Freising

Verdammte Lust! – Kirche. Körper. Kunst

Francesco Cairo (1607-1665): Entrückung der hl. Maria Magdalena um 1650. ©Collezione Gastaldi Rotelli, Foto: Diego Brambilla, Mailand. Fotoquelle: Diözesanmuseum Freising
Du sollst Dir ein Bildnis machen: Das 2022 wieder eröffnete Diözesanmuseum betrachtet die Wirkung klerikaler Vorgaben auf Körperbilder seit der Antike. Verordneter Lustfeindlichkeit begegneten Künstler mit raffinierten Ablenkungs-Strategien – etwa bei Heiligen in eindeutig zweideutiger Ekstase.

Um es gleich vorab zu sagen: Diese Ausstellung behandelt nicht die Missbrauchs-Skandale, welche die katholische Kirche schon seit Jahrzehnten erschüttern. Doch die Macher sind sich natürlich dieses Kontextes bewusst und reagieren auf durchdachte Weise: mit einer umfassenden Betrachtung des Verhältnisses der Kirche zur Sexualität im Spiegel der Kunst. Genauer: „wie sehr die kirchliche Sexuallehre die Kunstschaffenden in ihren Werken durch die Jahrhunderte in Ikonografie und Gestaltung beeinflusst hat“.

 

Info

 

Verdammte Lust! –
Kirche. Körper. Kunst

 

05.03.2023 - 02.07.2023

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr

im Diözesanmuseum, Domberg 21, Freising

 

Katalog 49,90 €, Essay-Band 39,90 €,
zusammen 80 €

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Die Schau soll also historisches Hintergrundwissen bereitstellen, das aktuelle Verwerfungen erhellt. Dass sie eine radikal zeitgenössische Perspektive einnimmt, macht noch vor dem Eingang das erste Exponat deutlich: eine Fotocollage des französischen Duos Pierre et Gilles in der für sie typischen Hochglanz-Camp-Ästhetik. Darauf posiert im Matrosen-Outfit ein muskulöser Dunkelhäutiger halbnackt mit Pseudo-Pfeilwunden des Hl. Sebastians vor einem diffusen Kriegs-Panorama. Homoerotischer können Märtyrer kaum erscheinen – die Botschaft ist klar.

 

Kreatur-Unschuld vs. Kleriker-Dogmatik

 

Derart programmatisch geht es im ersten Saal weiter. Zur Barockmusik von Jean-Philippe Rameaus Ballettoper „Les indes galantes“ tanzt und tollt im Video ein Dutzend Nackedeis ausgelassen umher – edle Wilde am Staatstheater Nürnberg. Rechts daneben muss sich ein unbekleidetes Weib auf einem Gemälde von 1529 gefallen lassen, von acht Kirchenvätern beäugt zu werden; sie disputieren über die unbefleckte Empfängnis. Kreatürliche Unschuld versus klerikale Dogmatik; damit ist der inhaltliche Rahmen abgesteckt.

Impressionen der Ausstellung


 

Kontrast-Kombinationen verblüffen

 

Doch die Durchführung überrascht. Anstatt ihr Riesenthema chronologisch oder systematisch abzuhandeln, gliedert sich die Ausstellung in sieben Abschnitte plus Epilog zu Attributen des Leibes: vom schamlosen über den sündigen und sinnlichen bis zum verletzten Körper. Diese Einteilung nach Körper-Aspekten erlaubt, rund 150 völlig unterschiedliche Werke aus sämtlichen Epochen von der Antike bis Ende des 18. Jahrhunderts zusammenzustellen.

 

Und diese Kombinationen verblüffen durch Kontraste: Auf frivole Sinneslust-Darstellungen folgen sittsame Marienbilder. Gegenüber eines förmlichen Familienporträts von Van Dyck werden ein etruskischer Phallus-Grabstein, römische Glieder-Türschellen und Gebärmutter-Votivgaben in Krötenform ausgebreitet. Dabei geht es weder um eine Kuriositätenschau noch darum, Kulturgeschichte gegen den Strich zu bürsten. Aber das kaleidoskopartige Arrangement umgeht geläufige Klischees vom Muff unter den Talaren und sensibilisiert stattdessen für traditionelle und bekannte, aber mittlerweile verblasste Zusammenhänge.

