Jörg Adolph

Vogelperspektiven

Basstölpel im Flug, Vogelbeobachtung auf Helgoland. Foto: © 2022 - Filmperlen - Filmverleih
(Kinostart: 16.2.) Gefiederte Freunde beobachten, bevor sie aussterben: In seiner Naturdoku zwischen Poesie und Aktivismus stellt Regisseur Jörg Adolph passionierte Vogelschützer vor, die zum Engagement einladen – doch der Film verzettelt sich mit zu vielen Themen und Schauplätzen.

Kein Wildtier ist für den Menschen, ob in der Stadt oder auf dem Land, so allgegenwärtig wie Vögel, und kaum eines genießt derart viel Sympathie. Zugleich sind die gefiederten Freunde Indikatoren für Klimawandel und schwindende Artenvielfalt – und damit auch für die Qualität unserer Lebensräume.

 

Info

 

Vogelperspektiven

 

Regie: Jörg Adolph,

106 Min., Deutschland 2022;

mit: Norbert Schäffer, Arnulf Conradi

 

Website zum Film

 

Das Vogelsterben kann auch der beiläufige Beobachter kaum mehr übersehen; für manche Spezies nimmt es dramatische Ausmaße an. So ist etwa der Bestand der Feldlerche hierzulande laut NABU (Naturschutzbund Deutschland) seit 1980 um die Hälfte geschrumpft, der des Kiebitzes sogar um 93 Prozent.

 

Der freundliche Ornithologe

 

„Vogelperspektiven“ bietet einen Einblick in die oft kleinteilige Arbeit von Menschen, die diesem Abwärtstrend auf die eine oder andere Weise etwas entgegen setzen. Ein zentraler Protagonist ist der Ornithologe Dr. Norbert Schäffer, Vorsitzender des bayerischen Landesbunds für Vogel- und Naturschutz.

Offizieller Filmtrailer


 

Bleikugeln und Bartgeier

 

Sein Engagement steht in dem erzählerisch etwas zerfaserten Dokumentarfilm exemplarisch für die Arbeit vieler NGOs. Wie setzt man Natur- und Artenschutz auf die öffentliche Agenda – und schickt zudem die „richtigen“ Botschaften in die Welt? Dafür braucht es eben gute Kommunikation: nicht nur mit Lobbyverbänden und Politikbetrieb, sondern auch mit der Öffentlichkeit.

 

Ein Beispiel ist die Überzeugungsarbeit, die zu leisten ist, damit Jäger künftig auf bleihaltige Munition verzichten. Solche Munition ist für Aasfresser häufig tödlich, weil das Schwermetall über die Tierkadaver in ihren Organismus gelangt. Für die in den bayerischen Alpen geplante Auswilderung von Bartgeiern ist das ein wichtiger Aspekt, damit das Projekt überhaupt Erfolgsaussichten hat. Der größte Greifvogel Europas ist dort bereits seit 140 Jahren ausgerottet.

 

Der poetische Vogelbeobachter

 

Ebenfalls ein Kampagnenthema: das Verschwinden der Moore. Vielleicht weil sie für die Freizeitgestaltung der Bevölkerung keine große Rolle spielen, fehlt es an Bewusstsein für diese Umweltkatastrophe. Doch Moore sind eben nicht nur Lebensraum für gefährdete Vogelarten, sondern auch ein wichtiger CO2-Speicher.

 

Dr. Schäffer, stets freundlich und zugewandt, vermittelt Einblicke in die unterschiedlichen Bereiche seiner Arbeit. Das ist zwar lehrreich, aber oft nicht sehr spannend. Dieses Dilemma versucht Regisseur Jörg Adolph zu lösen, indem er einen zweiten Protagonisten einführt: Arnulf Conradi, Gründer des „Berlin Verlags“ – und leidenschaftlicher Vogelbeobachter. Er hat einen ganz anderen, poetischen Zugang zur Vogelwelt. Filmpassagen mit spektakulären Nahaufnahmen sind unterlegt mit Conradis philosophischen Exkursen über Perspektiven, die sich dem Menschen erst durch die Vögel eröffnen.

 

Engagement statt passives Staunen

 

Adolph versucht, zwei Perspektiven miteinander zu verschränken, die sich in ähnlichen Dokus zumeist ausschließen: die sinnliche und die aktivistische. Schon in seinem letzten Film „Das geheime Leben der Bäume“ (2020) hatte er das Genre Naturfilm mit dem Porträt eines Aktivisten verbunden. Damals im Mittelpunkt: Peter Wohlleben, Förster und Autor des gleichnamigen Bestsellers. Diesmal funktioniert dieser Ansatz allerdings nur bedingt: Die häufigen Perspektivenwechsel erweisen sich als dramaturgische Stolpersteine.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Das geheime Leben der Bäume" – Essay-Film über Peter Wohllebens Bestseller von Jörg Adolph + Jan Haft

 

und hier eine Besprechung des Films "Das grüne Wunder – Unser Wald" – Langzeit-Doku von Naturfilmer Jan Haft

 

und hier einen Bericht über den Film "Fantastische Pilze – Die magische Welt zu unseren Füßen" – visuell eindrucksvolle Natur-Doku von Louie Schwartzberg

 

und hier einen Beitrag über die Dokumentation "Samsara" -  über Natur-Schönheiten + ihre Zerstörung weltweit von Ron Fricke.

 

Dabei kann man den Spagat, den der Film versucht, grundsätzlich sympathisch finden: Die zunehmend spektakuläre Anmutung von Naturdokus, die mit eindrucksvoller Kameratechnik auf emotionale Überwältigung setzen, lässt die Zuschauer zu passiven Betrachtern werden. Hier wird der ästhetischen Sicht die aktivistische gegenübergestellt – das zeigt dem Vogelfreund, dass es viele Möglichkeiten gibt, sich zu engagieren, statt nur staunend auf eine sterbende Welt zu blicken.

 

Die beste Birdwatcherin

 

Doch Adolph macht schlichtweg zu viele Fässer auf. Etwa, wenn er mit seinem Exkurs zur US-amerikanischen Ornithologin Phoebe Snetsinger den regionalen Fokus des Films aufbricht. Die ehemalige Lehrerin hatte sich nach einer Krebsdiagnose nur noch ihrem liebsten Hobby gewidmet; sie schaffte es, 8500 Wildvogelarten zu sehen – mehr als irgendein Mensch vor ihr. Auf der Erde gibt es insgesamt etwa 10.000 Vogelarten.

 

Den Krebs überlebte Snetsinger 18 Jahre lang; am Ende starb sie auf Madagaskar bei einem Verkehrsunfall. Sicher eine faszinierende Person, doch was diese Episode vermitteln soll, bleibt unklar – dass die Liebe zu Vögeln sogar Todgeweihten ungeahnte Energieschübe verleiht? Der in einigen Passagen faszinierende, bisweilen auch zähe Film hinterlässt bei allem Erkenntnisgewinn insgesamt einen diffusen Eindruck.