Bujar Alimani

Luanas Schwur

Luana (Rina Kraniqi) will Tod ihres Vaters rächen. Foto: Roland Guido Marx. © Elsany & Neary Media GmbH
(Kinostart: 9.2.) Geschlechterwechsel, um der Zwangsehe zu entgehen: Eine junge Albanerin schwört, fortan als Mann zu leben. Regisseur Bujar Alimani inszeniert diffus, seine Hauptdarstellerin agiert recht hölzern – die Konflikte in der patriarchalischen Gesellschaft sind nur unterschwellig spürbar.

Wie wird eine Frau zum Mann? Indem sie sich die Brüste wegbindet und in der Dorfkneipe die Männer unter den Tisch trinkt? Oder indem sie der männlichen Tradition folgt und tut, was von einem Familienoberhaupt verlangt wird – auch wenn das bedeutet, Blutrache zu üben? Dass sich Luana (als Erwachsene: Rina Krasniqi) im Alter von gerade mal 20 Jahren mit diesen Fragen auseinandersetzen muss, kann sie sich noch nicht vorstellen, als sie sich ein paar Jahre zuvor in Agim (Lum Veseli) verliebt.

 

Info

 

Luanas Schwur

 

Regie: Bujar Alimani,

120 Min., Albanien/ Belgien/ Deutschland/ Kosovo 2021;

mit: Rina Kraniqi, Mimoza Azemi, Shkurte Sylejmani, Nik Xhelilaj

 

Weitere Informationen zum Film

 

Der stammt aus einer Dissidentenfamilie und unterscheidet sich von den anderen Männern im Dorf schon allein dadurch, dass er Luana auf Augenhöhe begegnet. Außerdem bringt er ihr das Lesen bei – was in den Augen der Bevölkerungsmehrheit im bergigen Norden Albaniens eine Frau nur auf dumme Gedanken bringen kann. Und leider ist Luana seit Kindestagen dem ihr unbekannten Falmur (Nik Xhelilaj) versprochen.

 

Vater-Tod nach Zwangsheirat

 

Als die Gerüchte um Luanas Affäre ihrem Vater Gjon (Viktor Zhusti) zu Ohren kommen, forciert er die baldige Hochzeit mit Falmur. Doch der Bräutigam entpuppt sich gleich bei der ersten Begegnung als abgründiger Fiesling, der seiner Braut um jeden Preis seinen Willen aufzwingen will. Die Eskalationen, die daraus folgen, kosten ausgerechnet Luanas Vater das Leben – der diese Traditionen vehement verteidigt hat.

Offizieller Filmtrailer


 

Werden wie ein Mann

 

Die Männer, die nach Gjons Tod über Luanas Schicksal entscheiden wollen, halten am vereinbarten Arrangement fest. Daraufhin beschließt die junge Frau, fortan als burrnesha zu leben. Nachdem sie einen Schwur leistet, übernimmt sie die soziale Rolle eines Mannes mit allen traditionellen Rechten – um den Preis, dass sie auf Sex, Ehe und Kinder verzichtet. Als neues Oberhaupt ihrer Familie will sie jetzt ihren Vater rächen.

 

In den späten 1950er Jahren, in denen das Drama spielt, versuchte der kommunistische Diktator Enver Hoxha, seinen Untertanen jeden Aberglauben auszutreiben – Religionsausübung wurde verboten. Allem Fortschrittsglauben zum Trotz bleibt jedoch der „Kanun“ in der Region fest verankert: Er bezeichnet ein aus dem Mittelalter überliefertes, auf dem Konzept der Ehre basierendes Gewohnheitsrecht, das in beinahe allen Lebensbereichen Anwendung findet.

 

Frei nur im Namen der Ehre

 

Hintergrund

 

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und hier einen Bericht über den Historien-Film "Albert Nobbs" von Rodrigo García mit Glenn Close als Mann-Frau in der viktorianischen Ära.

 

Neben drastischen Regularien – wie eben der Blutrache – hat der „Kanun“ durchaus auch positive Aspekte: So hat das Gebot der Gastfreundschaft die Region für Juden im Zweiten Weltkrieg zu einem vergleichsweise sicheren Hafen gemacht. Nicht selten bezogen sich Frauen zudem auf den „Kanun“, um als burrnesha einer ungewollten Ehe zu entgehen – 2010 lebten in Albanien noch einige Dutzend eingeschworene Jungfrauen.

 

Luana ist eine ambivalente, realistische und damit potenziell interessante Figur – keineswegs ist sie eine Lichtgestalt, die für weibliche Selbstbestimmung kämpft. Vielmehr spielt sie ihren eigenen Part in den repressiven gesellschaftlichen Strukturen. Auch wenn in ihr durchaus ein Freigeist steckt – eine Rebellin, die das soziale Korsett sprengt, ist sie nicht: Sie opfert ihre persönliche Freiheit der Familienehre.

 

Diffus und hölzern

 

Im Vordergrund ihres Handelns steht die Rache. Die scheinbar emanzipatorische Entscheidung, wie ein Mann zu werden, folgt einer zutiefst patriarchalen Logik: Der Vater muss gerächt werden. Leider gibt „Luanas Schwur“ wenig preis von dem sich wandelnden Innenleben seiner Hauptfigur – anders als etwa Laura Bispuris Debütfilm „Sworn Virgin“ (2015). Darin spielt Alba Rohrwacher eine heutige burrnesha, die vor den Folgen ihres Schwurs nach Italien flieht. Trotz Schwächen entwickelt der Film eine bemerkenswerte emotionale Wucht.

 

Irgendwie brodelt es in Luana weiter, nachdem der Vater gerächt ist. Doch die Regie von Bujar Alimani bleibt psychologisch diffus, und Rina Krasniqi in der Hauptrolle wirkt recht hölzern. Dass hinter Luanas Entscheidung prinzipielles Hadern mit den Einschränkungen steckt, denen Frauen unterliegen, deutet sich in dem etwas langatmigen, betulich in Szene gesetzten Drama allenfalls unterschwellig an.