Berlin

Phantome der Nacht – 100 Jahre Nosferatu

Albin Grau: Entwurf Filmplakat Nosferatu, 1921, Aquarell auf Halbkarton, 16 x 19 cm, Bildnachlass Albin Grau. Foto: © Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, Trogen (Schweiz)
Die Geburt des Vampirfilms aus dem Geist der Werbegrafik: Der Produzent von Murnaus Stummfilm-Klassiker war Esoteriker und Reklame-Profi. Zum 100. Jubiläum der Uraufführung zeigt die Sammlung Scharf-Gerstenberg Einflüsse, Entstehung und Wirkung – originell und angemessen düster inszeniert.

Das Horrorkino ist ein Meister aus Deutschland. Stilprägend für das Genre wirkte neben „Das Kabinett des Dr. Caligari“ (1920) und „Der Golem, wie er in die Welt kam“ (1920) vor allem „Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens“; er war zugleich der erste Vampirfilm. Zum 100-jährigen Jubiläum der Uraufführung widmet sich nun die Sammlung Scharf-Gerstenberg, die auf Surrealismus und Verwandtes spezialisiert ist, dem Meisterwerk von Regisseur Friedrich Wilhelm Murnau (1888-1931).

 

Info

 

Phantome der Nacht –
100 Jahre Nosferatu

 

16.12.2022 - 23.4.2023

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr

in der Sammlung Scharf-Gerstenberg, Schloßstr. 70, Berlin

 

Katalog 38 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Die kleine, feine Ausstellung wird originell und angemessen schummrig in Szene gesetzt. Nach einem Prolog zur Premiere am 4. März 1922 durchschreitet der Besucher fünf Kabinette, analog zu den fünf Kapiteln des Films. Loop-Projektionen von kurzen Ausschnitten werden kontrastiert mit Kunstwerken aus der Romantik bis zum Symbolismus, die bei der Gestaltung als Inspirationsquelle gedient haben.

 

Wenig erläutertes Zwischenreich

 

Gedämpftes Licht, frei hängende Leinwände und spanische Vorhänge verleihen dem Ganzen einen leicht unwirklichen, traumhaften Zug, als wandere man durch ein Zwischenreich. Allerdings setzen die Macher vorwiegend auf visuelle Eindrücke. Erläuterungen fallen spärlich aus und finden sich vor allem im Katalog – ebenso wie die windungsreiche und geradezu fantastische Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des Stummfilms.

Impressionen der Ausstellung


 

Nosferatu-Plakate auf Berliner Plätzen

 

Regisseur Murnau kam vergleichsweise spät ins Team. Die Idee zu diesem Vampirfilm hatte Albin Grau (1884-1971); ein schillernder Künstler mit esoterischen Neigungen, der als Werbegrafiker tätig war. Eigens für sein „Nosferatu“-Projekt gründete er mit einem Kaufmann die „Prana-Film“. Der Name bedeutete „Lebenshauch“, doch den hauchte die Produktionsgesellschaft nach Fertigstellung ihres Debüts bald aus – sie ging bankrott.

 

Der Okkultist Grau hatte große Pläne; er wollte mit dem neuen Medium Kino komplexe und spirituelle Werke schaffen, die auf Theaterbühnen unrealisierbar waren. Für die Dreharbeiten entwarf er nicht nur ausgefeilte Kulissen, Dekorationen und Kostüme, sondern im Alleingang auch eine aufwändige Werbekampagne. Plakate in kühlen Blau-Grün-Tönen mit schauerlich stilisierten Nosferatu-Gestalten – halb Vampir, halb Ratte – zierten große Berliner Plätze. Grau schrieb und illustrierte auch Artikel und Anzeigen für Fachblätter und hauseigene Broschüren.

 

Reklame war teurer als Dreharbeiten

 

Die Uraufführung im Marmorsaal des Zoologischen Gartens setzte glamouröse Maßstäbe. Beim „Fest des Nosferatu“ sollten die Gäste in Biedermeier-Kleidung erscheinen. Ein musikalischer Prolog ging der Vorführung voraus, die „Serenade“ einer Staatsopern-Tänzerin schloss daran an, zum Abschluss folgte ein Kostümball mit vielen Stummfilm-Stars. Dieses Spektakel wurde in einer Hinsicht wegweisend für die Branche: Erstmals waren die Ausgaben für Reklame höher als das Budget für die Dreharbeiten.

 

Dennoch wurde „Nosferatu“ ein Flop, weil ihn nur wenige Kinos buchten; schon im August 1922 war die „Prana-Film“ pleite. Zudem hatte Drehbuchautor Henrik Galeen Bram Stokers „Dracula“-Roman als Vorlage benutzt, ohne sich um die Rechte zu bemühen. Daher ordnete 1925 ein Berliner Gericht an, alle Kopien zu vernichten. Davon bleiben nur die ausgenommen, die ins Ausland verkauft worden waren: Ende der 1920er Jahre begeisterten sich die Surrealisten für die französische Fassung. Aus ihr wurde in den USA eine englische Version erstellt – und die wiederum 1930 in Deutschland zum Tonfilm „Die zwölfte Stunde“ umgearbeitet. Heutzutage kursieren etwa ein Dutzend mehr oder weniger restaurierte Filmversionen.

