Tarik Saleh

Die Kairo-Verschwörung

Geheimdienst-Oberst Ibrahim (Fares Fares) verhört nach dem Tod eines Studenten seine Kommilitonen. Copyright: Atmo/X Verleih
(Kinostart: 6.4.) Stasispitzel an der Elite-Uni: Ein Novize gerät in Machtkämpfe an der Al-Azhar, quasi dem Vatikan des Islam. Der packende Klerikal-Politthriller von Regisseur Tarik Saleh bietet einzigartige Einblicke in orientalisches Denken und Handeln, die so noch nie im westlichen Kino zu sehen waren.

Geographisch liegt die Al-Azhar-Universität in Kairo nur halb so weit entfernt von Mitteleuropa wie Harvard, Yale und andere Elite-Hochschulen an der US-Ostküste – aber intellektuell gleichsam auf einem anderen Planeten. Obwohl sie mit ihren über ganz Ägypten verteilten Standorten größer ist als jede westliche Universität: 2004 lehrten dort 16.000 Dozenten; 375.000 Studenten waren eingeschrieben, davon die Hälfte Frauen.

 

Info

 

Die Kairo-Verschwörung 

 

Regie: Tarik Saleh,

125 Min., Schweden/ Frankreich/ Finnland 2022;

mit: Tawfeek Barhom, Fares Fares, Mohammad Bakri 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Zudem ist sie älter als alle europäischen Hochschulen. Im Jahr 975 gegründet, vermittelte Al-Azhar jahrhundertelang vor allem theologisches, juristisches und medizinisches Wissen. Dabei stieg sie zur unumstrittenen Autorität in religiösen Fragen auf. Ihr Leiter, der Scheich Al-Azhar mit dem Titel eines Großimams, gilt bis heute als höchste theologische Instanz für sunnitische Moslems – auch als Gegenpol zu weltlichen Gewalten. Davon handelt der Politthriller von Tarik Saleh.

 

Selbstverwaltung ohne Frauen

 

Der in Schweden geborene Regisseur mit ägyptischem Vater siedelt die Handlung in der Al-Azhar der 1950er Jahre an, als Frauen noch nicht zugelassen waren und der Scheich von einem Gelehrten-Gremium gewählt wurde – seit 1961 wird er von der Regierung ernannt. Dass ihre Keimzelle, die Al-Azhar-Moschee, zugleich mitten im heutigen Kairo steht, macht sich wenig bemerkbar; was sich dort abspielt, bildet eine Welt mit eigenen Gesetzen.

Offizieller Filmtrailer


 

Geheimdienst-Oberst wie Columbo

 

Sie lernt Adam (Tawfeek Barhom) rascher und gründlicher kennen, als ihm lieb ist. Der hochbegabte Sohn eines armen Fischers erhält ein Stipendium, um an der Al-Azhar zu studieren. Just am Tag seiner Ankunft stirbt der Großimam; um seine Nachfolge brechen im Nu heftige Machtkämpfe aus. Neben verschiedenen Gelehrten-Seilschaften in der Universität versucht auch die Regierung, einen ihr genehmen Kandidaten durchzudrücken.

 

Darum muss sich der Geheimdienst-Oberst Ibrahim (Fares Fares) kümmern. Mit zerzaustem Haarschopf und verknitterter Kleidung sieht er aus wie ein nahöstlicher Cousin von Inspektor Columbo, doch wie einst Peter Falk tarnt er damit nur seinen Scharfsinn. Er hat den Studenten Zizo (Mehdi Debri), mit dem sich Adam anfreundet, als Informanten angeheuert. Als Zizo aussteigen will, kommt er gewaltsam zu Tode. An seiner Stelle engagiert Ibrahim nun Adam – weil er neu in Kairo, unbeleckt und ohne Kontakte ist.

 

Orient-Übersetzung mit Genre-Elementen

 

Der lernt im Eiltempo die internen Frontlinien und Verwerfungen kennen. Er schmeichelt sich bei Kommilitonen ein, die mit den Muslimbrüdern sympathisieren; kurz darauf lässt er sie auffliegen. Dann wird er auf den islamistischen Scheich Al Durani angesetzt. Als sein Sekretär forscht Adam ihn aus und enttarnt, dass der Scheich insgeheim einen Fehltritt begangen hat. Damit ist er als Nachfolge-Kandidat diskreditiert. Als Adam den blinden, aber charismatischen Scheich Ngem neutralisieren soll, gerät er selbst in Lebensgefahr.

 

Regisseur Saleh ist ein versierter Mittler zwischen den Kulturen. Schon mit seinem famosen Korruptions-Krimi „Die Nile Hilton Affäre“ (2017) verstand er es glänzend, orientalisches Denken und Handeln mit Genre-Elementen einem internationalen Publikum verständlich zu machen. Im neuen Film taucht er tief in innerislamische Mentalitäten und Organisationsformen ein – auch und gerade in repressive Strukturen dortiger Staatsapparate.

 

Umberto Eco + John le Carré

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier ein Interview mit Regisseur Tarik Saleh über "Die Kairo-Verschwörung"

 

und hier eine Rezension des Films "Die Nile Hilton Affäre" - eindrucksvoller Neo-Noir-Krimi  von Tarik Saleh

 

und hier eine Besprechung des Films "In den letzten Tagen der Stadt - In the Last Days of the City" – komplexes Porträt von Kairo und seiner Bewohner von Tamer El Said

 

und hier einen Beitrag über den Film "Sharaf" - so düsteres wie brillantes Gefängnisdrama aus Ägypten von Samir Nasr

 

und hier einen Bericht über den Film "Nach der Revolution – After the Battle" – facettenreiches Polit-Drama über den Umbruch in Ägypten von Yousry Nasrallah.

 

Dazu inspirierten Saleh zwei ganz unterschiedliche Quellen: der mittelalterliche Kleriker-Mikrokosmos in Umberto Ecos Weltbestseller „Der Name der Rose“ und die Spionageromane von John le Carré mit ihren wasserdicht ausgetüftelten Intrigen. Beides findet sich in „Die Kairo-Verschwörung“ formvollendet wieder; zurecht erhielt der Film beim Festival in Cannes den Preis für das beste Drehbuch.

 

In der verwickelten Rivalität diverser religiöser Schulen, Strömungen und Sekten, deren theologische Auffassungen oft nur handfeste Interessen bemänteln, findet sich freshman Adam überraschend schnell zurecht. Schwerer fällt ihm, den skrupellosen Zynismus der Staatssicherheit zu begreifen; als ihm das gelingt, rettet er seine Haut.

 

Äquidistanz zu allen Fraktionen

 

Wobei einige Anspielungen auf Koran-Suren und klassische Lehrmeinungen, die Moslems leicht verstehen, für westliche Zuschauer eher rätselhaft sein dürften – wie Momente bizarrer Komik, wenn etwa Oberst Ibrahim im Coffeeshop neben seinem Spitzel Adam sitzt und beide per Handy miteinander telefonieren. Doch die Mechanismen von Speichelleckerei und Verrat, Hinterzimmer-Ranküne und Schlagabtausch unter Folterknechten sind universell und erschließen sich sofort.

 

Dabei hält Regisseur Saleh Äquidistanz zu allen beteiligten Fraktionen und zeichnet sie sehr differenziert. Die Turbanträger erscheinen kaum redlicher als die Anzugträger-Schergen der Diktatur, doch manche verhalten sich ehrbarer als andere. „Und was hast du nun gelernt?“, fragt der Dorf-Imam am Ende den Heimkehrer Adam. Nicht das, was er wollte, aber mehr, als er je erwartet hätte – und wir mit ihm.