Tarik Saleh

Keiner kann den Koran ändern

Tarik Saleh - Regisseur + Drehbuchautor von "Die Kairo Verschwörung". Foto: Copyright: Atmo/X Verleih
Mit dieser Begründung lehnt der Großimam der Al-Azhar-Universität in Kairo ab, den Regierungskurs zu unterstützen. Den Machtkampf zwischen Politik und Religion schildert Regisseur Tarik Saleh als fesselnden Geheimdienst-Thriller – er wirke auf Ägypter recht unheimlich, so Saleh im Interview.

Herr Saleh, Ihr Film trägt den deutschen Titel „Die Kairo Verschwörung“. Doch auf Englisch heißt er „Boy from Heaven“ – warum?

 

Das war der Arbeitstitel; der Film wurde erst eine Woche vor der Premiere in Cannes fertig. Mein französischer Verleih wollte jedoch den Titel ändern; mein voriger Film hieß in Frankreich „Le Caire confidentiel“ (auf Deutsch: „Die Nile Hilton Affäre“, A.d.R.), hatte damit 400.000 Zuschauer, und an diesen Erfolg wollte er anknüpfen. Also wählte er „La conspiration du Caire“ – mit diesem Titel lockte der neue Film mehr als 500.000 Besucher ins Kino.

 

Anspielung auf Erzengel Gabriel

 

Was bedeutet „Boy from Heaven“?

 

Info

 

Die Kairo-Verschwörung 

 

Regie: Tarik Saleh,

125 Min., Schweden/ Frankreich/ Finnland 2022;

mit: Tawfeek Barhom, Fares Fares, Mohammad Bakri 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Es ist die wörtliche Übersetzung des arabischen Titels ins Englische. “Heaven”, also „Himmel“, ist auf Arabisch doppeldeutig und kann auch „Paradies“ bedeuten; daher ist der Titel kontrovers, weil er suggeriert, die Hauptfigur könnte übermenschlich sein.

 

Im Hadith, der Sammlung von Aussprüchen und Taten des Propheten Mohammed, erscheint diesem der Erzengel Gabriel und stellt naive Fragen, die der Prophet geduldig beantwortet. Anschließend fragen ihn seine Anhänger, warum er das tat – und Mohammed antwortet: weil der Erzengel unsere Religion prüfen wollte. Das schwingt für Moslems im Originaltitel mit. Aber der neue Titel ist auch gut, weil er klar ausspricht, um was es geht: eine Verschwörung.

 

Balance von Politik + Religion

 

Sie betonen, dass ihr Film weder den Islam noch Religion an sich kritisiert, sondern Machtstrukturen beschreibt: die religiösen im sunnitischen Klerus und die säkularen des Staates, also Regierung und Geheimdienst. Der Film vermittelt aber auch den Eindruck, dass Sie die traditionelle Autonomie der Al-Azhar-Universität als Wert an sich betrachten – die vom Staat durch Manipulation der Wahl des neuen Großimams untergraben wird. Trifft das zu?

 

Als Regisseur, der diese Geschichte erzählt, stelle ich fest, dass Politik mit ihren Tentakeln versucht, alle Institutionen zu kontrollieren, nicht nur religiöse. Ägypten lebt mit dem Dualismus von religiöser und staatlicher Macht seit der pharaonischen Epoche – wobei der Pharao seine Legitimität vom Hohepriester erhielt. In ruhigen Phasen kamen sich beide Instanzen nicht in die Quere, anders in Zeiten der Unruhe.

 

Als Mohammed Mursi 2012 als Kandidat der Muslimbrüder zum Präsidenten gewählt worden war, wollte er Ägypten in einen islamistischen Staat umwandeln. Ihm schwebte eine Art Kalifat vor – doch die Mehrheit lehnte das ab. Sie hört am Freitag den Predigern in der Moschee zu, aber an den übrigen sechs Tagen will sie ihr Leben führen. Dieses herkömmliche Selbstverständnis der Ägypter stellte der Putsch im Juli 2013 wieder her.

Offizieller Filmtrailer


 

Unmöglichkeit, den Koran zu ändern

 

Wie sieht aktuell das Verhältnis zwischen Al-Azhar und der Regierung aus?

