Hamburg

Femme Fatale: Blick – Macht – Gender

Lovis Corinth (1858–1925): Salome II, 1899/1900, Öl auf Leinwand, 127 × 147 cm. Museum der bildenden Künste, Leipzig. © bpk / MdbK/ Ursula Gerstenberger
Kampf der Geschlechter, nächste Runde: Erotisch aufgeladene Fantasien von männermordenden Frauen geistern seit alters her durch die abendländische Kultur. 200 drastische Darstellungen zeigt die Hamburger Kunsthalle – um sie am Ende für überholt zu erklären: mit Gegenwartskunst, die Diversität feiert.

In dieser Ausstellung sind die Männer Opfer und arme Würstchen. Belauert, verführt und willenlos gemacht, werden sie nach Strich und Faden ausgetrickst oder gar ermordet. Ohnehin schrumpfen sie zu Randfiguren des Geschehens, wenn sie überhaupt vorkommen. Umso machtvoller tritt die Weiblichkeit auf.

 

Info

 

Femme Fatale: Blick – Macht – Gender

 

09.12.2022 - 10.04.2023

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr

in der Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall 5, Hamburg

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Raubtierartige Blicke, laszive Posen, scharf blitzende Schwerter: Die rund 200 Werke in der Hamburger Kunsthalle geben dominanten Frauen eine Bühne. Alle Register der Malkunst werden gezogen, um die Schönen verführerisch und verhängnisvoll ins Bild setzen. Blondes Haar wallt, Brüste recken sich. Die vielfach großformatigen Gemälde schwelgen in malerischer Opulenz, bieten effektvolle Bilddramaturgien auf und zelebrieren genüsslich einen Mythos in allen Facetten.

 

Anfänge im Alten Testament

 

„Femme Fatale“ – wirklich treffend übersetzen lässt sich der zugkräftige, schillernde Begriff nicht. Gemeinhin verbindet sich damit vor allem die Ära des Fin de Siècle um 1900. Aber die Vorstellung einer bedrohlichen weiblichen Sexualität, die sich darin gefällt, Männer zugrunde zu richten, existiert seit der Antike in der abendländischen Kultur – sie grundiert schon alttestamentarische Bibelerzählungen.

Impressionen der Ausstellung


 

Kein Katalog, aber KI-Chatbots

 

Ob Medusa oder Medea, Lilith oder Salome, Lucrezia Borgia oder Salammbô: Die Schau versammelt ein schillerndes Promi-Meeting berückend attraktiver Geschöpfe. Dabei beschränkt sich die Werkauswahl auf die Epoche des Industriezeitalters seit dem frühen 19. Jahrhundert. Während die weibliche Hälfte der Gesellschaft immer mehr gesellschaftliche Teilhabe und Rechte einforderte, hatte die Figur der Femme Fatale in den Künsten Hochkonjunktur – das war vermutlich kein Zufall.

 

Ihre Anziehungskraft ist ungebrochen. Das Publikum strömt in Scharen durch die verwinkelten Säle. Doch hält die Schau, was die zeitgeistige Begriffs-Trias „Blick – Macht – Gender“ im Untertitel an Reflexionsniveau verspricht? Das Besuchserlebnis fällt zwiespältig aus. Es fehlt an Infomaterial, auf Objekttexte wurde völlig verzichtet, und der Katalog war selbst Wochen nach Eröffnung noch nicht druckreif. Dafür laden sechs der dargestellten Femmes Fatales per Chatbot mit Hilfe künstlicher Intelligenz zum Gedankenaustausch – wenn die nötige App funktioniert. Ein Gratisheft nebst Glossar von „Ableismus“ bis „White Supremacy“ will aus LGBTQI*-Sicht die Perspektive erweitern.

 

Auf- + Abtauchen der Loreley

 

Im ersten Raum steigen die Akteurinnen aus unheilvollen Wassern: Das feuchte Element steht hier für den Ursumpf des Sinnlichen. Mal mit Nixenschwanz als mittelalterliche Melusine, mal als nordisches Meerweib stellen sich die Heldinnen vor. Die Loreley führt den Reigen der fatalen Frauen variantenreich an: Imponierend hockt sie auf ihrem Fels überm Rhein.

 

Ihren Mythos schuf der Romantiker Clemens Brentano mit seiner Ballade von 1801; populär wurde er durch Heinrich Heines „Lied von der Loreley“ von 1824. Maler setzten die Blondine anfangs züchtig bekleidet, später zunehmend erotisiert ins Bild. Mittlerweile ist die damals enorm populäre Phantasiegestalt wieder abgetaucht in die Tiefen des kulturellen Gedächtnissen. Von ihr bleibt, auf einem mittig im Raum platzierten Werk, nur der nackte Fels. Ihn hat der Künstler Aloys Rump 2022 aus Schiefer-Steinmehl vom Rheinufer reliefartig auf die Leinwand geschichtet.

