Willem Dafoe

Inside

Nemo (Willem Dafoe) stiehlt gerne Gemälde. Foto: Wolfgang Ennenbach / Focus Features
(Kinostart: 16.3.) Schiele-Bilder, Kaviar im Kühlschrank, aber kein Wasser aus dem Hahn: William Dafoe gerät als Kunstdieb in ein Smart Home, das sich als High-Tech-Falle entpuppt. Seine Robinsonade im Penthouse inszeniert Regisseur Vasilis Katsoupis ideenreich, aber letztlich beliebig.

Nemo (Willem Dafoe) ist Kunstliebhaber. Auf die Frage seines Lehrers, was er aus einem brennenden Haus retten würde, antwortete er als Kind: sein Skizzenbuch, seine Katze und eine AC/DC-Platte. Das erfährt der Zuschauer durch einen Off-Kommentar, bevor dieses Kammerspiel richtig beginnt. Nemo verschwendet keine Gedanken an seine Familie – die Frage, ob ihn das zum schlechten Menschen macht, bleibt unbeantwortet.

 

Info

 

Inside

 

Regie: Vasilis Katsoupis,

105 Min., Deutschland / Griechenland / Belgien 2023;

mit: Willem Dafoe, Gene Bervoets, Eliza Stuyck

 

Weitere Informationen zum Film

 

Nemo liebt die Kunst nicht nur, er lebt von ihr – als Kunstdieb. Ohne viel über die Hintergründe zu erfahren, sieht man ihn sogleich in Aktion. Sein Auftrag: Er soll drei Bilder von Egon Schiele aus einem New Yorker Penthouse stehlen; allein Schieles Selbstporträt soll drei Millionen US-Dollar einbringen. Mit Hilfe von Hackern wurde die Alarmanlage für ein paar Minuten deaktiviert. Der kasachische Besitzer ist für einige Monate außer Landes.

 

In der Luxus-Falle

 

Leider hängt ein Bild nicht dort, wo es hängen soll; daher verliert Nemo wertvolle Zeit. Und bevor er fliehen kann, wird Alarm ausgelöst und die Hightech-Wohnung verriegelt sich. Die Alarmanlage bringt Nemo mit Gewalt zum Schweigen, doch sein Problem ist viel größer: Jede Verbindung nach draußen ist abgeschnitten. Die Luxuswohnung, eigentlich ein Schutzraum, wird zur Falle.

Offizieller Filmtrailer


 

Nur Kaviar im Kühlschrank

 

Vor den Fenstern erahnt man die tosende Großstadt. Die Assoziation zum gestrandeten Schiffbrüchigen auf der einsamen Insel drängt sich auf, und Nemo räsoniert zwischendurch über die Frage, ob nun „jeder Mensch eine Insel“ oder „kein Mensch eine Insel“ sei. Der Ozean der Metropole hilft dem Schiffbrüchigen aber nicht, zu überleben – das Wasser im Pool ist ebenso ungenießbar. Das Leitungswasser hat das smarte Home abgestellt.

 

Im Kühlschrank findet sich nur etwas Kaviar und verschimmelter Pumpernickel. Über die Monitore der Überwachungskamera kann Nemo immerhin verfolgen, was im Rest des Gebäudes passiert – und verguckt sich in eine Putzfrau. Eine Kontaktaufnahme ist nicht möglich, auch wenn sie immer wieder auf der anderen Seite der wuchtigen Tür staubsaugt, auf die Nemo öfters vergeblich einhackt.

 

Black Box Smart Home

 

Bei einem Drama auf kleinstem Raum stellt sich zwangsläufig die Frage, wie der Darsteller ausreichend zu beschäftigen ist. In diesem Film, der vom Survival-Reißer zum existenzialistischen Kammerspiel wird, stecken viele, teils unterhaltsame Ideen, welche die Handlung aber nur bedingt vorantreiben. Allenfalls bringen sie Nemo dem Wahnsinn näher.

