Leipzig

Olga Costa – Dialoge mit der mexikanischen Moderne

Rosa Rolanda: Autorretrato (Selbstporträt), 1952, Acervo Museo de Arte Moderno. INBAL/ Secretaría de Cultura, Mexiko-Stadt. Fotoquelle: ohe
Mexikanische Malerei des 20. Jahrhunderts wird hierzulande sehr selten gezeigt. Eine überschaubare Auswahl bietet das Museum der bildenden Künste, deklariert als Werkschau einer gebürtigen Leipzigerin – mit dem paradoxen Effekt, dass die Beigaben viel mehr beeindrucken als die Titularkünstlerin.

Ein ungeschriebenes Gesetz des Kulturbetriebs besagt, dass es für Konzertreihen, Literaturfestivals oder Großausstellungen passender Anlässe bedarf. Man kann nicht einfach herausragender Komponisten, Autoren oder Maler gedenken – dafür muss möglichst ein runder Jahrestag oder eine enge geographische Verbindung her. In diesem Fall ist es der Geburtsort: Olga Costa wurde 1913 als Olga Kostakowsky in Leipzig geboren. Sie war die älteste Tochter jüdischer Eltern aus Odessa in der Ukraine.

 

Info

 

Olga Costa – Dialoge mit der mexikanischen Moderne

 

01.12.2022 - 26.03.2023

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr,

mittwochs 12 bis 20 Uhr

im Museum der bildenden Künste, Katharinenstraße 10, Leipzig

 

Katalog 29 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Ihr Vater wollte sein Musikstudium in Leipzig beenden. Doch während des Ersten Weltkriegs zog die Familie nach Berlin um, wo sie in prekären Verhältnissen lebte. 1925 wanderte sie nach Mexiko aus. Ihre Kindheit in Deutschland beschrieb Olga später als düster und freudlos; sie kehrte nie dorthin zurück. Dennoch liefert ihr eher zufälliger Geburtsort dem Museum der bildenden Künste (MdbK) den nötigen Aufhänger für seine Ausstellung mexikanischer Malerei des 20. Jahrhunderts, deklariert als Costa-Werkschau; laut Veranstalter die erste in Europa überhaupt.

 

Erste Mexiko-Schau seit 2012

 

Wobei diese Präsentation der mexikanischen Moderne höchst verdienstvoll ist, denn sie wird hierzulande nur selten gezeigt – das letzte Mal vor elf Jahren in der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall. Nur die Entscheidung, Costa in den Mittelpunkt zu rücken, erscheint etwas unglücklich: Gerade im direkten Vergleich mit denen von Weggefährten und Zeitgenossen wirken viele ihrer Arbeiten nicht gerade erstrangig.

Feature über Olga Costa mit Diaschau ihrer Werke; © Gab M


 

Populäres Früchte-Schulbuchbild

 

Das kommt auch in der überschaubaren Auswahl zum Ausdruck: Von den 90 meist kleinformatigen Exponaten, darunter knapp 40 Grafiken und Fotografien, sind nur 35 Werke von Costa selbst, also zwei Fünftel. Sie erlauben nur ansatzweise, ihren künstlerischen Werdegang nachzuvollziehen. 1933 besuchte sie vier Monate lang eine Kunsthochschule, heiratete aber zwei Jahre später ihren Ex-Studienkollegen José Chávez Morado. Mit ihm fand sie zurück zur Malerei, latinisierte 1936 ihren Nachnamen zu „Costa“ und hatte Zugang zu Künstlerkreisen.

 

1941 wurde sie Mitgründerin und Leiterin einer Galerie, vier Jahre später hatte sie ihre erste Einzelausstellung. 1951 erhielt sie ihren einzigen öffentlichen Auftrag: Das wandfüllende Gemälde „La vendedora de frutas“ („Die Früchteverkäuferin“) ist der Blickfang dieser Ausstellung und prangt auf sämtlichen Werbemitteln. Vor einer selbstbewusst thronenden Händlerin sind mehr als 50 Obstsorten ausgebreitet – ein bonbonbuntes Fest der natürlichen Reichtümer Mexikos. Das Bild zierte etliche Jahre mexikanische Schulbücher und ist entsprechend populär.

 

Keine Wandbilder oder Zeitkritik

 

Aber wenig repräsentativ für Costas Schaffen, das kaum Großformate umfasst. Ebenso wenig murales, also Wandbilder im öffentlichen Raum; der muralismo bleibt Mexikos wichtigster Beitrag zur Moderne. Staatliche Aufträge für Wimmelbilder zu historischen und sozialkritischen Themen wurden ab den 1920er Jahren meist an Männer vergeben, weil die Ausführung sehr strapaziös war; vor allem an die „Großen Drei“: Diego Rivera, José Clemente Orozco und David Alfaro Siqueiros. Auch Costas Gatte Chávez Morado fertigte derartige Fresken an.

