Ruijun Li

Return to Dust

Youtie Ma (Wu Renlin) und Guiying Cao (Hai Qing) bewältigen die harte Feldarbeit gemeinsam. Fotoquelle: Kinofreund
(Kinostart: 2.3.) Candide samt Gattin im kargen Nordwestchina: Zwei Außenseiter finden zueinander und führen trotz aller Demütigungen eine glückliche Ehe – bis das Schicksal zuschlägt. Sein Dörfler-Doppelporträt inszeniert Regisseur Ruijun Li als stimmungsvoll elegische Symphonie in Erdtönen.

Winter, Frühling, Sommer, Herbst … und Winter: Der Film von Regisseur Ruijun Li folgt dem Rhythmus der Jahreszeiten. Während eines Jahres, oder auch in zehn Jahren; das bleibt einerlei. Der Kreislauf bäuerlicher Tätigkeiten mit seiner unveränderlichen Abfolge ist zeitlos.

 

Info

 

Return to Dust

 

Regie: Ruijun Li,

133 Min., Volksrepublik China 2022;

mit: Hai Qing, Wu Renlin, Guiying Cao

 

Weitere Informationen zum Film

 

„Return to Dust“ spielt, wie die meisten der bisher sechs Spielfilme des Regisseurs, in seiner Heimatprovinz Gansu im Nordwesten Chinas. In diesem kargen, fast wüstenhaften Landstrich muss die Bevölkerung hart arbeiten, um den trockenen Böden genügend Feldfrüchte abzuringen. Deshalb sind viele Dorfbewohner auf der Suche nach einem besseren Leben gen Osten abgewandert; etliche einstöckige Lehmziegelhäuser stehen leer.

 

Verkuppelt, um sie aus dem Haus zu bekommen

 

Zu den Zurückgebliebenen zählen Youtie Ma (Wu Renlin) und Guiying Cao (Star-Schauspielerin Hai Qing). Der vorzeitig gealterte Youtie ist in seiner Familie der „vierte Bruder“; bedächtig und schweigsam lässt er sich widerstandslos von Verwandten herumkommandieren. Die geistesschwache Guiying wurde früh Opfer häuslicher Gewalt; sie ist inkontinent und unfruchtbar. Damit beide niemandem zur Last fallen, werden sie von ihren Angehörigen miteinander verkuppelt.

Offizieller Filmtrailer


 

Laiendarsteller ist Kinostar ebenbürtig

 

Auf dem Heiratsfoto stehen sie fremd nebeneinander; auch in der Hochzeitsnacht können sie nichts miteinander anfangen. Doch Youtie kümmert sich ausdauernd gutmütig um seine Gattin; bald werden sie ein harmonisches Paar. Wie beide allmählich Gefallen aneinander finden, drücken sie mit zartesten Regungen aus; dabei zeigt sich Laiendarsteller Wu seiner berühmten Partnerin Hai ebenbürtig. Gemeinsam bewältigen beide die harte Feldarbeit und die zahlreichen Demütigungen, die ihnen ihre Mitmenschen antun.

 

Ein lokaler Geschäftsmann namens Zhang, der offenbar als Händler mit dem Getreide der Bauern reich wurde, ist schwer krank und braucht Bluttransfusionen. Im Dorf hat nur Youtie die passende Blutgruppe. Er wird mehrmals zu Blutspenden genötigt – danach speist ihn Zhangs Sohn stets mit leeren Versprechungen ab.

 

Trautes Heim, Glück allein

 

Um die Gegend attraktiver zu machen, lässt die Bezirksregierung unbewohnte Hütten einebnen und zahlt dafür den Besitzern Abrissprämien. Daher müssen Youtie und Guiying, die in diesen ärmlichen Behausungen unterkamen, mehrmals unfreiwillig mit ihrem Esel und Kleinvieh umziehen.

 

Bis sie ihr eigenes Haus bauen: Geschickt formt Youtie hunderte Lehmziegel. Beide errichten daraus Wände, decken sie mit Holzpfählen und breiten Bastmatten darüber. Trautes Heim, Glück allein. Falls die nächste Ernte gut ausfalle, verspricht Youtie seiner Guiying, werde er einen Fernseher anschaffen und ihr die nächste Stadt zeigen, in der sie noch nie war. Doch dazu kommt es nicht mehr.

