Joaquin Phoenix

Beau is Afraid

Beau (Joaquin Phoenix) befindet sich in seiner Erinnerung wieder auf dem Kreuzfahrtschiff. Foto: Leonine Distribution
(Kinostart: 11.5.) Mutti ist schuld! Für diese Erkenntnis schickt Regisseur Ari Aster seinen unglücklichen Antihelden in einen bildgewaltigen, langgezogenen Fiebertraum. Der wirkt wie ein Steinbruch der Interpretations-Möglichkeiten und ist allemal als Parodie zu goutieren.

Mit „Hereditary – Das Vermächtnis“ (2018) und „Midsommar“ (2019) hat sich der US-Amerikaner Ari Aster als Regisseur des speziellen Horrors etabliert. Darin ging es um Urängste, Traumata und verquere Familienverhältnisse, die allerdings auf eher unerwartete Weise in Szene gesetzt wurden. In seinem neuen Film „Beau is Afraid“ scheint es zunächst ähnlich zu sein.

 

Info

 

Beau is afraid

 

Regie: Ari Aster,

179 Min., Kanada/ Finnland/ USA 2023;

mit: Joaquin Phoenix, Nathan Lane, Amy Ryan, Stephen McKinley Henderson

 

Weitere Informationen zum Film

 

Über zehn Jahre Arbeit stecken nach Asters Aussagen in der Produktion, die auf seinem eigenen Kurzfilm „Beau“ basiert. Der tragische Antiheld Beau Wasserman (Joaquin Phoenix) hat im übertragenen Sinne vor Angst die Hosen voll. Vor seinem Haus in einem heruntergekommenen Stadtviertel tummeln sich die Irren und Gestrandeten wie Zombies und versuchen einzudringen, während ein nackter Massenmörder gegenüber auf Opfer wartet.

 

Der Lärm der anderen

 

Nur in seiner Wohnung fühlte sich der vor Gram ergraute Mann sicher, würden nicht ständig Unbekannte Zettel mit Lärmbeschwerden unter seiner Tür durchschieben. Dabei machen doch die anderen Nachbarn den ohrenbetäubenden Krach, der ihn so sehr aus der Fassung bringt, dass er seinen Flug verpasst. Dem geplanten Besuch bei seiner Mutter, so erzählt er seinem Psychiater, sieht er allerdings mit gemischten Gefühlen entgegen. Der notiert sich aufgrund der langen Litanei seines Klienten nur ein Wort: Guilt.

Offizieller Filmtrailer


 

Schuldkomplex und Familienfluch

 

Schuld also, und die hat selbstredend mit seiner Mutter zu tun, einer erfolgreichen, durchsetzungsstarken Unternehmerin. Ihr Sohn, der ohne Vater aufwuchs, verfügt über keine dieser Eigenschaften. Stattdessen hat er buchstäblich dicke Eier, denn wegen eines Familienfluchs traut sich der Ärmste noch nicht einmal zu onanieren, geschweige denn Sex zu haben. Der sei für Männer insbesondere beim Zeugungsakt immer tödlich, hat ihm die Mutter seit frühester Kindheit eingeschärft; Darstellerin Patty LaPone spielt wunderbar die dominante und stets elegant herausgeputzte Geschäftsfrau.     

 

Derart in Schach gehalten schlingert ihr Sohn, wie Rückblenden enthüllen, angsterfüllt und traurig durch die Pubertät. Er endet als psychisches Wrack, das keinen Bezug zur realen Welt zu haben scheint und dem auch die stärksten Pillen nicht helfen. Anders als in Ari Asters beiden vorherigen Filmen, die eine Alltagssituation als Ausgangspunkt für Horror nutzen, der eher in der Fantasie des Zuschauers stattfindet, ist hier von Anfang an nichts alltäglich.

 

Konfuse Story aus bekannten Motiven

 

Zugleich bedient sich die konfuse Story vieler bekannter Motive. So erinnert die ungesunde Mutter-Sohn-Konstellation an die Verfilmung von John Irvings Roman „Garp und wie er die Welt sah“ (1982), die düstere Atmosphäre im Haus an „mother!“ (2017) von Darren Aronovsky. Die verzerrte Wahrnehmung der lärmenden Nachbarschaft scheint wiederum Roman Polanskis „Der Mieter“ (1976) entlehnt. Diese Einflüsse bleiben im Verlauf der gut drei Stunden Laufzeit nicht die einzigen, wohl aber die augenfälligsten.

 

Vor lauter Anspielungen, Zitaten und verwirrenden dramaturgischen Einfällen verliert sich die Geschichte leider irgendwann selbst aus den Augen. Die einzigen roten Fäden bleiben die von Joaquin Phoenix mit größtmöglichem Einsatz gespielte Hauptfigur und deren Überängstlichkeit. Sie ist es auch, die ihn nach dem überraschenden Unfalltod der Mutter selbst einen Unfall bauen lässt. Als Resultat findet er sich verletzt bei einer überfürsorglichen Familie wieder, die ihn in einem Kinderzimmer unterbringt und anscheinend für immer als Ersatz für einen Toten dabehalten will.

 

Fiebertraum eines Hasenfußes

 

Hintergrund

 

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und hier eine Kritik des Films "mother!" – überladen schräger Mutterschafts-Horror von Darren Aronofsky mit Jennifer Lawrence + Javier Bardem.

 

Entgegen seinem ureigensten Temperament macht sich der Hasenfuß aus dem Staub, nur um bei einer Theatertruppe im Wald zu landen. Das Stück, das dieses Ensemble aufführt, erinnert verdächtig an seine eigene Familiengeschichte, die zuvor in einer sehr schönen Animation erzählt wurde. Wie in einem bildgewaltigen, langgezogenen Fiebertraum hat so irgendwie alles mit allem zu tun, ist aber keineswegs logisch oder in sich schlüssig.

 

Eher wirkt das Ganze wie ein Steinbruch der Interpretationsmöglichkeiten, in die man sich in der richtigen Stimmung fallen lassen könnte; wäre da nicht der Wunsch nach einem Sinn, etwas Ordnendem in dem Chaos, das möglicherweise nur in Beaus Kopf stattfindet. Dieser Wunsch wird nicht erfüllt. Stattdessen landet Beau schließlich in seinem leeren Elternhaus. Dort finden sich seltsamerweise Fotos seiner Odyssee, und auch seine Jugendliebe hat einen kurzen Auftritt. Der nimmt für sie allerdings kein gutes Ende – der Fluch! Schließlich taucht auch noch die Mama auf.

 

Überdimensionaler Aufwand

 

Wenn man sich irgendwann ratlos vor Augen hält, dass Aster diesen Film ursprünglich als Parodie plante, erscheinen die drei Stunden Laufzeit vielleicht nicht ganz sinnfrei. Sie sind aber auch viel zu überladen, selten schlüssig und noch seltener lustig. Und nur um zu sagen, dass Mutti an allem Schuld ist, erscheint der Aufwand reichlich überdimensioniert. Genre-Fans können das goutieren, für alle anderen bleibt der Film verzichtbar.