 

Fassaden lassen sich nicht in Ausstellungsräume wuchten, doch man könnte sich mit Fotos oder Entwürfen behelfen; das völlige Fehlen des muralismo befremdet. Wie die weitgehende Abwesenheit politischer Inhalte – nur ein Konvolut engagierter Druckgrafiken aus der 1937 gegründeten „Taller de Grafíca Popular“ („Werkstatt der Volksgrafik“, TGP) im MdbK-Besitz erinnert daran.

 

Stillleben + Landschaften bevorzugt

 

Von derlei hielt sich Costa fern, wie von Bildnissen überhaupt. Nur elf ihrer Arbeiten zeigen Menschen, und deren Darstellungen fallen nicht gerade ausdrucksstark aus. Die Künstlerin konzentrierte sich lieber – vielleicht aus Einsicht in die Grenzen ihres Könnens – auf Stillleben von Interieurs und Pflanzen. Ab den 1960er Jahren auch auf Landschaften, nachdem sie mit ihrem Mann in dessen Herkunftsregion Guanajuato umgezogen war.

 

Dort bauten sie eine Hacienda zum Künstlerhaus aus, das später in ein Museum umgewandelt wurde. Während ihr Lebensweg nach der Emigration trotz aller Vernetzung mit Mexikos intellektueller Elite eher geradlinig und beständig verlief, trifft das auf ihre Kunst kaum zu. Als Quasi-Autodidaktin probierte sie mal diese, mal jene Malweise aus – anders gesagt: Ihr fehlte eine persönliche Handschrift.

 

Nationalpreis + Hauptstadt-Werkschau

 

Was im mexikanischen Kontext, in dem flächige Formen der präkolumbischen Tradition und farbenfrohe Volkskunst mit Anklängen an naive Malerei geschätzt werden, offenbar kein Manko war. Costa fand durchaus Anerkennung, gipfelnd in der Verleihung des Nationalpreises und einer Lebenswerk-Retrospektive 1990 im hauptstädtischen Museo de Arte Moderno. Aber mit dem Abstand von drei Jahrzehnten wird deutlich: Etliche Zeitgenossen übertrafen sie um Längen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Hello World – Revision einer Sammlung" – grandiose Universalkunst-Schau mit Werken des mexikanischen Surrealismus im Hamburger Bahnhof, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Dark Mirror – Lateinamerikanische Kunst seit 1968" – hervorragende Überblicks-Schau mit zeitgenössischer Kunst aus Mexiko im Kunstmueum Wolfsburg

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "A Tale of Two Worlds" – umfassende Vergleichs-Ausstellung von Nachkriegskunst aus Lateinamerika und Europa im Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main

 

und hier einen Beitrag über den Film "Eisenstein in Guanajuato" - sinnlich-burleskes Biopic über das Coming-Out des sowjetischen Regie-Genies in Mexiko von Peter Greenaway.

 

Das ist nicht an den Beiträgen des Traumpaars der mexikanischen Moderne ablesbar. Diego Rivera ist allein mit der schematischen Lithografie einer Dorf-Lerngruppe vertreten, Frida Kahlo nur mit zwei kleinen und banalen Früchte-Stillleben. Doch andere, in Europa wenig bekannte Künstler beeindrucken mit so eigenständigen wie originellen Werken. Der TGP-Mitgründer Raúl Anguiano porträtierte würdevolle Indigene in elegant fließenden Formen.

 

Mehr Mexiko ohne Leipzig-Bezug

 

Rosa Rolanda und Manuel González Serrano komponierten verstörende surrealistische Arrangements. Der Surrealismus wurde in Mexiko ab 1940 zum Magischen Realismus fortentwickelt; etwa von Carlos Mérida, Costas Lehrer an der Kunsthochschule. Oder von der französischstämmigen Alice Rahon, die mit irisierender Farbpalette kleinteilige Traumlandschaften entwarf. Eine Generation zuvor hatte Gerardo Murillo, genannt „Dr. Atl“, Ansichten majestätischer Vulkane mit scharfkantigem Realismus bildwürdig gemacht.

 

Jedem dieser Künstler wäre eine umfassende Retrospektive zu gönnen, um den Variantenreichtum mexikanischer Kunst im 20. Jahrhundert vor Augen zu führen. Interesse daran ist vorhanden; in drei Monaten haben 40.000 Besucher diese MdbK-Ausstellung gesehen. Sie bietet, was sonst in Museen moderner Kunst rar gesät ist: Farbenpracht und Sinneskitzel in tropischer Hülle und Fülle. Solcher Augenschmaus ließe sich mit den Werken der genannten Künstler fortführen – doch leider kam keiner von ihnen in Leipzig zur Welt.