 

Spinne im Netz als Leitmotiv

 

Trotz des anfänglichen Misserfolgs wurde „Nosferatu“ im Lauf der Jahre sehr einflussreich und setzte Standards für Vampirfilme; sogar die Art Zoropsis spinimana wurde auf Deutsch „Nosferatu-Spinne“ benannt, weil die Zeichnung auf ihrem Vorderkörper seinem Schädel ähnelt. Nicht zufällig, denn Spinne und Netz sind zentrale Metaphern des Werks: Nach Graus Worten kam ihm die Idee zum Vampirfilm, als er „eine Spinne beobachtete, die ihr Opfer aussaugte“. Ihr Netz taucht leitmotivisch immer wieder auf; etwa im Schachbrett-Boden des Schlosses von Graf Orlok, so Nosferatus eigentlicher Name, oder bei Sprossenfenstern, hinter denen er lauernd wartet.

 

Dessen Status als untotes Wesen nicht von dieser Welt veranschaulicht Regisseur Murnau durch seine innovative Filmsprache mit vielen Tricks. Mal bewegt sich der Graf quälend langsam, mal dank Zeitraffer unnatürlich schnell. Doppelbelichtung und Überblendungen lassen ihn geisterhaft-körperlos erscheinen, so dass er durch geschlossene Türen gehen kann. In meist dunkler Umgebung taucht sein Schlagschatten als böses Omen auf, das ihm vorauseilt. Zudem sind die verschiedenen Zonen und Zeiträume im Film unterschiedlich viragiert, also eingefärbt.

 

Hyänen, Ratten + Saugrüssler von Kubin

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Von Caligari zu Hitler – Das deutsche Kino im Zeitalter der Massen" – gelungener Essayfilm über die Stummfilm-Ära der Weimarer Republik von Rüdiger Suchsland

 

und hier eine Kritik der Ausstellung "Friedrich Wilhelm Murnau – Eine Hommage" für den Regisseur der Filmklassiker "Nosferatu" +"Tabu" im Lenbachhaus, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Afterimages" – gelungene Themenschau zur "Schwarzen Romantik in der Film- und Videokunst" in der Kunstsammlung Jena

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Werner Herzog" - facettenreiche Jubiläumsschau zum 80. Geburtstag des Regisseurs der Hommage "Nosferatu - Phantom der Nacht" im Museum für Film und Fernsehen, Berlin.

 

So entsteht eine somnambul spukhafte Atmosphäre, die mit ausgesuchten Anleihen bei der Kunstgeschichte noch verstärkt wird. Anfangsszenen mit der Hauptfigur Thomas Hutter, der zwecks Hausverkauf zu Nosferatu geschickt wird, und seiner Frau Ellen sind komponiert wie romantische Gemälde etwa von Caspar David Friedrich oder Carl Blechen. Nachdem Hutter von Nosferatu nachts gebissen wurde, liegt er diagonal und ohnmächtig auf seinem Stuhl – in derselben Pose wie die Frau auf einer Radierung der „Caprichos“ von Francisco de Goya, deren Mann klagend die Qualen des „Tantalo“ leidet; so der Titel des Blatts.

 

Die meisten optischen Vorbilder lieferte aber der symbolistische Grafiker Alfred Kubin (1877-1959); gefühlt jedes dritte Exponat ist von seiner Hand. Wirken seine düster-drastischen Traumvisionen inzwischen arg plakativ und krass, passten sie damals offenbar perfekt zum morbiden Sujet des Films. Die todbringenden Pest-Ratten auf dem Schiff, mit dem Nosferatu zum Hafenstädtchen Wisborg reist, finden sich in Scharen auf Kubins Federzeichnungen; ebenso Hyänen, Saugrüssler und schmarotzendes Getier aller Art.

 

Sich opfern wie der Heiland

 

Auch der Belgier Felicien Rops (1833-1898) kultivierte abseitige Untergangsfantasien, auf die Grau und Murnau zurückgriffen. Andere Bildbeispiele überzeugen weniger – insbesondere, wenn sie Jahre nach den Dreharbeiten entstanden, also eher vom Film beeinflusst worden sind als umgekehrt. Für dessen Schluss entwickelte das Trio jedoch die kryptochristliche Konstruktion des Vampir-Mythos eigenständig weiter.

 

Wie jedermann weiß, lassen sich Blutsauger nicht nur durch Knoblauch abschrecken, sondern auch durch Kreuze. Sowie durch das göttliche Sonnenlicht: Davon beschienen, löst sich Nosferatu am Filmende in Nichts auf – ein Novum. Damit es dazu kommt, muss Hutters Frau Ellen dem Unhold die ganze Nacht lang beiwohnen, was sie nicht überlebt. Sie opfert sich also, um die Menschen vom Bösen zu erlösen – wie der Heiland knapp 1900 Jahre vor ihr.