
Familie ist kein Wort, sondern ein Satz – so lautete sinngemäß das Motto von Wes Andersons Komödien-Klassiker „Die Royal Tenenbaums“ von 2001. Bei Hirokazu Kore-eda scheint diese Aussage seine ganze Laufbahn zusammenzufassen. Von “Nobody Knows“ (2004), in dem eine Mutter ihre vier Kinder alleine in der Wohnung zurücklässt, bis zum Cannes-Siegerfilm „Shoplifters“ (2018) hat der japanische Regisseur sich stets darauf konzentriert, die komplexe Beziehungs-Dynamik innerhalb von Familien zu beschreiben.
Info
Broker – Familie gesucht
Regie: Hirokazu Kore-eda.
129 Min., Südkorea 2022;
mit: Song Kang-ho, Gang Dong-won, Bae Doona
Weitere Informationen zum Film
Polizei beobachtet Babyklappe
Die Geschichte beginnt, als die junge Mutter So-young (Lee Ji-eun) in einer verregneten Nacht ihr Neugeborenes vor einer kirchlichen Babyklappe in der südkoreanischen Hafenstadt Busan ablegt. Dabei wird sie von zwei Polizeibeamtinnen beobachtet: Sie überwachen die Wohltätigkeitsorganisation, um einer Gruppe von Menschenhändlern auf die Spur zu kommen.
Offizieller Filmtrailer
Mutter schließt sich Kidnappern an
Ihr Verdacht ist begründet: Kaum hat sich So-young von ihrem Sohn verabschiedet, wird er von Dong-soo (Gang Dong-won) und Sang-hyun (Song Kang-ho) entführt. Beide bessern ihren Lebensunterhalt auf, indem sie ungewollte Babys an kinderlose Eltern verkaufen. Das geht so: Dong-soo hat durch seine Aktivität in der Kirche Zugang zu ihren Räumen – die ergatterten Säuglinge werden dann kurzfristig in der Wäscherei seines Komplizen versteckt. Als sich die junge Mutter umbesinnt und ihr Baby zurückholen will, ist es bereits verschwunden.
Die Handlung nimmt jedoch eine überraschende Wendung, als So-young mit den beiden Gaunern in Kontakt kommt. Sie ist immer noch unsicher, ob sie tatsächlich eine Mutterrolle übernehmen will, begreift aber, dass man mit dem illegalen Handel von Kleinkindern viel Geld verdienen kann. Also macht sie sich gemeinsam mit den Entführern auf eine Reise quer durchs Land, um potentielle Adoptiveltern ausfindig zu machen.
Waise als ultimative Charmeoffensive
Für die ultimative Charmeoffensive in diesem Quartett sorgt zudem ein kleiner Waisenjunge aus der Kirche: Er hat sich im Kofferraum ihres Kleintransporters versteckt und wird erst entdeckt, als eine Rückkehr bereits ausgeschlossen ist. Damit ist die improvisierte Ersatzfamilie komplett. Ihre Mitglieder sind dem Zuschauer trotz ihrer individuellen Verfehlungen zu diesem Zeitpunkt längst ans Herz gewachsen.
Allerdings tut sich Regisseur diesmal etwas schwerer damit, den passenden erzählerischen Rhythmus zu finden. Nicht nur wirkt die Figuren-Konstellation recht konstruiert. Ein überflüssiger Krimi-Nebenplot, der parallel zum Entführungsdrama abläuft, bringt die Handlung zusätzlich immer wieder aus dem Gleichgewicht. Dadurch fehlt “Broker” die wunderbare Beiläufigkeit, mit der Kore-eda sonst inszeniert.
Alles und jeder ist sympathisch
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Shoplifters – Familienbande" – Porträt einer Prekariats-Familie in Japan von Hirokazu Kore-eda, Gewinner der Goldenen Palme 2018
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Stattdessen setzen Drehbuch und Inszenierung auf unterhaltsame Situationskomik; dafür sorgen vor allem der südkoreanische Star-Schauspieler Song Kang-ho und die Popsängerin Lee Ji-eun. Sie profiliert sich im Ensemble als Leinwand-Entdeckung, während die Kinderdarsteller mit niedlicher Natürlichkeit und Direktheit die Schwachstellen der Dramaturgie überspielen sollen.
Das Glück im Miteinander finden
Einmal sagt So-young nachts zu jedem Mitglied ihrer neuen Patchwork-Familie: „Danke, dass du geboren bist.“ Diese Dialogzeile ist für Kore-eda typisch: Er behandelt alle seine Figuren mit menschlicher Wärme und unbedingtem Wohlwollen. Egal wie gebrochen oder fehlerhaft sie sein mögen, behalten sie im Film stets die Chance, im Miteinander ihr Glück zu finden – eine sehr humanistische, aber auch reichlich idealistische Perspektive.