 

Esel als Reichtum, Habe auf Karren

 

Zauber des Gewöhnlichen: Regisseur Li entführt den Zuschauer in ein Land, das im Westen völlig unbekannt ist, obwohl dort mehr als 500 Millionen Chinesen ihr Dasein fristen – sie müssen mit weniger als 1000 Dollar Kaufkraft im Jahr auskommen. In diesen bitterarmen Regionen wurde die Landwirtschaft nur teilweise mechanisiert: Ein Esel, der tagein, tagaus Pflug und Karren zieht, ist der größte Reichtum des Paares.

 

Im Auto sitzen beide allenfalls, wenn man sie zur Blutspende verfrachtet; ein TV-Gerät steht nur bei ihren Nachbarn. Außer einer verräucherten Schenke und einem Freiluft-Wasserbecken, an dem die Alten ihre Zeit totschlagen, gibt es im Dorf keine Gemeinschaftseinrichtungen. Die gesamte Habe von Youtie und Guiying passt auf ihren Karren. Ihr ganzer Stolz ist ein warmer Mantel, den ihr Mann ihr geschenkt hat.

 

Eher 17.-Jh.-Genremalerei als Gegenwart

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Bis dann, mein Sohn (So long, my son)" – brillant vielschichtige Familien-Doppelchronik in China seit den 1980er Jahren von Wang Xiaoshuai

 

und hier eine Besprechung der Werkschau von "Wang Bing" – grandiose Retrospektive des bedeutendsten Dokumentarfilmers in China auf der documenta 14, Kassel

 

und hier einen Beitrag über den Film "Eine Sekunde" – wunderbar doppelbödiges Porträt armer Dorf-Chinesen während der Kulturrevolution von Zhang Yimou

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Supermarket of the Dead" – exzellente Essay-Schau über traditionelle Brandopfer in China im Residenzschloss, Dresden.

 

Feinfühlig und geduldig begleitet der Film sie bei zahllosen Verrichtungen des bäuerlichen Alltags, die sich seit der Bronzezeit kaum verändert haben: säen, Setzlinge pflegen, mähen, dreschen, Korn mahlen und Teigklöße im Dampf garen. Bei kleinen Freuden: Schwalben beim Nestbau oder Küken beim Schlüpfen beobachten, einen Deko-Esel aus Stroh flechten. Und bei Jahrtausende alten Ritualen wie dem Verbrennen von Objekten aus Papier zur Ehre der Ahnen und ihrer Versorgung im Jenseits: Youtie ruft die Toten namentlich auf, während ein Schein Papiergeld nach dem anderen in die Flammen wandert.

 

Viele der malerischen Szenen auf sonnenverbrannten Feldern erinnern eher an niederländische Genremalerei des 17. Jahrhunderts als an die Gegenwart; oder an Gemälde wie „Die Ährenleserinnen“ (1857) von Jean-François Millet, mit denen Künstler der Schule von Barbizon realistische Agrar-Sujets bildwürdig machten. Offenbar spricht diese zeitgenössische Version viele Landsleute an: „Return to Dust“ wurde in China zum Überraschungs-Erfolg. Der Film spielte im Sommer letzten Jahres das 50-fache seiner Produktionskosten ein, bevor er im September von den Behörden verboten wurde.

 

Zensur erzwingt positiven Schlusssatz

 

Ihnen war vermutlich diese Darstellung provinzieller Rückständigkeit und der dortigen Machtverhältnisse zu wirklichkeitsnah – und das Interesse des Publikums an ihr verdächtig. Der letzte Dialogsatz im Film – die unmotivierte Äußerung, dass Youtie in eine städtische Neubauwohnung umziehen wird – ist wohl von der Zensur erzwungen: Genau das hatte er zuvor entschieden abgelehnt.

 

Weniger Anklang fand „Return to Dust“ im Berlinale-Wettbewerb 2022: Er blieb unprämiert. Den gewann übrigens ein Film mit recht ähnlicher Thematik. „Alcarràs – Die letzte Ernte“ von Carla Simón spielt auch unter armen Obstbauern – aber im Urlaubsland Spanien.