Axel Ranisch

Orphea in Love

In Kolya (Guido Badalamenti) findet Nele (Mirjam Mesak) ihren Seelenverwandten. Foto: © 2023 missingFILMs - Filmverleih & Weltvertrieb
(Kinostart: 1.6.) Ich fühl mich Oper: Regisseur Axel Ranisch erzählt die alte Geschichte von Orpheus und Eurydike – mit umgekehrten Gendervorzeichen und an Originalschauplätzen, die wie Kulissen aussehen. Mit kanonischen Arien und alten Bekannten aus dem eigenen Filmkosmos befreit er die Oper vom Hautgout des Elitären.

Am Thema Oper scheiden sich die Geister. Für viele ist sie zu exaltiert und elitär, andere sind bereit, viel Geld für einen Abend mit dem vergötterten Gesangstalent oder Dirigenten zu investieren. Ein Kinobesuch ist natürlich wesentlich günstiger, und es bedarf keiner Abendgarderobe. Der Geist des Elitären ist es sicher nicht, der Kinoregisseure wie Kirill Serebrennikow, Andreas Dresen, Baz Luhrmann und eben Axel Ranisch dazu veranlasst, gelegentlich auch Opern zu inszenieren.

 

Info

 

Orphea in Love

 

Regie: Axel Ranisch,

107 Min., Deutschland 2022;

mit: Mirjam Mesak, Guido Badalamenti, Ursula Werner, Galeano Salas

 

Weitere Informationen zum Film

 

Es ist wohl eher ihre Liebe zur Musik und vielleicht auch die Möglichkeit, direkte Publikumsreaktionen zu spüren. Film und Oper miteinander zu mischen, ist in den letzten Jahren nur selten probiert worden; zuletzt etwa mit Verfilmungen von Puccinis „La Bohème“ durch Robert Dornhelm (2008) und einer in Südafrika angesiedelten Version von Mark Dornford-May (2014). Alle Jahre wieder werden Kinder mit neuen Variationen der „Zauberflöte“ weitgehend ohne Gesang behelligt: 1997 als Animationsfilm von Curt Linda, 2022 als Fantasy-Film „The Magic Flute“ für die Generation Harry Potter. Umso ungewöhnlicher ist Axel Ranischs neuer Film „Orphea in Love“. 

 

Von der Sage inspiriert

 

Dass er sich nicht vor filmischen Experimenten scheut, hat Ranisch bereits mit seinem Abschlussfilm „Dicke Mädchen“ (2011) bewiesen: Gedreht wurde damals mit angeblich rund 500 Euro Budget und winzigem Team in der Wohnung seiner Großmutter. Dem  folgte 2013 der wunderschöne autobiografische Film „Ich fühl mich Disco“. Sein letzter Kinofilm „Alki Alki“ ist immerhin schon neun Jahre her. Dazwischen liegen einige Fernseharbeiten und eben Operninszenierungen. Die haben ihn immerhin vom „Deutschen Mumblecore“- Image befreit, das ohnehin nie wirklich gepasst hat.

Offizieller Filmtrailer


 

 

Wie der Titel vermuten lässt, ist „Orphea in Love“ von der klassischen Sage des Sängers Orpheus inspiriert, der seine tote Frau Eurydike aus der Unterwelt befreit. In Ranischs Version ist die Hauptfigur eine junge Frau namens Nele (Mirjam Mesak), die in einer nicht näher bezeichneten deutschen Großstadt in einem Callcenter und als Garderobiere mehr schlecht als recht ihren Lebensunterhalt verdient. Ursprünglich aus Estland stammend, fühlt sie sich hier fremd und flüchtet sich immer wieder in eine musikalische Traumwelt.

