Alejandro Loayza Grisi

Utama – Ein Leben in Würde

Sisa (Luisa Quispe) und andere Frauen waschen im Fluss die Wäsche. Foto: Trigon Film
(Kinostart: 9.2.) Bleiben oder gehen: Wassermangel drängt ein altes Hirtenpaar im Hochland von Bolivien zum Wegzug. Dieses Graswurzel-Klimawandeldrama bebildert Regisseur Alejandro Loayza Grisi mit atemberaubenden Landschaftsaufnahmen – Niedergang und Verlust können kaum schöner aussehen.

Mondlandschaft de luxe: Unwirtliche Gegenden gibt es viele auf der Erde, aber kaum eine wirkt so faszinierend wie der Altiplano im Westen Boliviens. Diese mehr als 3000 Meter über dem Meer gelegene Hochebene ist wüstenhaft karg, aber verschwenderisch mit ihrem Farbenzauber. Der trockene Boden changiert in unzähligen Schattierungen von Beige und Braun; am Horizont schimmern kahle Bergkegel in satten Blau- und Violett-Lavierungen.

 

Info

 

Utama – Ein Leben in Würde

 

Regie: Alejandro Loayza Grisi,

87 Min., Bolivien/ Uruguay/ Frankreich 2022;

mit: José Calcina, Luisa Quispe, Santos Choque

 

Weitere Informatioen zum Film

 

Diesem Komplementärkontrast gewinnt der bolivianische Regisseur Alejandro Loayza Grisi in seinem ersten Spielfilm immer neue Ansichten von atemberaubender Schönheit ab. Man merkt, dass er zuvor als Standbild-Fotograf gearbeitet hat: Alle Einstellungen sind kunstvoll komponiert, ohne manieriert zu erscheinen. Die erhabene Landschaft erleichtert ihm das, aber es wird nie zum Selbstzweck. Vielmehr bettet Loayza Grisi in diesen spektakulären Schauplatz eine so schlichte wie berührende Geschichte ein.

 

Isoliertes Leben in Steinhütte

 

Kaum zu glauben, dass hier Menschen ein Auskommen finden, doch Sisa (Luisa Quispe) und Virgino (José Calcina) tun es – ihr ganzes Leben lang. Das Quechua-Paar haust isoliert in einer Hütte aus Stein am Rand einer dürren Ebene. Beide sind gemeinsam alt geworden; da genügen kleine Gesten und wenige Worte, um sich zu verständigen.

Offizieller Filmtrailer


 

Prozession, um Schneereste zu holen

 

Während Sisa sich um den Haushalt und das mickrige Gemüsebeet kümmert, treibt ihr Mann täglich eine kleine Lama-Herde über die Ebene zum Weiden. Die Tiere tragen Büschel aus roten Wollfäden an den Ohren, wohl als Zeichen ihres Besitzers; sie sind die einzigen grellen Farbtupfer in dieser Symphonie aus gedeckten Tönen.

 

Ihre eingespielte Routine ist gefährdet: Regen bleibt aus, das Wasser wird knapp. Sisa muss immer weiter laufen, um das lebensspendende Nass herbeizuschaffen. Der Ziehbrunnen im nächsten Dorf ist bereits versiegt; allein der weiter entfernte Fluss, der die Ebene durchzieht, führt noch Wasser. Gegen das drohende Vertrocknen aller Felder weiß die Quechua-Dorfgemeinschaft nur einen Rat: eine Prozession zum heiligen Berg, um von dort Schneereste ins Tal zu tragen.

 

Zwei Gesichter wie Landschaften

 

Clever (Santos Choque) hat eine andere Lösung: Er besucht seine Großeltern, um ihnen zu raten, sie sollten ihren Hof aufgeben und zur übrigen Familie in die Stadt ziehen. Ein Vorschlag, der Virginio gar nicht zusagt: Er fürchtet, dort zum entwurzelten Bettler zu werden. Sein Widerstand sorgt in der Hütte für ungewohnt lautstarke Wortgefechte. Die Entscheidung des Konflikts bleibt aus – ein Schicksalsschlag kommt ihr zuvor.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Und dann der Regen – También la Lluvia" – kluges Drama über postkoloniale Konflikte in Bolivien von Icíar Bollaín 

 

und hier eine Besprechung des Films "Salt and Fire"Öko-Katastrophen-Thriller in Bolivien von Werner Herzog

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Das Potosí-Prinzip" – fesselnde Themenschau über die Anden-Barockkunst aus Bolivien im Haus der Kulturen der Welt, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Kallawaya – Heilkunst in den Anden" über Indio-Magie + Schamanismus in Bolivien im Grassi-Museum, Leipzig.

 

Es ist eine einfache und recht vorhersehbare Handlung, die Loayza Grisi in ruhigen Einstellungen allmählich entfaltet – doch sie wird keinen Augenblick langweilig. Dafür sorgen vor allem die beiden Laiendarsteller, die der Regisseur als altes Ehepaar engagiert hat: In ihre wettergegerbten Gesichter haben sich tiefe Falten eingegraben, die vom harten, entbehrungsreichen Dasein zeugen. Dabei genügt ihnen ein subtil reduziertes Minenspiel, um ausdrucksstark ihr Befinden und ihre Absichten deutlich zu machen.

 

Tiefe Stadt-Land-Kluft

 

Ihnen gegenüber geht es ihrem Enkel kaum anders als dem Publikum: Er ahnt ihr Weltverständnis und ihre Sorgen mehr, als dass er sie wirklich versteht. Das beginnt schon bei der Sprache: Clever beherrscht kein Quechua, nur Spanisch. Das Dorfleben mit Lama-Herden im Rhythmus der Jahreszeiten erlebt der Jugendliche allenfalls flüchtig bei kurzen Besuchen. Die Kluft zwischen Stadt und Land sowie die Entfremdung beider Sphären sei in Bolivien enorm, betont der Regisseur: Die traditionelle Quechua-Kultur verschwinde rasant, während Städter diesen Verlust kaum bemerkten.

 

Dessen Ursache ist das eigentliche Thema seines Films: Der Klimawandel trifft diejenigen am stärksten, die am wenigsten dazu beitragen – Arme in der Provinz, die genügsam Subsistenzwirtschaft betreiben. Diese Umwälzung beschreibt Loayza Grisi nur, ohne zu werten; in so hinreißend erlesenen Bildern, dass man sie fast als grausige Ironie empfinden kann.