Birgit Schulz

Der Illusionist

Kunstberater der Bosse: Helge Achenbach (li.) mit dem VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn (mi.) vor dem Fahrrad-Readymade von Marcel Duchamps. Foto: © Copyright: Bildersturm Filmproduktion
(Kinostart: 27.4.) Homestory mit Großbetrüger: Als Kunstberater der Bosse vermittelte Helge Achenbach zeitgenössische Werke an schwerreiche Kunden – bis ihn Eitelkeit und Gier in den Knast brachten. Filmemacherin Birgit Schulz porträtiert ihn nachsichtig und lässt Kunstmarkt-Mechanismen unbeleuchtet.

„Klein habe ich nie gedacht“, lautet das Schlusswort des ehemaligen Kunstberaters Helge Achenbach in der Doku der Filmemacherin Birgit Schulz. Sie lässt es unkommentiert stehen – wie so vieles in ihrem Porträt eines zu sechs Jahren Haft verurteilten Serienbetrügers, das über weite Strecken in eine Art zweifelhafter Hommage abzugleiten droht.

 

Info

 

Der Illusionist

 

Regie: Birgit Schulz,

94 Min., Deutschland 2022;

mit: Helge Achenbach, Rudolf Zwirner, Johann König, Kai Diekmann

 

Weitere Informationen zum Film

 

Was macht ein Kunstberater; wofür wird er gebraucht? Schon immer halfen Gelehrte von Geist und Geschmack den Reichen und Mächtigen beim Anlegen ihrer Kunstsammlungen. Kunstberatung oder -vermittlung im heutigen Sinne ist aber eine Tätigkeit, die der 1952 geborene Achenbach gleichsam mit erfunden hat. Dafür muss man nicht sehr viel von Kunst verstehen – umso mehr aber vom Prestigebedürfnis und der Renommiersucht der oberen Zehntausend.

 

Als linker Student zum Kunst-Geschäft

 

Das kann Achenbach gut; ein Schulfreund attestiert ihm, ihn zeichne oberflächliche Leichtigkeit aus, mit der er „immer nach vorne gefallen“ sei. Zum Geschäft mit der Kunst kam er ausgerechnet als linker Sozialpädagogik-Student und Asta-Vorsitzender an der Uni Düsseldorf. Seine Kommilitonen an der Kunsthochschule hätten ihn mehr beeindruckt als etwa angehende Mediziner, erzählt er: Sie konnten nur mit Pinsel und Farbe – also fast nichts – Werte erschaffen. Seine Galerie, die er 1973 in Düsseldorf eröffnete, wurde ihm jedoch bald zu langweilig.

Offizieller Filmtrailer


 

Mega-Projekte für die Schampusgesellschaft

 

Mitte der 1970er fand Achenbach zu seiner wahren Berufung als Kunst-Innenausstatter: Er reiste durch die Bundesrepublik, suchte nach großen Bürogebäuden, die gerade hochgezogen wurden, kontaktierte ihre Bauherren – und überredete sie zum Kauf von Kunstwerken, um die nüchternen Klötze aufzuhübschen. Vorzugsweise von Gegenwartskünstlern wie Gerhard Richter, Jörg Immendorff oder Günther Uecker; die rheinische Kunstszene blühte damals auf, auch finanziell. Und Achenbach etablierte sich als Zentralgestalt: Mit zahlreichen Künstlern und Konzernlenkern war er befreundet, mit Gerhard Richter fuhr er in Urlaub.

 

Noch mehr in Schwung kam der Handel mit Kunst in der Spaß- und Schampusgesellschaft der 1990er und frühen 2000er Jahre. Achenbachs Projekte wurden immer megalomaner, die eingesetzten Summen immer höher: So überzeugte er 2001 fünf Industrielle, gemeinsam mit ihm Kunstwerke en gros für ihre „Sammlung Rheingold“ anzuschaffen. Zur gleichen Zeit gründete Achenbach vier Restaurants in Düsseldorf, in denen er allabendlich Promis charmierte, worüber dann BILD berichtete. Mit besten Kontakten in höchste Kreise: „Kunstfreund des Kanzlers“ nannte ihn eine Zeitung.

