Potsdam

Sonne – Die Quelle des Lichts in der Kunst

William Turner: Mortlake Terrace, 1827 , Öl auf Leinwand 92,1 x 122,2 cm. © Courtesy National Gallery of Art, Washington
Let the Sunshine in: Ohne Zentralgestirn weder Leben noch Kunst. Seine eminente Bedeutung in der Kulturgeschichte zeichnet das Museum Barberini nach: mit einer prägnanten Werkauswahl von Bildern und Skulpturen seit der Antike bis zum Impressionismus, die nur bei Gegenwartskunst etwas mager ausfällt.

Sind die Zeiten so düster? Die Kunstwelt dürstet offenbar nach Licht. Während der Kunstpalast Düsseldorf unter dem Titel „Mehr Licht“ die frühe Freilichtmalerei ins Visier nimmt und die Kunsthalle Bremen dem „Sunset“ sehnsuchtsvolle Abschiedsblicke nachsendet, geht in Potsdam die „Quelle des Lichts in der Kunst“ auf.

 

Info

 

Sonne –
Die Quelle des Lichts in der Kunst

 

25.02.2023 - 11.06.2023

täglich außer dienstags 10 bis 18 Uhr

im Museum Barberini, Am alten Markt, Potsdam

 

Katalog 34 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Epochenübergreifend will das Museum Barberini zweitausend Jahre europäische Kulturgeschichte beleuchten: Wie die Sonne als Licht- und Wärmequelle symbolisch mit Bedeutung aufgeladen, von Machthabern zum Identifikationsobjekt erkoren, von Religionen göttergleich verehrt oder wirklichkeitsnah von Künstlern festgehalten wurde, veranschaulichen rund 80 Werke.

 

Sonnenaufgang begründet Impressionismus

 

Wie kam das für seine hochkarätige Impressionisten-Kollektion bekannte Museum auf diese Idee? Die Inspiration lieferte Hauskünstler Claude Monet, von dem man mittlerweile 38 Werke sein eigen nennen kann. Genauer gesagt, war es ein Nachtbild des Malers. Die skizzenhaft flott gemalte Ansicht des Hafens von Le Havre in der hauseigenen Sammlung hat nämlich ein Pendant. Am selben Tag 1872 malte Monet ebendort seine berühmtes Bild „Impression, Soleil levant“ („Impression, Sonnenaufgang“). Das Werk, das der ganzen Kunstströmung des Impressionismus’ den Namen gab, gehört dem Musée Marmottan Monet in Paris.

Feature zur Ausstellung; © Museum Barberini


 

Mythen der Sonnen-Unterschätzung

 

Schon lange, so Kurator Michael Philipp, habe man davon geträumt, die beiden Werke unter einem Dach zu vereinen. Ihr Gipfeltreffen wird nun garniert von einem üppigen Reigen anderer, oft weit weniger prominenter Exponate. Vom herausragenden Barock-Meister der auf- und untergehenden Sonne Claude Lorrain, der quasi nichts anderes malte, kann die Schau nur eine Arbeit aus dem Umkreis vorweisen. Auch der sonnenfixierte Brite James Mallord William Turner, berühmt für farbglühende Improvisationen, ist bloß mit zwei eher zahmen Arbeiten vertreten. Aber solche Schwachstellen lassen sich verschmerzen.

 

Das schmälert die Kühnheit des ganzen Vorhabens nicht. Schon in der griechischen Antike wusste man, was uns in Zeiten der globalen Klimaerwärmung zunehmend beunruhigt: Die Sonne verkörpert nicht nur lebensspendende Energie, sondern auch glühende Gefahr. Die dramatischen Mythen von Ikarus und Phaeton erzählen davon, was geschieht, wenn man ihre Kraft leichthin unterschätzt. Ein ganzes Kabinett räumt die Schau den beiden Himmelsstürmern und ihrem jähen Fall ein.