 

Wenn der Militärdiktator und Präsident Abdel Fatah El-Sisi könnte, würde er sich selbst zum Großimam, dem so genannten Scheich Al-Azhar, ernennen. Denn er duldet nicht, dass seine Autorität infrage gestellt wird – und genau das hat Al-Azhar mehrfach getan. Die Al-Azhar-Universität ist eine der wenigen Institutionen in Ägypten, die alle Machtwechsel im Lauf der Zeit überstanden haben und unabhängig geblieben sind. Allerdings hat sie schon bessere Tage gesehen.

 

Ist Al-Azhar immer noch die höchste moralische Instanz im sunnitischen Islam?

 

Ihre Autorität erlebt Höhen und Tiefen, wie alles im Leben. Nach der Machtübernahme von El-Sisi wiedersetzte sich ihm der seit 2010 amtierende Scheich Al-Azhar ein wenig: Ahmed el-Tayeb betonte mehrmals, er könne Gesetzesvorhaben der Regierung nicht unterstützen, denn er könne den Koran nicht ändern. Seine Weigerung machte den Großimam sehr populär.

 

Zeitkapsel der 1950er Jahre in Gegenwart

 

In welchem Moment der windungsreichen Geschichte von Al-Azhar haben Sie die Filmhandlung angesiedelt?

 

Darüber habe ich lange nachgedacht: Soll sie unter Staatschef Hosni Mubarak spielen, als dessen Frau massiv Einfluss nehmen wollte, oder unter seinem Vorgänger Gamal Abdel Nasser? Schließlich entschied ich, die Al-Azhar der späten 1950er Jahre – als Frauen noch nicht zur Universität zugelassen waren – wie eine Zeitkapsel in der Gegenwart zu platzieren, um zu zeigen, wie sie versucht, ihre Traditionen zu wahren, während sie von außen attackiert wird.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Die Kairo-Verschwörung"

 

und hier eine Besprechung des Films "Die Nile Hilton Affäre" - eindrucksvoller Neo-Noir-Krimi in Kairo  von Tarik Saleh

 

und hier einen Beitrag über den Film "Sharaf" - so düsteres wie brillantes Gefängnisdrama aus Ägypten von Samir Nasr

 

und hier einen Bericht über den Film "In den letzten Tagen der Stadt - In the Last Days of the City" – komplexes Porträt von Kairo und seiner Bewohner von Tamer El Said

 

und hier einen Beitrag über den Film "Nach der Revolution – After the Battle" – facettenreiches Polit-Drama über den Umbruch in Ägypten von Yousry Nasrallah.

 

Die einzige reale Figur, El-Sisi, taucht nur auf Plakaten auf. Dagegen ist ein Akteur wie der General, der im Film den Geheimdienst befehligt, einem Minister der Mubarak-Ära nachempfunden. Dabei ließ ich mich von den Spionageromanen von John Le Carré inspirieren: Alles darin ist frei erfunden, aber alles wirkt absolut wahr.

 

Unheimliches Paradox

 

Ihr Film macht hiesigen Zuschauern deutlich, wie wenig man im Westen über die komplexe Gemengelage von Politik und Religion speziell in Ägypten und allgemein in der arabischen Welt weiß – gerade weil die Intrige eine rein innerägyptische Angelegenheit ist. Doch Sie selbst dürfen nicht in die Heimat ihres Vaters reisen. Kann Ihr Film das Publikum in Ägypten und im Nahen Osten erreichen?

 

Ja. Im Nahen Osten schaut man Filme häufig auf Raubkopien an; viele Ägypter hatten die „Avatar“-Fortsetzung gesehen, bevor sie in die Kinos kam. Sie werden auch meinen Film sehen oder haben es schon getan; von ihnen erhalte ich viele Zuschriften, vor allem von Exil-Ägyptern.

 

Es gibt ein anderes Problem: Der Film wurde in der Türkei gedreht, und die meisten Schauspieler kommen aus dem Libanon und Palästina. Zwar verhandelt er ein absolut ägyptisches Phänomen – doch er klingt und sieht deutlich weniger ägyptisch aus als die oberflächlichste heimische TV-Serie. Dieses Paradox lässt ihn für Ägypter etwas unheimlich erscheinen.