Michal Vinik

Valeria is getting married

Valeria (Dasha Tvoronovich, li.) und Christina (Lena Fraifeld) fühlen sich einander tief verbunden. Foto: W-Film
(Kinostart: 25.5.) Heiratsvermittlung als Stresstest: In ihrem Kammerspiel über eine arrangierte Ehe kommt die israelische Regisseurin Michal Vilnik ohne Geschlechterkampf und Gewalt aus. Stattdessen bietet ihr konzentriert-minimalistisch inszeniertes Drama einen humanen Hoffnungsschimmer.

Ob Polit-Drama oder versöhnliche Komödie: Im Film scheint in Israel immer die Sonne. Der zweite Spielfilm von Michal Vilnik ist keines von beidem, und der Himmel ist durchgehend bedeckt. Nach einer Weile entlädt sich auch noch ein sintflutartiger Regen. Und wenn in der letzten Einstellung ein einsamer Sonnenstrahl zu sehen ist, dann steht er für den sprichwörtlichen Hoffnungsschimmer in einer ansonsten eher düsteren Erzählung.

 

Info

 

Valeria is getting married

 

Regie: Michal Vinik,

77 Min., Israel/Ukraine 2022;

mit: Lena Fraifeld, Dasha Tvoronovich, Yakov Zaada Daniel, Avraham Shalom Levi

 

Weitere Informationen zum Film

 

Sie beginnt in einem Nagelstudio in Bat Yam, einem Vorort von Tel Aviv. Hier arbeitet die Ukrainerin Christina (Lena Fraifeld); sie wird dort von ihrem israelischen Gatten Michael (Yaakov Zada-Daniel) aufgesucht. Er hat einen Blumenstrauß mitgebracht und bleibt zunächst stumm sitzen. Mehrfach treffen sich ihre Blicke und verraten Vertrautheit, aber keine Romantik. Eher scheint beide eine gewisse Nervosität zu verbinden. Richtig: Die Blumen sind nicht für Christina bestimmt, und Michael hat sie nicht ausgesucht.

 

Arrangierte Ehe

 

Sie sind für Christinas Schwester Valeria (Dasha Tvoronovich) gedacht, die beide vom Flughafen abholen. Es ist kein Freundschaftsbesuch, wie sich herausstellt. So wie zuvor Christina kommt auch Valeria für eine arrangierte Ehe nach Israel. Der Blumenstrauß stammt von ihrem potentiellen Ehemann, den sie bisher nur aus Video-Meetings kennt. „Gefunden“ haben sie einander durch Michael, der offenbar gerade dabei ist, selbst eine Heiratsvermittlung für Frauen aus der Ukraine aufzubauen. Obwohl ihm sichtlich nicht wohl dabei ist: Von Valerias Ehe werden er und Christina profitieren.

Offizieller Filmtrailer


 

Daher ist die Stimmung von Beginn an unbehaglich. Sobald das Trio die Wohnung betritt, in der der Film zum überwiegenden Teil spielt, liegt Spannung in der Luft. Präziser fängt die Kamera in der Enge der weißen Wände all jene Blicke und Gesten ein, die im Verlauf eines einzigen Tages immer bedeutungsschwerer werden. Als zum Beispiel Michael Valeria verbietet, in der Wohnung zu rauchen, können nicht nur Raucher nachempfinden, wie sie sich fühlt: wie ein Tier im Käfig. 

 

Kein Ausbruch von Gewalt

 

Die Frauen ahnen durchaus, wie schlimm sich die Dinge entwickeln könnten. Fast beiläufig schmieden sie während eines Spaziergangs einen Fluchtplan. Als dann Eytan (Avraham Shalom Levi) erscheint, der hoffnungsvolle Bräutigam in spe, ist er auf so unbeholfene Weise bemüht, Valeria zu gefallen, dass bald allen außer ihm klar wird: Der Heiratsplan ist ein Desaster. Draußen prasselt nun Regen. Doch anders als in vielen Filmen über arrangierte Ehen entlädt sich die Spannung nicht in Gewalt. Regisseurin Vinik bricht mit der Kino-Tradition, Frauenleid durch Gewaltdarstellung gegen Frauenkörper darzustellen. Stattdessen setzt sie ganz auf Zwischentöne und sorgfältige Figurenzeichnung.