 

Fünf Prozent Provision sind zu wenig

 

Als nach dem Platzen der Dotcom-Blase 2000 und den Terroranschlägen vom 11. September 2001 Firmen ihre Kunst-Budgets kürzten, konzentrierte sich Achenbach auf schwerreiche Privatkunden. Das brachte ihn zu Fall: 2014 zeigte ihn Babette Albrecht an, die Witwe des 2012 verstorbenen ALDI-Erben Berthold Albrecht. Ihm hatte Achenbach Kunstwerke und Oldtimer für 120 Millionen Euro verkauft – und etliche Millionen durch „verdeckte Preisaufschläge“ abgezweigt. Weil Albrecht so knauserig gewesen sei, ihm nur fünf Prozent Provision zuzugestehen, erklärt Achenbach im Film; da habe er seine Marge branchenüblich aufbessern wollen.

 

Auch andere Geschädigte gingen rechtlich gegen ihn vor, aber der Fall Albrecht war der größte: 2015 wurde Achenbach zur Zahlung von 19 Millionen Euro Schadensersatz und sechs Jahren Haft verurteilt, von denen er zwei Drittel absaß. Seine Villen wurden gepfändet, seine Frau Dorothee ließ sich scheiden. Nach seiner Haftentlassung sei ihr klar geworden, dass ihr Ex-Mann sich nicht geändert habe, sagt sie: Anstatt als erstes seine Familie zu besuchen, habe er einen Journalisten getroffen, damit der eine home story über ihn schreibe.

 

Kaum kritische Stimmen

 

So wirkt auch diese Doku: Regisseurin Schulz räumt dem vorbestraften Bankrotteur viel Zeit ein, um seine Sicht der Dinge darzulegen. Diskret seine Läuterung beteuernd, bedächtig und leutselig formulierend, aber auch unversehens rhetorisch zupackend: Der massige Pleitier tritt weiterhin als Inbegriff von Seriosität auf – dabei erscheint er so präsidial wie Frank-Walter Steinmeier. Dagegen kommen kritische Stimmen kaum zu Wort; schon gar keine von Achenbach Geprellte. Vermutlich, um nicht vor laufender Kamera als von ihm übertölpelte Trophäenjäger dazustehen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Doku "The Lost Leonardo" - brillante Reportage über "Salvator Mundi", das teuerste und umstrittenste Gemälde der Welt, von Andreas Koefoed

 

und hier eine Besprechung der Doku "Beltracchi – Die Kunst der Fälschung" – anschauliches Porträt des Gemälde-Fälschers Wolfgang Beltracchi von Arne Birkenstock

 

und hier einen Bericht über den Film "The Best Offer – Das höchste Gebot" Psychothriller im Kunsthandel von Giuseppe Tornatore

 

und hier eine Besprechung des Films "Big Eyes" – Ehedrama über Pioniere der Kaufhauskunst von Tim Burton mit Christoph Waltz + Amy Adams.

 

Zwar interviewt Schulz mit Rudolf Zwirner und Johann König zwei Großgaleristen. Doch Zwirner tut Achenbach nur als Hochstapler ab, der „gar keine Ahnung“ habe, und wettert ansonsten gegen die Hyperkommerzialisierung des Online-Kunstbetriebs. König darf wortreich sein Credo totaler Transparenz darlegen; dass er seit August 2022 in einen undurchsichtigen Skandal um sexuelle Belästigung verwickelt ist, weswegen mehrere namhafte Künstler seine Galerie verlassen haben, erfährt man nicht.

 

PR-Stunt des Boulevard-Königs

 

Zumindest bringt König den Ex-Kunstberater kurz in Bedrängnis, als er Achenbach vorhält, dieser habe Sammlern eingeredet, sie würden von Galeristen übers Ohr gehauen – daher müsse er sich als ehrlicher Makler einschalten. Mehr als unwirsches Leugnen bringt Achenbach als Reaktion nicht zustande. Doch solche erhellenden Momente sind rar; meist belässt es der Film bei beliebigen Kunstmarkt-Impressionen. Irgendwie hat Achenbach seine Klienten um den Finger gewickelt, und sie kauften ihm alles ab – wie das genau ablief, bleibt unklar.

 

Vielleicht, weil Regisseurin Schulz ebenso wenig von Kunst versteht wie der Porträtierte und sich dafür nur am Rande interessiert. Stattdessen aber sehr für human interest: rührselige Bekenntnisse, wie er sich vor Gericht, im Gefängnis und seither als Stigmatisierter fühlt. Schlüsselloch-Bilder von der Kunsttherapie im Knast; dort begann er selbst, Farbe auf Leinwände zu spachteln. Und Was-macht-eigentlich-Aufnahmen seines genügsamen Lebens heute, ob er nun Schafe füttert oder einen lokalen Skulpturenpark plant. Helge Achenbach, Kunst-König der Boulevardpresse: Diese Doku ist sein jüngster PR-Stunt.