 

Nele in der Unterwelt

 

In dieser singt ihr Callcenter-Gegenüber betörende Arien, und selbst die schnippische Chefin (Christina Große) verliert, umringt von tanzenden Mitarbeitern, für einen Moment ihren Schrecken. Als die in sich Gekehrte den kleinkriminellen Straßentänzer Kolya (Guido Badalamenti) trifft, erkennt sie in ihm einen Seelenverwandten. Sie finden zusammen, und davon beflügelt lässt Nele ihrem verborgenen Gesangstalent freien Lauf; gerade in dem Moment, als die Operndiva Adela (Ursina Lardi) mit Stimmproblemen kämpft.

 

Neles Talent bleibt Adelas Ehemann, Manager und Überfan Höllbach (Heiko Pinkowski) nicht verborgen, und er beschließt, es auszunutzen. Bevor das aber passieren kann, muss sich Nele ihren lange verdrängten Dämonen stellen und Kolya nach einem Unfall tatsächlich wieder zurück ins Leben holen. Von den vertauschten Rollen abgesehen, bleibt die zeitlose Geschichte im Kern gleich. Wie in der Oper geht das sparsam gesprochene Wort unmittelbar in Gesang über, nur dass hier Arien verschiedenster Komponisten von Händel bis Puccini in die Handlung eingebettet werden. Das erinnert an Baz Luhrmanns Umgang mit Popsongs in „Moulin Rouge“ (2001).  

 

Unwirkliche Originalschauplätze

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Ich fühl mich Disco" - Coming-Out-Komödie von Axel Ranisch

 

und hier eine Besprechung des Films "Liebe Mich!" – charmantes Low-Budget-Beziehungsdrama unter Twentysomethings von Philipp Eichholtz mit Axel Ranisch

 

und hier einen Beitrag über "Lilien im Winter – La Bohème am Kap" – gelungene südafrikanische Verfilmung von Puccinis Oper durch Mark Dornford-May

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Die Oper als Welt – Die Suche nach einem Gesamtkunstwerk" – eindrucksvolle Themenschau über Opernausstattung durch Künstler im Centre Pompidou-Metz, Metz.

 

Nele wandert leichtfüßig durch ein sommerliches, bewusst unspezifisches Großstadt-Setting: Es wechselt zwischen aufgeräumter klassizistischer Innenstadt über gammelige Bahnhofsgänge bis zu einem alten Zugdepot, wo Kolya bei einer älteren kriminellen Grand Dame (Ursula Werner) Obdach hat. Obwohl offensichtlich an Originalschauplätzen gefilmt, wirken die Orte unwirklich und kulissenhaft. Die Musik und vor allem die klassisch ausgebildete Stimme der Hauptdarstellerin (und hauptberuflichen Opernsängerin) Mirjam Mesak verleihen der Szenerie eine poetische, sagenhafte Anmutung, die einige dramaturgische Durchhänger vergessen lässt.

 

Das bewährte Motiv vom Kampf um die große Liebe gegen alle Widerstände variiert Ranisch mit viel Mut zum schönen Pathos, lässt aber auch leise, anrührende Töne zu, kongenial unterstützt von der variantenreichen Musikauswahl. Nur der unvermeidliche Christian Steiffen, der schmierige Schlagersänger aus „Ich fühl mich Disco“, fällt dabei mit der Darbietung eines Elvis-Presley-Songs aus dem Rahmen.

 

Mit Liebe und Distanz

 

Neben ihm bekommen auch noch andere bisher in Ranischs Kinofilmen vertretene Akteure wenigstens einen kleinen Auftritt: beispielsweise sein junges schauspielerisches Alter Ego Frithjof Gawenda als Opernregisseur. Dessen Agieren ist ein augenzwinkernder Seitenhieb auf den für Außenstehende manchmal seltsamen Bühnenbetrieb. Denn so schön und berührend die Geschichte ist, bewahrt der Film doch immer eine angenehme Distanz zu sich selbst. Er wird somit nie kitschig, sondern feiert eher liebevoll die heilende Kraft der (Opern)-Musik.