 

Virtuosität des Stürzens

 

Ikarus bastelte sich mit Vater Daedalus aus Vogelfedern flugfähige Schwingen, um der Gefangenschaft im Labyrinth des Minotaurus auf dem Luftweg zu entfliehen. Aber die sengende Sonne ließ das Wachs schmelzen, als er zu hoch flatterte. Das schildert der Frühbarock-Maler Carlo Saraceni geradezu filmisch in drei Szenen. Auch Phaeton scheiterte an Selbstüberschätzung: Auf einem fulminanten Marmorrelief von 1560 sieht man ihn vom vierspännigen Sonnenwagen kopfüber in die Tiefe fallen. Er hatte das Gefährt seinem Vater abgeluchst, dem Sonnengott Helios, überschätzte sich aber, schlingerte damit über das Firmament und drohte, die Erde in Brand zu setzen. Das verhinderte Zeus, indem er Blitze schleuderte.

 

Auf Darstellungen dieser Mythen faszinieren vor allem die Virtuosität des Stürzens und In-der-Luft-Rotierens der Körper – ob bei Peter Paul Rubens oder dem barocken niederländischen Meistergrafiker Hendrick Goltzius. Dessen irrwitzige, kreisrunde Medaillons ziehen einem regelrecht den Boden unter den Füßen weg.

 

Sonnengott als Lichtgestalt

 

So wie in diesem Themenabschnitt gelingen der Werkauswahl oft interessante Verbindungen quer durch die Epochen. Leider scheut das Barberini den konsequenten Brückenschlag in die Gegenwart. Abgesehen von einer Ein-Raum-Installation von Olafur Eliasson, die wie ein schwacher Abklatsch seiner aufsehenerregend glühenden Sonnenprojektion in der Londoner Tate Modern 2003 daherkommt, fällt die Auswahl aktueller Werke mager aus. Als wäre die Sonne heute kein brisantes Thema mehr!

 

Wie die Sonne wirklich aussieht, wenn sie da so am Himmel steht, interessierte antike Künstler wenig. Atmosphärische Effekte waren lange Zeit nebensächlich. Ihren Weg in die abendländische Kunst fand die Sonne als Gottheit. Damit setzt der Rundgang an: Als erste Personifikation erscheint der griechische Sonnengott Helios, den die Römer Apoll nannten, vorzugsweise jugendlich und strahlend schön: eine Lichtgestalt eben.

 

Strahlenkranz wird Heiligen-Nimbus

 

Im Sonnenwagen vollzieht er den Tageslauf, von Horizont zu Horizont. Kleine Bronzefigürchen aus dem 2. Jahrhundert zeigen den unbesiegten Sonnengott Sol mit einem Strahlenkranz ums Haupt, den später das Christentum als Nimbus übernahm. Bei einem Steinrelief für den spätantiken Mithras-Kult lugt die göttliche Sonne als Gesicht von oben in die Szene.

 

Dieses Motiv des Sonnengesichts zieht sich wie eine Konstante durch die Jahrhunderte. Erst im 19. Jahrhunderts verschwindet es aus der nun zunehmend wirklichkeitsnäheren Kunst. Zuvor aber hatte es etwa auch auf goldenen Münzen Konjunktur: Herrscher wie der französische „Sonnengott“ Ludwig XIV. und August der Starke von Sachsen, der ihm nacheiferte, identifizierten sich nur zu gern mit der Sonne. Mit kaum einem Dutzend Exponaten gelingt der Schau zum Thema Herrscherkult eine tour d’horizon von Pharao Ptolemäus II. bis zu Napoleon. Der Franzosenkaiser macht sich aber mit einem fotorealistischen Porträtkopf im Zentrum goldener Radial-Strahlen eher lächerlich.

 

Sonnenfinsternis bei Kreuzigung

 

Mit dem Aufkommen des Christentums wurde der Sonnengott regelrecht entthront. Eine zauberhafte Bibelillustration aus dem 13. Jahrhundert lässt den Schöpfergott eigenhändig das Gestirn an den Himmel setzen: Damit ist die Sonne nur noch ein Geschöpf unter vielen. Kreuzigungsszenen seit dem Mittelalter zeigen sie als Zeugen der Heilsgeschichte am Himmel. Beim Münchener Malerfürsten Franz von Stuck verdunkelt sie sich zu dieser Stunde: Tatsächlich trat laut Neuem Testament beim Tod Christi eine Sonnenfinsternis ein.

