Gunnar Vikene

War Sailor

Alfred (Kristoffer Joner) in mißlicher Lage. Foto: © Roxana Reiss / Mer Film DCM
(Kinostart: 9.2.) Kriegsmatrosen ohne Heimathafen: Als die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg Norwegen besetzt, müssen zwei Seeleute fortan auf US-Konvois fahren, die Bomben transportieren. In eindrucksvollen Bildern zeigt Regisseur Gunnar Vikene, dass Neutralität vor Kriegselend nicht schützt.

Der Zweite Weltkrieg in Norwegen ist lange Zeit eine Fußnote der Geschichtsschreibung geblieben – die entscheidenden Schlachten fanden woanders statt. Tatsächlich war jedoch das Dritte Reich so sehr auf norwegisches Eisenerz angewiesen, dass es die Neutralität des Landes verletzte, noch bevor die Wehrmacht zum Angriff auf Frankreich überging. Weitgehend vergessen ist überdies, dass die norwegische Armee gemeinsam mit britischen, polnischen und französischen Truppen bei der vorübergehenden Rückeroberung von Narvik Hitlers Armee die erste Niederlage breitete.

 

Info

 

War Sailor

 

Regie: Gunnar Vikene,

150 Min., Norwegen/ Deutschland 2023;

mit: Kristoffer Joner, Pål Sverre Hagen, Ine Marie Wilmann

 

Weitere Informationen zum Film

 

Im letzten Jahr erinnerte der norwegische Spielfilm „Narvik“ an dieses Kapitel der Kriegsgeschichte. Nun folgt mit „War Sailor“ eine weitere aufwändige Produktion zum Zweiten Weltkrieg – die bisher teuerste norwegische Filmproduktion überhaupt. „Narvik“ war noch im Stil eines TV-Films gehalten; „War Sailor“ schlägt einen ganz anderen Ton an.

 

Böse Vorahnungen

 

Man wähnt sich zunächst in einem Autorenfilm: Der Abschied der Hauptfigur Alfred (Kristoffer Joner) von seiner Familie wird mit einer hektischen Handkamera gefilmt und dräuenden Streichern unterlegt. Die bösen Vorahnungen von Alfreds Tochter sollen sich alle bestätigen. Dabei ist er noch nicht einmal Soldat, sondern fährt, weil er an Land keine Arbeit findet, mit seinem besten Freund Sigbjørn (Pål Sverre Hagen) zur See.

Offizieller Filmtrailer


 

Kriegsmatrosen ohne Heimathafen

 

Kurze Zeit später überfällt und besetzt die Wehrmacht Norwegen. Wie Tausende anderer norwegischer Seeleute sind Alfred und Sigbjørn nun „War Sailors“ – Kriegsmatrosen ohne Heimathafen. Sie fahren von jetzt an mit jenen Konvois, die Waffen von den USA zu den Alliierten nach Europa transportieren. Wie die Seeleute wohl wissen, sind darunter Bomben, mit denen die britische Royal Air Force auch Bergen und Narvik attackiert – und die ihre Schiffe zu schwimmenden Pulverfässern machen.

 

Nicht wenige Matrosen machen sich aus dem Staub. Einzig die Loyalität zu seinen Freunden hält Alfred davon ab, sich von einem Himmelfahrtskommando nach Murmansk abzusetzen – und tatsächlich wird sein Schiff auf der gefürchteten Route von einem deutschen U-Boot versenkt. Kurz darauf zerstört eine britische Fliegerbombe sein Haus in Bergen. Der Film ist gerade eine Stunde alt, und doch ist schon so viel Schreckliches passiert, dass sich die Frage stellt, was Regisseur Gunnar Vikene seinen Figuren noch alles antun will.

 

Kein Platz für Patriotismus

 

Ihm fällt noch allerhand ein. Für Patriotismus oder Moral ist dabei wenig Raum. Während seine Frau Cecilia (Ine Marie Wilmann) versucht, die Familie durch den Krieg zu bringen, sieht Alfred viele Menschen sterben. Einige kann er auch vor dem Tod retten – und er wird jemanden töten. Die bittere Ironie dabei ist: Sein Opfer ist kein Feind. Als der Krieg vorbei ist, ist er ein gebrochener Mann und verschwindet.

 

Aber damit ist der epische Film noch nicht zuende. Ähnlich US-amerikanischen Vorbildern wie Michael Ciminos „The Deer Hunter“ aus dem Jahr 1978 berichtet „War Sailor“ über die schwierige Zeit danach. Der nun stiller gewordene Film folgt Alfred, den sein Verschwinden die Rente und seinen guten Ruf gekostet hat, bis in die 1970er Jahre, wo sich die Erzählung schließlich einen kleinen Lichtschimmer leistet.

 

Neutralität schützt nicht vor Krieg

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Dunkirk" – monumentales Echtzeit-Epos über die Evakuierung britischer Truppen im Zweiten Weltkrieg von Christopher Nolan

 

und hier eine Besprechung des Films "Krieg und Frieden (WA)Verfilmung des Roman-Klassikers von Leo Tolstoj durch Sergej Bondartschuk

 

und hier einen Beitrag über den Film "Unter dem Sand - Das Versprechen der Freiheit" – beeindruckendes Drama über deutsche Kriegsgefangene als Minenräumer in Dänemark 1945 von Martin Zandvliet

 

Auf dem Weg dahin hat Vikene – von kammerspielartigen Szenen bis zu technisch wie dramatisch eindrucksvollen Einstellungen auf hoher See – alle Register des modernen Kinos gezogen. Dabei verzichtet er darauf, tatsächliche Gefechtshandlungen zu zeigen, irgendeinen nationalen Zusammenhalt zu beschwören oder auch nur den Zeigefinger zu erheben.

 

Tatsächlich fällt keine der Figuren durch eine politische Haltung auf. Dass dieses Land zerrissen wird, ist in „War Sailor“ keine Frage von Antifaschismus oder offener Sympathie mit Nazi-Deutschland, sondern hängt allein davon ab, wo sich jemand zum Zeitpunkt des Kriegseintritts aufhält. „War Sailor“ erklärt dem Krieg selbst den Krieg – und der Film räumt ein, dass Neutralität nicht vor Kriegselend schützen muss. Dieses Dilemma treibt Norwegen nicht erst seit dem Krieg in der Ukraine um.

 

In Erinnerung bleiben neben eindrücklich gefilmten Bildern von Tod und Zerstörung ein kongenialer Score von Volker Bertelmann und das ausgezeichnete Casting. Vor allem die beiden Seemänner Kristoffer Joner und Pål Sverre Hagen überzeugen mit oft von langem Schweigen bestimmtem Spiel, während sich ihre extremem Erfahrungen im Lauf der 150 Minuten tief in ihre Gesichter schreiben.