Ulrich Seidl

Sparta

Dem misstrauischen Stiefvater (mi.) des jungen Octavian stellt sich Ewald (Georg Friedrich, li.) als Judolehrer vor. Foto: © Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 18.5.) Erotische Selbstverwirklichung in der rumänischen Provinz: Dort schart ein Pädophiler im Freizeitheim Knaben um sich. Ohne ihn zu dämonisieren, schildert Regisseur Ulrich Seidl das einfühlsam, aber auch spannungsarm – sein Komplementärfilm zu „Rimini“ plätschert matt dahin.

„Sparta“ fängt da an, wo „Rimini“ aufgehört hat: mit dem senilen Ekkehard, Vater von Richie Bravo und Ewald. Der demente Greis (Hans-Michael Rehberg in seiner letzten Rolle) schlurft durchs Pflegeheim, brabbelt Nazi-Parolen und hebt den Arm zum deutschen Gruß. Mit ihm endet auch der Film, während er Schuberts „Winterreise“ hört und schluchzend nach Mama ruft. Was willkürlich und gesucht wirkt – mit der übrigen Geschichte hat es nichts zu tun.

 

Info

 

Sparta

 

Regie: Ulrich Seidl,

99 Min., Österreich/ Rumänien 2022;

mit: Georg Friedrich, Florentina Elena Pop, Hans-Michael Rehberg

 

Weitere Informationen zum Film

 

„Sparta“ und „Rimini“ waren ursprünglich von Regisseur Ulrich Seidl als ein einziges Werk konzipiert: das Doppelporträt zweier unterschiedlicher Brüder, die mit ihren jeweiligen Defiziten zurecht kommen müssen. Erst im Schnitt entschied Seidl, aus dem gedrehten Material zwei separate Filme zu machen. Was „Rimini“ hervorragend bekommen ist, „Sparta“ jedoch weniger.

 

Rumänische Freundin mit Kneipenjob

 

Obwohl dieser zweite Film laut Regisseur auf realem Geschehen beruht: Der introvertierte und unsichere Ingenieur Ewald (Georg Friedrich) arbeitet in einem rumänischen Kraftwerk. Nach Österreich kehrt er gelegentlich zurück, um seinen Vater im Heim zu besuchen. In Rumänien hat er eine patente Freundin (Florentina Elena Pop), die in einer schäbigen Kneipe bedient. Wenn er mit ihren Söhnen herumtobt, wird ihm ganz anders.

Offizieller Filmtrailer


 

Foto-Shooting nach Judo-Training

 

Dagegen klappt es mit ihr im Bett nicht – der Anlass zur Trennung. Bei einer Schneeballschlacht mit Kindern aus der Nachbarschaft wird Ewald drastisch klar, wo seine erotischen Sehnsüchte liegen. In der armen rumänischen Provinz tut er eine leer stehende, baufällige Schule auf; dann stellt er sich im Dorf als Judolehrer vor, der Gratis-Unterricht anbietet. Bald setzt er mit einer Schar Jungens im Grundschulalter das Gebäude instand und wandelt es in eine Art Freizeitheim im antiken Kastell-Look um – Sparta.

 

Dort lässt er die Knaben kicken, toben, raufen, im Badezuber planschen und manchmal auch Judo trainieren. Danach lichtet er sie halbnackt ab, während sie mit ihren mageren Muskeln posieren. Solche Fotos projiziert er anschließend im Großformat an die Wand und weidet sich an Details. Besonders angetan hat es ihm ein schmächtiger Bube namens Octavian.

 

Lynchmob jagt Fremdling

 

Dessen arglose Mutter hat nichts dagegen, dass er tagelang in Ewalds Obhut trainiert. Sein Stiefvater, ein schmerbäuchiger Trunkenbold, hingegen schon: Er wirft dem Judolehrer vor, die Kinder zu verweichlichen, und zwingt ihn zum Hinsehen, während Octavians älterer Bruder ein Kaninchen schlachtet. Als Auftakt zu einer rabiateren Aktion: Vom Stiefvater aufgewiegelte Trinkkumpane machen Jagd auf den Fremden, der ihre Kinder um sich schart.

 

Dass die Erziehungsberechtigten mit ihnen wesentlich roher und liebloser umgehen als der radebrechende Neuankömmling, der sich aufmerksam um ihren Nachwuchs kümmert, ist die einzige Pointe einer Handlung, die ansonsten matt vor sich hinplätschert. Gewiss erfordert das heikle Sujet größtmögliches Fingerspitzengefühl – doch der Film legt in keiner Einstellung nahe, die Hauptfigur vergreife sich körperlich an seinen Schützlingen. Bilder und Nähe scheinen ihm auszureichen, wie vielen Pädophilen. Eine Dramaturgie wird daraus aber nicht.

 

Skandalisierung des Filmdrehs

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Rimini" über den abgetakelten Schlagersänger Richie Bravo von Ulrich Seidl

 

und hier eine Besprechung des Films "The Most Beautiful Boy in the World" - Doku über den Schauspieler, der als Jüngling in Viscontis Verfilmung der Thomas-Mann-Novelle „Tod in Venedig“ zum pädophilen Sexsymbol der 1970er wurde, von Kristina Lindström + Kristian Petri

 

und hier einen Beitrag über den Film "Paradies: Liebe" über weiblichen Sextourismus in Afrika von Ulrich Seidl

 

und hier einen Bericht über den Film "Paradies: Glaube" – Porträt einer strenggläubigen Katholikin von Ulrich Seidl

 

Dennoch wurde Regisseur Seidl kurz vor der Premiere im September mit Vorwürfen konfrontiert, er habe manche Laien-Kinderdarsteller am Set unzumutbar behandelt und ihren Eltern das Thema des Films verschwiegen. Dem widersprachen einige seiner Mitarbeiter öffentlich.

 

Ob die Drehbedingungen tatsächlich für Kinder unzuträglich waren, lässt sich von außen kaum beurteilen; die Filmbilder deuten nicht darauf hin. Möglicherweise wurden leicht manipulierbare rumänische Komparsen für eine mediale Skandalisierung eingespannt.

 

Zusammen besser als allein

 

Jedenfalls ist das Ergebnis die Aufregung nicht wert. „Rimini“ lebte von seiner schillernden Hauptfigur: Der abgehalfterte Schlagerfuzzi Richie Bravo war für reichlich schräge Situationskomik gut – selbst sein Zweitjob als Rentnerinnen-Gigolo nahm für den Filou ein. Als Gegenmodell hätten die Szenen vom bizarren Pfadfinder-Paradies seines Bruders im selben Film ihre kontrastierende Wirkung entfalten können: Irrungen der Triebe auf verschiedenen Abwegen.

 

Doch allein auf sich gestellt vermag Ewalds Sparta-Jugendclub nicht zu fesseln: Dass Seidl es unterlässt, ihn als Kinderschänder zu dämonisieren, sondern ihn als verantwortungsvollen und väterlichen Freund zeichnet, reicht dafür nicht aus. Zumal er ihn in der allerletzten Einstellung als Wiederholungstäter darstellt.