 

Um 1900 werden Frauen zu Raubtieren

 

So geht es weiter: Mit Einsprengseln aus der heutigen Kunst navigiert die Schau durch die Gewässer der Kulturgeschichte in Richtung Gegenwart. Die britischen Präraffaeliten gaben der schaurig-schönen Vorstellung von der Femme Fatale gehörig Schub. Wenn John William Waterhouse seine Circe einen blutroten Zaubertrank kredenzen lässt, um den armen Odysseus zu „bezirzen“, wird der Betrachter zu Füßen der Göttin selbst in die Rolle des machtlosen Opfers versetzt. Ihr zartes Gewand ist selbstverständlich durchscheinend. Überraschend zurückhaltend tritt inmitten all der aufreizenden Frauen eine „Medea“ von Evelyn de Morgan auf. Als Ausnahmeerscheinung – Werke aus Frauenhand sind in dieser Epoche rar.

 

Im München um 1900 profitierten Malerfürsten wie Franz von Stuck und Franz Lenbach reichlich vom düsteren Glamour ihrer Bildheldinnen. Nun kamen animalische Motive in Mode: Leopardenfell-Optik, sich windende Schlangen oder geheimnisvolle Sphingen mit Löwenkörper signalisierten Triebhaftigkeit und todbringende Macht. Frauen wurden buchstäblich zu Raubtieren. Auch das hat Tradition: Die antike Medusa ließ jeden zu Stein erstarren, der ihr Schlangenhaupt erblickte. Dass sie laut Überlieferung zusätzlich mit Schweinszähnen und Schuppenhaut schockte, unterschlugen die Maler. Ohne appetitliche Schönheit keine Femme Fatale.

 

Wiederholungen reiten Schlüsselreize zu Tode

 

Die mörderischen Akteurinnen Salome und Judith aus der Bibel wurden um 1900 ebenfalls sexualisiert. Das Sich-Räkeln und Böse-Blicke-Werfen in den dicht bestückten Sälen will kein Ende nehmen. Ermüdende Wiederholungseffekte stellen sich ein; die Dramaturgie der Präsentation verliert an Stringenz und gerät ins Schlingern. Immerhin wird dadurch deutlich, wie sehr die Maler altbekannte Schlüsselreize und Posen zu Tode ritten.

 

Sogar der nüchterne Realist Max Liebermann nahm sich 1902 der beliebten Thematik an: Triumphierend hält eine nackte Delila den Haarschopf hoch, den sie einem niedergeschlagenen Samson soeben abgeschnitten hatte. Zur gleichen Zeit pinselte der Symbolist Odilon Redon gegenstandslose Farbräume, um das Sujet ins Traumartige zu öffnen. Bei Edvard Munch sind alle sinnlichen Oberflächenreize passé. Unumwunden bringt er wohl auch eigene Seelennöte auf den Punkt: „Im männlichen Gehirn“, so der Titel, verortet sein expressiver Holzschnitt eine nackte Frau.

 

Vorführen, was entlarvt werden soll

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "SUSANNA – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo" - hervorragende Themenschau zum Vergewaltigungs-Motiv im Wallraf-Richartz-Museum, Köln

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Dekadenz und dunkle Träume. Der belgische Symbolismus" - erstklassige Epochenschau mit etlichen Femme-Fatale-Darstellungen im Alten Museum, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Queensize – Female Artists from the Olbricht Collection" im me Collectors Room/Stiftung Olbricht, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Kleopatra. Die ewige Diva" - facettenreiche Schau über den Imagewandel der antiken Herrscherin in der Bundeskunsthalle, Bonn

 

und hier eine Kritik der Ausstellung "Feuerbachs Musen – Lagerfelds Models" - effekthascherische Doppelschau in der Hamburger Kunsthalle.

 

Allerdings entkommt die Ausstellung dem selbst geschaffenen Dilemma nicht: Sie muss vorführen und ausbreiten, was sie eigentlich entlarven und aushebeln will. Auf diese Weise werden die aus Männerphantasien entstandenen Klischeebilder weiblicher Körper als Projektionsflächen für Gelüste und Ängste wirkmächtig reproduziert.

 

Am Ende versucht die Ausstellung, dem mit aller Kraft entgegenzusteuern. Zeitgenössische Fotoserien, Videos und Gemälde, überwiegend von Frauen geschaffen, lassen klassische Femme-Fatale-Klischees hinter sich. Silvia Sleighs farbenfrohes Gemälde „Lilith“ von 1967 gibt dem alternativen Mythos von Adams erster Ehefrau einen lebensgroßen androgynen Körper, der nicht eindeutig als männlich oder weiblich zu bestimmen ist.

 

Neues Geschlechterverständnis

 

Bei Dorothy Iannone wird 1970 fröhlich und variantenreich gevögelt. Über ihren comicartig stilisierten Figuren steht kämpferisch in Balkenlettern: „The next great Moment in History is Ours“ – solche Siegesgewissheit kommt inzwischen ohne explizit Sexuelles aus. Auch die Fotografin Nan Goldin, die queere Paradiesvögel porträtierte, und Jenevieve Aken mit ihren Selbstinszenierungen dokumentieren ein neues Geschlechterverständnis im Sinne von Diversität.

 

Als Publikumsmagnet fungieren die „Six Acts“ der afrokaribischen Künstlerin Sonia Boyce. Ihre Videoarbeit zeigt eine umstrittene Performance 2018 in der Manchester Art Gallery, bei der die Darsteller sehr freizügig und lautstark mit den Exponaten und Besuchern im Museum agieren. Inwieweit ihr Umgang mit dem Femme-Fatale-Bestand mehr als Bilderstürmerei und cancel culture ist, bleibt offen.