
Aufgeben kommt für Maureen Kearney nicht infrage: Sie ist mit Leib und Seele Gewerkschafterin. Mal setzt sie sich für die Rechte von Mitarbeiterinnen im Ausland ein; mal für Weiterbildungen, um Frauen für Führungspositionen fit zu machen. Das alles missfällt den Herren in der Führungsetage ihres Arbeitgebers „Areva“, einem multinationalen Hersteller von Nukleartechnologie. Sie würden diese Nervensäge lieber früher als später mundtot machen. Als ihre Chefin durch einen cholerischen Mann ersetzt wird, beginnt für Maureen Kearney der Kampf erst richtig, und dieses Mal muss sie für sich selbst kämpfen.
Info
Die Gewerkschafterin
Regie: Jean-Paul Salomé,
122 Min., Deutschland/ Frankreich 2022;
mit: Isabelle Huppert, Yvan Attal, Gregory Gadebois
Weitere Informationen zum Film
Demütigung einer unbequemen Frau
Die alten, männlich geprägten Strukturen werden dagegen mit allen Mitteln verteidigt; in diesem Fall, indem eine unbequeme Frau in jeder Hinsicht gedemütigt wird. Davon erzählt der Film von Jean-Paul Salomé gleich am Anfang: Da wimmelt das Haus von Maureen (Isabelle Huppert) und ihrer Familie von Polizisten. Sie selbst ist traumatisiert, nachdem sie von einem Unbekannten überfallen, gefesselt und vergewaltigt wurde. Danach hat er sie im Keller des Hauses zurückgelassen und ihr zusätzlich mit dem Messer ein“ A“ wie „Areva“ in den Bauch geritzt. Diese Details erfährt man aus dem Notruftelefonat, das die Haushälterin absetzt.
Offizieller Filmtrailer
Fahrlässige Ermittlungen
Nachdem die hartnäckigen Fragen und Forderungen der freigestellten Gewerkschafterin verstummt sind, können Arevas Anzugträger ein undurchsichtiges Geschäft mit China durchziehen. Kurz vorher hat man ihre Chefin Anne Lauvergeon (Marina Foïs) durch den cholerischen Paragrafenhengst Luc Oursel (Yvan Attal) ersetzt. Der hat sich an Kearney schon immer gestört. Nachdem ein whistleblower ihr brisante Dokumente zugespielt hat, wurde sie von Oursel auch schon offen bedroht.
Dass die Ermittler keinen Zusammenhang mit dem Überfall erkennen wollen, ist eine der groben Fahrlässigkeiten, die die Inszenierung offenlegt. An der Durchführung der polizeilichen Arbeit lässt sie insgesamt kein gutes Haar. Nach der gynäkologischen Untersuchung zieht sich Maureen erst einmal ihre knallrot geschminkten Lippen nach. Das ist ihre Art, wieder die Kontrolle zu übernehmen. Die durchweg männlichen Polizisten aber meinen, so benähme sich kein Opfer, weshalb schnell Zweifel am Wahrheitsgehalt ihrer Schilderungen aufkommen.
Mediale Schmutzkampagne
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Eine Frau mit berauschenden Talenten" – Krimi-Komödie über eine Haschisch-Großhändlerin von Jean-Paul Salomé mit Isabelle Huppert
und hier eine Besprechung des Films "Die Zeit, die wir teilen" – vielschichtiges Melodram von Laurent Larivière mit Isabelle Huppert
und hier einen Beitrag über den Film "Elle" – raffiniertes Psychodrama über Rache für eine Vergewaltigung von Paul Verhoeven mit Isabelle Huppert
und hier einen Bericht über den Film "Streik (En Guerre)" – packendes Arbeitskampf-Drama über Fabrik-Stilllegung von Stéphane Brizé mit Vincent Landon
Der wirtschaftskriminelle Teil der Geschichte, in den zwei aufeinanderfolgende Regierungen involviert sind, tritt aber schnell in den Hintergrund. Durch Einblendungen von Zeiträumen und Namen kommt die Regie der Dokumentationspflicht nach. Auch die eher konventionelle Ästhetik orientiert sich an klassischen US-Politthrillern. Das Hauptinteresse des Films gilt dem skandalösen öffentlichen Umgang mit einer Frau, die sich nicht zum Opfer machen lassen will, und der Offenlegung misogyner Vorurteile in der Gesellschaft.
Paraderolle mit kämpferischer Präsenz
Maureen Kearny ist eine Paraderolle für Isabelle Huppert, mit der Salomé bereits in seinem letzten Film „Eine Frau mit berauschenden Talenten“ zusammenarbeitete. Damals wusste sie sich als Drogendealerin ebenfalls in einer Männerdomäne durchzusetzen. Und wie in „Elle“ von Paul Verhoeven (2016) spielt sie hier eine vergewaltigte Frau, die sich danach nicht den vermeintlichen Normen entsprechend verhält.
Huppert trägt auch mit ihrer kämpferischen Präsenz die dramaturgisch nicht durchweg überzeugende Geschichte. Das Drehbuch ist etwas überambitioniert und kann daher vieles nur anreißen. Dennoch bleibt die Handlung spannend genug – allein dadurch, dass sie so universell wie größtenteils wahr ist.