Christian Petzold

Roter Himmel

Leon (Thomas Schubert), Nadja (Paula Beer), Felix (Langston Uibel) und David (Enno Trebs) auf dem Dach ihres Ferienhauses. Foto: @ Christaian Schulz / Schramm Film
(Kinostart: 20.4.) Strandspaziergänge vor flammendem Inferno: Vier junge Leute vertändeln den Sommer im Ferienhaus, während hinter ihnen der Wald abbrennt. Für seine federleicht satirische Sittenkomödie in der Tradition von Eric Rohmer erhielt Regisseur Christian Petzold den Silbernen Bären.

Leon (Thomas Schubert) und Felix (Langston Uibel) sind auf dem Weg an die Ostsee. Im Ferienhaus von Felix’ Eltern wollen die Berliner Mittzwanziger ein paar Tage Urlaub machen und zudem an ihren jeweiligen Projekten feilen: Felix arbeitet an einer Bewerbung für ein Fotografiestudium, Leon muss dringend den ersten Entwurf seines zweiten Romans fertigstellen. Sein Verleger (Matthias Brandt) hat sich bereits angekündigt, um das Manuskript mit ihm durchzusprechen.

 

Info

 

Roter Himmel

 

Regie: Christian Petzold,

103 Min., Deutschland 2023;

mit: Thomas Schubert, Paula Beer, Langston Uibel u.a.

 

Weitere Informationen zum Film

 

Schon die Eingangsszene im Auto macht deutlich: Die beiden Jugendfreunde ticken höchst unterschiedlich. „Irgendwas stimmt nicht“, sagt Felix und meint damit die Aussetzer des Motors. Leon erwidert „Ich höre nix“ und dreht einfach die Musik lauter. Der minimalistisch schwebende Song, der gerade läuft, „In My Mind“ von der österreichischen Band Wallners, wird in dieser ansonsten weitgehend soundtrackfreien Dramödie noch lange nachhallen.

 

Gefangen im Wolckenkuckucksheim

 

Denn Leon scheint tatsächlich in seinem „Mind“ gefangen: einem Wolkenkuckucksheim, in dem er ein bedeutender Schriftsteller ist –  und von dem aus er mit Unsicherheit und Arroganz auf seine Umgebung blickt. Felix wirkt dagegen ganz bei sich, emotional elastisch und seinen Mitmenschen zugewandt.

Offizieller Filmtrailer


 

Unerwartete Gesellschaft

 

Bald gibt das Auto tatsächlich den Geist auf. Die beiden müssen zu Fuß weiter, zur besseren Orientierung vorübergehend getrennt. Die Kamera bleibt bei Leon, und plötzlich wähnt sich der Zuschauer in einem Horrorfilm: Laut knacken die Äste, dazu hallt Tiergeschrei durch den Wald. Dann donnert auch noch ein Flugzeug über ihn hinweg. Letzteres werden sie in diesen Tagen noch öfter erleben. Seit Wochen hat es nicht geregnet, ganz in der Nähe brennt der Wald; die Löschflugzeuge sind im Dauereinsatz.

 

Doch prompt folgt ein weiterer Genrewechsel. So unvermittelt wie die Anmutung von Grusel kam, verfliegt sie wieder. Felix hat die Abkürzung durch den Wald gefunden; bald stehen die beiden vor ihrem Ferienhaus auf einer idyllischen Lichtung. Blöderweise hat Felix’ Mutter ein Zimmer an Nadja (Paula Beer) vermietet, ohne ihrem Sohn Bescheid zu sagen. Die jobbt in dem Seebad als Eisverkäuferin, genießt den Sommer und hat sich zudem einen Bettgefährten angelacht, den Rettungsschwimmer Devid (Enno Trebs), mit dem sie sich lautstark vergnügt.

 

Schriftstellerpose und Schreiblockade

 

Das bringt Leon, der schon angefressen ist, weil er sich das Zimmer mit Felix teilen muss, dem Durchdrehen noch näher. Schließlich er ist hier, um zu arbeiten – was er bei jeder sich bietenden Gelegenheit betont. Dass sein Roman nicht der große Wurf ist, ahnt er selbst. Seine Stoffeligkeit verstärkt das nur. Dass er sich zudem ein bisschen in die so freundliche wie enigmatische Nadja verguckt hat, würde er sich wohl nicht einmal selbst eingestehen.

 

Sobald seine Mitbewohner am Strand sind und das Publikum für seine Schriftsteller-Pose fehlt, schlägt Leon völlig sinnlos die Zeit tot. Wie einst Jack Nicholson im Horror-Klassiker „Shining“ (1980) von Regisseur Stanley Kubrick feuert er immer wieder einen Tennisball an die Wand – zumindest, bis er Felix kommen hört und zurück an seinen Arbeitsplatz eilt. Sein Umfeld begegnet ihm mit bemerkenswerter Gelassenheit. Warum sich an den Neurosen anderer aufreiben, in diesen perfekten Tagen?

 

Psychogramm eines Möchtegern-Autors

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Undine" – ergreifendes Liebes-Drama von Christian Petzold mit Paula Beer

 

und hier eine Besprechung des Films "Transit" – Flüchtlings-Melodram von Christian Petzold mit Paula Beer

 

und hier einen Bericht über den Film "Phoenix" – komplexes KZ-Überlebenden-Drama von Christian Petzold

 

und hier einen Beitrag über den Film "Call me by your Name" – atmosphärisch dichte schwule Sommer-Liebesgeschichte in den 1980ern von Luca Guadagnino.

 

Regisseur Christian Petzold ist ein Sommerfilm gelungen, der bisweilen an die in ähnlichen Settings angesiedelten Filme des französischen Nouvelle-Vague-Regisseurs Eric Rohmer oder auch an Luca Guadagninos „Call Me by Your Name“ (2017) erinnert: ironisch und oft witzig, plänkelnd im Ton und doch auf unaufgeregte Weise ernsthaft. Die meiste Zeit herrscht in „Roter Himmel“ eine entlarvend satirische Atmosphäre.

 

Zugleich bleibt der Film eine leichtfüßige Komödie über sozialen Dünkel, unausgesprochenes Begehren und ungelebtes Leben. Manchmal wird er aber auch zu einem erbarmungslosen Psychogramm des selbstbezogenen Möchtegern-Autors Leon. Dass er das zumindest als Problem erkennt, legt seine Mimik nahe. Sympathisch wirkt er deswegen nicht, aber irgendwie liebenswert.

 

Die Rückkehr des Horrors

 

Nach „Undine“ (2020) ist „Roter Himmel“ der zweite Teil einer Trilogie, mit der sich Petzold nach eigener Auskunft der deutschen Tradition der Romantik annimmt. Das Unheimliche, das sich immer wieder, mal deutlich, mal unterschwellig, durch Petzolds Filme zieht – ob im Nachwende-Drama „Yella“ (2007) oder der abgründigen Nachkriegsgeschichte „Phoenix“ (2014) –, scheint in diesem Film dennoch etwas heruntergedimmt.  

 

Das Komödiantische ist dagegen präsenter denn je. Und als der Horror in den letzten Filmminuten dann doch noch zurückkehrt, auf eine einerseits erwartbare, aber ganz beiläufige Weise, entfaltet das bemerkenswerte Wucht.