 

Valeria selbst scheint sich in ihr Schicksal gefügt zu haben. Sie bemüht sich wirklich, den ungeschickten Eytan zu mögen. Vor allem aber scheint sie es eher ihrer älteren Schwester recht machen zu wollen, als dass sie ihr eigenes Leben plant. Wie dieses aussehen könnte, darauf gewährt die Kamera nur einen flüchtigen Blick, hinter dem sich eine ganze, unerzählte Geschichte verbirgt. Diese Hintergründe mitzuahnen ist die detektivische Eigenleistung, die der Film seinem Publikum abverlangt. 

 

Zwei Männer

 

Michael wird dargestellt als recht typischer israelischer Mann, der in Panik seine Mutter anruft, wenn Christina die Suppe nicht so hinbekommt, wie er es gewöhnt ist. Hier leistet sich das Drehbuch doch einmal ein Klischee und einen raren Anlass zum Schmunzeln. Michael hält mit Mühe seine Ungeduld im Zaum, denn er fürchtet zunächst vor allem, die Vermittlungsgebühr an Eytan zurückzahlen zu müssen. Doch er beginnt auch zu begreifen, dass es nur ein kleiner Schritt von der Heiratsvermittlung zum Menschenhandel ist.

 

Eytan dagegen weiß weder ein noch aus. Der Wunsch, endlich eine Frau zu finden, wird bei ihm zur existentiellen Krise. Ohne Zweifel spürt er religiösen und familiären Druck im Nacken, vor allem aber die Last seiner eigenen Defizite. Es wäre leicht gewesen, ihn als hoffnungslosen „Incel“ darzustellen, als „involuntary celibataire“ („Junggesellen wider Willen“). Stattdessen weckt seine Ratlosigkeit eher Mitleid. Aber zu keinem Zeitpunkt kann man sich Valeria als Frau an seiner Seite vorstellen. Das realisiert sie schließlich auch, schließt sich im Bad ein und wirft den Schlüssel aus dem Fenster.

 

Abschied ohne Drama

 

Christina wird sich schließlich bewusst, dass sie ihre Schwester auch aus egoistischen Motiven ins Land geholt hat: Obwohl sie mit ihrem Leben hier zufrieden ist, hat sie sich einsam gefühlt. Ihr wird klar, dass ihre Schwester eine eigene Zukunft verdient, und dass es an ihr selbst ist, das Loch in ihrem Leben zu stopfen. Ihr gönnt der Film am Ende auch jenen singulären Sonnenstrahl, sowie den Genuss einer Zigarette.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films  "Youth" - Verstörendes Entführungsdrama des israelischen Regisseurs Tom Shoval von 2014 

 

und hier eine Besprechung des Films "Liebe Halal" – Episoden-Tragikomödie über islamisches Eherecht im Libanon von Assad Fouladkar

 

und hier einen Bericht über den Film "Mustang" – eindrucksvolles Zwangsheirats-Drama in der Türkei von Deniz Gamze Ergüven

 

Bleibt am Ende die Frage, ob es sich lohnt, einen Film anzusehen, in dem eigentlich nicht viel Dramatisches geschieht. Gewalt widerfährt nur der Badezimmertür. Auch der aktuelle Krieg in der Ukraine wird in der israelisch-ukrainischen Koproduktion interessanterweise mit keinem Wort erwähnt. Am Ende heiratet Valeria eben nicht. Sie steigt wieder ins Flugzeug, und der größte Schaden ist, dass Michael Eytans Famile Geld schuldet. Das ist sicher kein Happy End, aber alles hätte viel schlimmer kommen können.

 

Wir können auch anders

 

Auf einer soziologischen Ebene geht es in diesem Film um ein wiederkehrendes Thema nicht nur im israelischen Kino: was sich Mittelständler alles einfallen lassen, um den finanziellen Abstieg abzuwenden. So entführten in „Youth“ (2014) von Tom Shoval zwei israelische Brüder eine Schülerin, um von ihrer gutbetuchten Familie Geld zu erpressen und ließen dabei nebenher ihrer  Misogynie freien Lauf. Sicher war das gemeint als Kritik an einer verrohten und patriarchalen Gesellschaft.   

 

In ihrem Kammerspiel scheint Regisseurin Vinik zeigen zu wollen, dass es auch anders geht. Statt Gier und Übereifer setzen sich Geduld und Verständnis durch. Die beiden Männer entpuppen sich trotz ihrer Vorbelastungen nicht als Frauenhasser, nur als Verlierer in einem zweifelhaften Deal. Aber jeder der vier ausgezeichnet gespielten Charaktere durchlebt in diesen Stunden eine potentiell positive Veränderung. Das ist sicher nicht das Ende ihrer Probleme, aber es bleibt ein kleiner Sonnenstrahl in der Filmlandschaft.