 

Als der heilige Franziskus von Assisi seinen Sonnengesang dichtete, inspirierte er damit Generationen von Gläubigen und Künstlern. Noch Joan Miró zog daraus Mitte des 20. Jahrhunderts Anregungen für seine abstrakten, zeichenhaften Sonnenvisionen. Lieber vor Ort dem Spirituellen nachfühlen wollte der symbolistische Maler Charles-Marie Dulac: Er bereiste 1897 Schauplätze in Umbrien um Assisi herum und bannte seine religiöse Verzückung beim Anblick der Sonne in violett glühende Farbverläufe.

 

Keiner kann direkt in Sonne blicken

 

Seit der Antike versuchen außerdem Gelehrte, als Naturforscher dem faszinierenden Phänomen Sonne näherzukommen. Die zeitgenössische Künstlerin Katharina Sieverding benutzte NASA-Fotomaterial von Sonneneruptionen für ihre großformatige Video-Animation: Das rotglühende Riesenrund macht sichtbar, was sonst für menschliche Augen nicht wahrnehmbar ist. Drumherum gruppieren sich Fotos und Handzeichnungen von Sonnenfinsternissen.

 

Dagegen kann niemand mit bloßem Auge in die Sonne blicken. Wenn Maler den Blick an den Himmel richteten, wählten sie daher meist die Tagesrandzeiten des zu- oder abnehmendem Lichts. Wunderbar vielfältig schimmern und glühen die zahlreichen Auf- und Untergänge; gleich mehrfach auf Bildern des Romantikers Caspar David Friedrichs. Aus dem Vollen schöpfen kann die Schau natürlich auch bei den Impressionisten. Interessanterweise schließt deren Studium besonnter Landschaften an ältere Versuche an, atmosphärische Nuancen festzuhalten.

 

Eisige Dix-Sonne vor Erstem Weltkrieg

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Sunset – Ein Hoch auf die sinkende Sonne"120 schöne Sonnenuntergänge in der Kunsthalle Bremen

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Mehr Licht – Die Befreiung der Natur" – hervorragende Überblicks-Schau über Freiluft-Ölskizzen des 19. Jahrhunderts in Düsseldorf + Lübeck

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Turner – Horror and Delight" – gelungene Werkschau des britischen Malers des Lichts William Turner im LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung  "Claude Lorrain – Die verzauberte Landschaft" – große Werkschau des Meisters barocker Sonnenuntergänge im Städel Museum, Frankfurt.

 

Adam Elsheimers Kupfertafel „Aurora“ ist so klein, dass man sie fast übersieht. Das stimmungshaft zarte Gemälde aus dem frühen 17. Jahrhundert gilt als erster Versuch, einen Sonnenaufgang realistisch zu fassen. Bei dem Dänen Valdemar Schønheyder Møller 300 Jahre später wirkt die blendende Sonnenintensität so ungebremst, dass man unwillkürlich die Augen zusammenkneift. Der Maler selbst riskierte bei intensiven Sonnenstudien, seine Netzhaut zu schädigen.

 

Danach übernehmen die Expressionisten die Führung. Edvard Munch etwa malte seine riesige, farbig exaltierte Sonnenvision als Auftragswerk für die Aula der Universität Oslo: das Licht der Erkenntnis flammt hier noch einmal emphatisch und symbolträchtig auf. Fortan scheint die Sonne als Motiv nur mehr für abstrakte Farbexperimente zu taugen. Schon bei Otto Dix hat sie 1913, am Vorabend des Ersten Weltkriegs, ihre Kraft als Hoffnungssymbol verloren: Angesichts seiner eisigen Winterlandschaft mit bleicher Sonne bekommt man Gänsehaut. Dann verflüchtigt sich im letzten Kapitel das Reale. Abstraktes von Sonia Delaunay bis zum französische Pop-Art Künstler Gérard Fromanger wird geboten: Er lässt 1966 grellgelbe Farbe nach unten von der Leinwand tropfen. Keine Symbolik mehr, keine Kraft?

 

Weiter Rundumschlag

 

Kein Bild der Sonne gleicht dem anderen. Ihre Erscheinung wechselt von Minute zu Minute, von Tag zu Tag – auch was die Menschen in ihr sehen, ist erstaunlich wandelbar. Diese Ausstellung gibt eine Vorstellung davon, wobei viele Aspekte nur angetippt werden. Dennoch ist sie anregend: Das Museum nutzt seine Kernkompetenz in Sachen Impressionismus diesmal, um wirklich weit auszuschweifen, anstatt Nabelschau zu betreiben.