 

Die Abfolge der Probleme, mit denen er sich konfrontiert sieht, scheint beliebig. Das Geschehen plätschert bisweilen geradezu vor sich hin: Erst heizt sich die Wohnung auf mehr als 40 Grad auf, dann wird es bitterkalt – die Smart-Home-Technologie fungiert hier als Black Box. Nicht nur der Dieb verliert den Überblick, sondern bald auch der Zuschauer: Ist er nun seit Tagen in diesem Bunker oder schon seit Wochen?

 

Willem Dafoe als Idealbesetzung

 

In diesem Drama steckt einiges: ein Kommentar zum pandemiebedingten Zurückgeworfensein auf die eigenen vier Wände ebenso wie eine Kritik an Technologien, die ihre Benutzer entmündigen. Das meiste verpufft, bevor es erzählerische Wucht entwickeln kann. Richtig rund wirkt das Drehbuch selten, selbst wenn man ignoriert, dass sich in der Logik der Geschichte erhebliche Lücken auftun.

 

Darüber tröstet hinweg, dass Willem Dafoe mit seinem zerfurchten Gesicht und sehnigen Körper für diese Rolle perfekt besetzt ist. Dem zunehmend ramponierten Schauspieler schaut man gerne zu, wie er bei seiner Tour de Force alle Register zieht. Den Kunstbesessenen hatte er schon 2018 als Titelheld in Julian Schnabels „Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit“ gegeben, das Isolationsopfer 2019 in „Der Leuchtturm“ von Robert Eggers. Im Film von Vasilis Katsoupis kommt beides zusammen.

 

Wände voller Werk-Kommentare

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The House That Jack Built" – komplexes Essay-Porträt eines Serienkillers von Lars von Trier mit Willem Dafoe.

 

und hier eine Besprechung des Films "Van Gogh - An der Schwelle zur Ewigkeit"brillantes Biopic von Julian Schnabel mit William Dafoe

 

und hier einen Beitrag über den Film "Trance – Gefährliche Erinnerung" – Psycho-Thriller über Kunstraub unter Hypnose von Danny Boyle

 

und hier einen Bericht über den Film "The Best Offer – Das höchste Gebot"Kunsthandels-Krimi von Giuseppe Tornatore mit Geoffrey Rush.

 

Bleibt die Frage, welche Rolle die begehrte Kunst spielt. Nemo führt immer noch das erwähnte Skizzenbuch mit sich, was sein Abdriften in den Wahnsinn abzubremsen scheint. Trotzdem versieht er die mit Bedacht aus Privatsammlungen zusammengekauften Kunstwerke – eine Mischung aus modernen Meistern und zeitgenössischen Jungstars, die sich stimmig ins brutalistische Ambiente fügt – mit Kommentaren, die er auf die Wände kritzelt.

 

Auch der Turm, den Nemo aus Designermöbeln baut, um vielleicht doch über das Oberlicht der Wohnung zu entfliehen, hat etwas von einer gigantischen Skulptur. Die Kamera verweilt ausgiebig bei einem Szenenbild aus der Videoarbeit “Centro di permanenza temporanea” (2007) von Adrian Paci, das Nemo besonders anzieht: Menschen warten dicht gedrängt auf einer Gangway, die auf einem Rollfeld steht – weit und breit ist kein Flugzeug zu sehen.

 

Nur die Kunst bleibt

 

Was als Resonanzraum für Nemos Lage funktionieren mag, kommt beim Zuschauer nur eingeschränkt an. Am Ende bleibt die Einsicht, dass von allem, was Menschen etwas bedeutet, schließlich nur die Kunst übrig bleibt. Das vermittelt Katsoupis jedoch weniger als sinnliche Erfahrung denn als pseudophilosophische Behauptung – die zudem noch aufs Filmplakat gedruckt wurde, damit es jeder kapiert. Übrigens: Die eingangs erwähnte Katze war bald tot, und das AC/DC-Album hat Nemo verliehen und nie zurück erhalten.