Maha Haj

Mediterranean Fever

Waleed (Amer Hlehel) geht es nicht so gut. Foto: Neue Visionen
(Kinostart: 4.5.) Auftragsmord für den neuen Nachbarn: Die Freundschaft mit einem Kleingauner stellt das Leben eines depressiven palästinensischen Autors in Israel auf den Kopf. Das Porträt des Duos von Regisseurin Maha Haj ist eine raffiniert schwarze, aber auch etwas kopflastige Komödie.

Es beginnt mit einem so seltsamen wie bedeutungsschwangeren Prolog: In ihm erklärt Waleed (Amer Hlehel) einem Mann, er habe dessen Mutter die Treppe hinunter gestoßen – mit tödlichem Ausgang. Der Sohn, der im Verlauf des Films nicht wieder auftauchen wird, reagiert weder wütend noch traurig. Vielmehr erklärt er Waleed nüchtern, der könne doch gar nicht wissen, ob seine Kausalvermutung richtig sei. Umständlich führt er aus, dass die Ursache ihres Todes für ihn völlig unklar sei – selbst wenn Waleed sie gestoßen habe.

 

Info

 

Mediterranean Fever

 

Regie: Maha Haj,

110 Min., Palästina/ Deutschland/ Frankreich 2022;

mit: Amer Hlehel, Ashraf Farah, Anat Hadid

 

Weitere Informationen zum Film

 

Diese Eröffnung spielt für den weiteren Handlungsverlauf keine Rolle. Und doch setzt sie den Rahmen für den Rest dieser bisweilen spröden, dabei durchaus feinsinnigen und raffiniert konstruierten Geschichte – halb Drama, halb Komödie. Die Eingangsepisode streut beim Zuschauer vorsorgend Zweifel an vermeintlich naheliegenden Kausalitäten. Waleeds Zuverlässigkeit als Erzähler wird nebenbei gleich mit infrage gestellt.

 

Therapie nutzlos

 

Dabei ist Waleed ein Typ, der sich eher herumschubsen lässt, als dass er selbst jemanden stoßen würde. Der in Haifa lebende israelische Araber hat schwere Depressionen. Seine Tage verbringt er vor allem als Hausmann und Chauffeur für seine Kinder, was ihn unbefriedigt lässt. Das Buch, das er schreiben will, kriegt er nicht zu Papier. Die Therapeutin, die er Woche für Woche sieht, hält er für nutzlos; trotzdem geht er brav weiter hin.

Offizieller Filmtrailer


 

Eine seltene Krankheit

 

Regelmäßig wird Waleed von der Schule angerufen, um seinen jüngsten Sohn abzuholen. Den Jungen plagen immer wieder Bauchschmerzen. Waleed vermutet einen psychosomatischen Zusammenhang. Schließlich lässt sich sein Sohn immer genau dann nach Hause schicken, wenn er im Geographie-Unterricht mit den offiziellen Grenzen Israels konfrontiert wird – die mit den Ansichten seiner Eltern über Kreuz liegen. Die Schulärztin schlägt jedoch vor, ihn auf das titelgebende Mittelmeerfieber zu testen. Diese seltene Krankheit existiert tatsächlich, ist eigentlich erblich bedingt und bringt neben dem Fieber auch Bauchschmerzen als Symptom hervor.

 

Dass Waleed sich fühlt, als würde er die Last der Welt auf seinen Schultern tragen, hat sicher damit zu tun, dass er seiner Meinung nach in einem von Israel besetzten Gebiet lebt. Doch dies und der dahinter stehende Konflikt im Nahen Osten werden keineswegs agitatorisch abgehandelt – Regisseurin Maha Haj webt dieses Element subtil, fast zurückhaltend in die Geschichte ein. Sie lässt auch hier Kausalitäten in der Schwebe: etwa die Frage, was bei Waleeds Depression Ei und was Henne ist. Reibt er sich an den politischen Verhältnissen auf, um von seinem privaten Unglück abzulenken? Oder steht seine individuelle Depression für eine gesellschaftliche, bestimmt das Sein das Bewusstsein?

 

Der kriminelle Nachbar

 

Zuletzt drehte die Regisseurin 2016 den Film „Personal Affairs“. Auch hier ging es darum, wie das Politische ins Private einsickert: Der Film handelte von Routinen und der Sprachlosigkeit in einer Familie, die teils in Israel, teils in den Palästinensischen Autonomiegebieten lebt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Aus nächster Distanz" – Kammerspiel über eine israelisch-libanesische Frauen-Freundschaft von Eran Riklis mit Golshifteh Farahani

 

und hier eine Besprechung des Films  "Ein Tag wie kein anderer" – originelle Tragikomödie aus Israel über Rentner-Kiffer von Asaph Polonsky

 

und hier einen Beitrag über den Film "Vom Gießen des Zitronenbaums" – skurril-manirierte Episoden-Tragikomödie von und mit dem palästinensischen Filmemacher Elia Suleiman

 

und hier einen Bericht über den Film "Zaytoun" über eine palästinensisch-israelische Freundschaft im Nahost-Konflikt von Eran Riklis.

 

Neuer Schwung kommt in Waleeds Leben – und damit auch in diese bislang eher düstere Komödie –, als ein neuer Nachbar einzieht: Jalal (Ashraf Farah) ist ein sympathischer kleiner Gauner, der sich einen Teufel um Politik und deprimierende Nachrichten schert, sondern lieber das Leben in vollen Zügen genießt und dabei laute Musik hört. Damit treibt er Waleed zunächst zur Weißglut. Doch Jalal besitzt so viel bodenständigen Charme wie kriminelle Energie, und die beiden freunden sich an.

 

Zwischenstation Buddy Movie

 

Waleed gibt vor, mehr über Jalals kriminelle Aktivitäten erfahren zu wollen, um damit sein Roman-Manuskript endlich voranzubringen. Fortan fungiert er „zu Recherchezwecken“ als dessen Chauffeur. Zwischenzeitlich entsteht der Eindruck, der Film entwickle sich nun zu einem jener buddy movies, in dem sehr unterschiedliche Typen voneinander lernen.

 

Stattdessen wird es nach einer weiteren überraschenden Wendung richtig abgründig. Als Waleed mitbekommt, dass sein neuer Freund dringend Geld braucht, weil er Schulden bei sinistren Typen hat, schlägt er ihm einen ganz speziellen Auftragsmord vor – was Jalal erst einmal entrüstet ablehnt.

 

Hakenschlag am Ende

 

Ganz zum Schluss schlägt die Handlung dann noch einen überraschenden Haken, der alle Überlegungen und Psychologisierungen, zu denen der Zuschauer bisher gekommen sein mag, grundsätzlich in Frage stellt. „Mediterranean Fever“ ist ein  intelligenter und metaphorischer, allerdings auch etwas verkopfter Film über das komplexe Verhältnis von Schwermut und gesellschaftlicher Realität.