
Das „Empire“ in der Kleinstadt Margate an der südostenglischen Küste ist keines der heutzutage dominierenden Kinos: kein Multiplex mit Dolby-Surround-Sound, kein IMAX mit Laser-Leinwand und beweglichen Sitzen. Hier werden Filme noch von Hand vorgeführt und gedruckte Eintrittskarten vom Personal am Eingang kontrolliert. Vor langer Zeit machte der opulente Bau an der Strandpromenade der Bezeichnung Filmpalast tatsächlich alle Ehre. Ein lichtdurchströmter Tanzsaal mit Meerblick erinnert an jene goldenen Jahre. Doch wo sich einst nach der Vorstellung ein ausgelassenes Publikum amüsierte, hausen nun Tauben.
Info
Empire of Light
Regie: Sam Mendes,
115 Min., Großbritannien/ USA 2022;
mit: Colin Firth, Olivia Colman, Micheal Ward, Toby Jones
Weitere Informationen zum Film
Schwarzer Neuzugang als Lichtblick
Hilary steht im Mittelpunkt dieses Films: eine ruhige Frau mit labiler Psyche, deren Stimmung sich schlagartig aufhellt, als der neue Kartenverkäufer Stephen (Micheal Ward) eingestellt wird. Er ist jung, schwarz, gebildet, sieht gut aus – und vor allem teilt er Hilarys Sinn für die kleinen Dinge, die im Leben von Bedeutung sind. Es dauert nicht lange, bis zwischen beiden, so ungleich sie auch sind, zarte Gefühle aufkeimen. Gleichzeitig wächst der Rassismus in der Gesellschaft und die Gefahr, dass Hilary erneut die Nerven verliert.
Offizieller Filmtrailer
Zu viele Motive ohne Tiefgang
Sam Mendes‘ letzter Film, das Kriegsepos „1917“, war eine ergreifend bildgewaltige Hommage an seinen Großvater, der im Ersten Weltkriegs gedient hatte. Im Gegensatz dazu kommt „Empire of Light“ als unaufdringliches Kleine-Leute-Drama daher. Mit einem persönlichen Element: Mendes will mit diesem Film auch seiner Mutter gedenken, die an einer psychischen Krankheit litt. Mit guten Absichten allein ist es jedoch nicht getan.
Das Ergebnis ist ein seltsam oberflächliches Melodram. Es versucht, zu viele Dinge unter einem eingefallenen Kinodach zu vereinen, ohne in die Tiefe zu gehen: die Romanze zwischen Stephen und Hilary wirkt künstlich, die Diagnose ihres Nervenzusammenbruchs zu konstruiert. Der Momentaufnahme der rassistisch aufgeladenen Atmosphäre in der Thatcher-Ära fehlt es an Kontext – und eine berührende Liebeserklärung ans Kino können die hervorragende Kamera und Toby Jones als treuherziger Filmvorführer alleine nicht bewerkstelligen. Mehr als einen Hauch sanfter Nostalgie darf man von „Empire of Light“ nicht erwarten.
Wichtige Galavorstellung geht schief
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "1917" – meisterlich suggestiv gefilmtes Drama über den Ersten Weltkrieg von Sam Mendes
und hier eine Besprechung des Films "Die Fabelmans" – gelungenes halbautobiographisches Kino-Familienporträt von Steven Spielberg
und hier einen Bericht über den Film "Seaside Special – Ein Liebesbrief an Großbritannien" – launige Doku über die letzte Music-Hall-Sommershow im Seebad Cromer von Jens Meurer
und hier einen Beitrag über den Film "Die Liebe seines Lebens (The Railway Man)" – British-Empire-Drama von Jonathan Teplitzky mit Colin Firth.
Olivia Colman macht Hilarys öffentlichen Ausraster zu einem kleinen Höhepunkt des Films – der verschmierte Lippenstift auf ihren Zähnen ist das Tüpfelchen auf dem i. Trotzdem kann auch sie dem dürftigen Drehbuch von Mendes nicht genügend Leben einhauchen. Auch Micheal Wards wirkt in seiner Rolle als gute Seele an Hilarys Seite viel zu blass. Und vermeintlich wichtige Nebenfiguren in seinem Leben tauchen so spät auf, dass sie kaum einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
Feuerwerk als einziger Trost
So bleibt „Empire of Light“ im Vergleich etwa mit Steven Spielbergs charmanter und intimer Kino-Familiengeschichte „Die Fabelmans“, die vor wenigen Wochen ins Kino kam, weit zurück. Der Film von Sam Mendes wirkt eher wie eine Montage unausgegorener Konzepte als eine Herzensangelegenheit mit Fingerspitzengefühl. Eine schöne Szene auf dem Filmpalast-Dach mit dem Feuerwerk Silvesternacht versöhnt für einen kurzen Augenblick. Aber sie kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier etwas schief gelaufen ist.