene Äpfel ausstreut, nach denen sie sich bückt. Reni hält das raffiniert als Gegenbewegung zweier Körper fest, die auseinanderstreben, aber sich gleichzeitig überkreuzen.

 

Bonbon-Barock von unwiderstehlichem Schmelz

 

Seine Fähigkeit, makellos schöne Leiber zu modellieren, reizte der Maler voll aus; manchmal bis ins Absurde. „Samson“ (1615/17) zeigt den biblischen Helden in formvollendeter S-Pose, während er grazil den Fuß auf einen toten Philister setzt – von denen er soeben tausend erschlagen haben soll. Was seiner Anmut keinen Abbruch tut: Über sich hält er ein Objekt, das der Kinnbacken eines Esels sein soll, woraus er Wasser trinkt. Dass die angeblich alttestamentarische Szene auf einem Übersetzungsfehler beruht, macht nichts; Hauptsache, der glorreiche Sieger sieht traumhaft gut aus.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Barock - Nur schöner Schein?" in den Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim mit Werken von Guido Reni

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Wege des Barock" opulente Präsentation italienischer Meisterwerke aus den römischen Palazzi Barberini und Corsini im Museum Barberini, Potsdam

 

und hier ein Beitrag über die Ausstellung "Utrecht, Caravaggio und Europa" – facettenreiche Themenschau über niederländische Caravaggisten in der Alten Pinakothek, München

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "El Siglo de Oro – Die Ära Velázquez" – brillanter Überblick über Barock in Spaniens Goldenem Zeitalter in Berlin + München.

 

Ab Mitte der 1620er Jahre hellte sich Renis Farbpalette merklich auf; möglicherweise antizipierte er, dass seine Bilder im Lauf der Zeit nachdunkeln und verschmutzen würden. In dieser secondo maniera fertigte er etliche repräsentative Bildnisse von Märtyrern und Würdenträgern an, die vor Ergriffenheit und Bedeutsamkeit quasi erstarrten. Nun entstand ein reiches Repertoire an affektierten Gesten und schmachtenden Blicken, aus dem sich Heiligenbildchen-Pinseler kommender Generationen bedienen sollten – ein Bonbon-Barock von unwiderstehlichem Schmelz.

 

Fließbandproduktion wegen Spielsucht

 

Am Ende seines Schaffens ließ Reni seine Bilder zunehmend unvollendet: Mal erscheint das ganze Gemälde, mal nur einzelne Partien in Vorzeichnungen und ersten Farbschichten angelegt, aber nicht ausgeführt. Unklar ist, ob der Künstler mit solchem non finito seine Virtuosität demonstrieren wollte, oder ob er zu Fließbandproduktion überging und angefangene Arbeiten erst fertigstellte, wenn sich ein Abnehmer fand. Jedenfalls brauchte er stets Geld: Er lebte auf großem Fuß und war spielsüchtig.

 

Der Rehabiliations-Versuch im Städel fällt zwiespältig aus. Einerseits treten durch die Fülle von – teils recht ähnlichen – Werken die Stilmerkmale von Renis Kunst, seine individuelle Handschrift, sehr anschaulich hervor. Andererseits wird ebenso deutlich, dass manche seiner Werke doch recht glatt und stereotyp erscheinen. Es ist wie beim Besuch eines katholischen Wallfahrtsorts: Ein gefühlsseliges Heiligen-Antlitz in Pastellfarben vermag durchaus zu rühren; drei Dutzend davon hinterlassen einen faden Nachgeschmack wie bei Zuckerwatte.