 

Angebliche Abschreckung als Vorwand

 

Mit dem Sündenfall von Adam und Eva kamen nicht nur Sterblichkeit, Mühsal der Arbeit und Schmerzen der Geburt in die Menschenwelt, sondern auch die Erbsünde; sie wird bei der Zeugung weitergegeben. Ausgelöst durch lüsterne Begierde, die folglich sündhaft ist: So dekretierte es Kirchenvater Augustinus. Deshalb ist das Fleisch schwach und muss gezüchtigt werden – die lustfeindliche Moral der christlichen Theologie findet darin ihren Ursprung.

 

Nichtsdestoweniger entwickelten Künstler diverse Strategien, Körper und Sinnesfreuden mehr oder weniger explizit darzustellen – gern unter dem Vorwand angeblicher Abschreckung. Spätestens mit der Wiederentdeckung antiker Vorbilder in der Renaissance wurde auch Nacktheit bildwürdig, wozu man meist Figuren der heidnischen Mythologie bemühte. Oder die ersten Menschen in paradiesischer Reinheit; ein ganzer Saal ist ihnen gewidmet. Mal reicht Eva Adam die fatale Frucht, mal greift er selbst beherzt zu.

 

Gevatter Tod mit erigiertem Glied

 

Wie frech manche Künstler ihre Freikörperkultur ausnutzten, zeigt ein kleiner Kupferstich (1529) von Hans Sebald Beham, den die Kuratoren mannshoch reproduziert haben: Darauf ergreift Eva ungeniert Adams Glied, während er ihren Venushügel krault – derweil ihn der Tod von hinten packt, den es handelt sich vermeintlich um eine Vanitas-Allegorie: „Der Tod macht allem ein Ende“, steht auf Latein am linken Rand. Dass dieser Gevatter auch noch eine Erektion hat, setzt dem Ganzen die schamlose Spitze auf. Kein Wunder, dass Beham der Pornographie verdächtigt und aus seiner Heimatstadt Nürnberg verbannt wurde.

 

Etliche Kollegen gingen kaum diskreter vor. Der manieristische Kupferstecher Hendrick Goltzius hielt 1585/8 detailliert Venus und Mars beim Liebesspiel fest – samt Vulcanus, der sie in flagranti ertappt. Der Genueser Barockmaler Giovanni Battista Paggi zeigt 1590 Venus beim innigen Kuss mit dem Amorknaben. Auf ein hellenistisches Vorbild des 2. Jh. v. Chr. geht ein schlafender Hermaphrodit zurück, den Filippo Tagliolini um 1800 für die Porzellanmanufaktur von Neapel modellierte. Und Giulio Cesare Carpioni malte 1665 einen „Rausch des Silens“ als Gruppenorgie, bei der allen Lastern gefrönt wurde.

 

Hl. Sebastian als schwules Schönheitsideal

 

Derlei hat mit dem Christentum nichts zu tun – der antike Götterhimmel als safe space der Freizügigkeit. Doch viele derartige Posen und Kompositionen ließen sich auf religiöse Sujets übertragen. So wurde Jesus am Kreuz zuweilen splitternackt dargestellt, etwa als Bronzeplastik von Giambologna um 1590; als Beweis für die Menschwerdung Gottes und sein Leiden bei der öffentlichen Entblößung. Das wäre beim Hl. Sebastian nicht nötig gewesen: Trotzdem sind bei einer süditalienischen Holzskulptur aus dem 18. Jh. seine Genitalien naturgetreu nachgebildet.

 

Kaum ein anderer Heiliger ist so häufig abgebildet worden wie Sebastian; die Schau bietet ein halbes Dutzend Beispiele von bedeutenden Barockmalern wie Guido Reni, Lorenzo Lippi und Jusepe de Ribera auf. Wie malerisch die Pfeile in seinem nackten Leib stecken, wie er schmachtend blickt und sich lasziv windet, dabei seine geschmeidigen Glieder vorführend: Da nehmen schwule Schönheitsideale betörende Gestalt an. Ähnlich reizvoll wirkt der Erlöser, der 1732 dem hl. Martin auf einem Gemälde von Francesco Solimena erscheint.

 

Verzücktes Antlitz, selig geschlossene Lider

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Femme Fatale: Blick – Macht – Gender" – opulente Überblicksschau zu erotisch aufgeladenen Männerfantasien des 19. Jh. in der Hamburger Kunsthalle

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Guido Reni – Der Göttliche" – umfassende Retrospektive des barocken "Meisters des himmelnden Blicks" im Städel Museum, Frankfurt

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung "SUSANNA – Bilder einer Frau vom Mittelalter bis MeToo" – hervorragende Themenschau zum biblischen Vergewaltigungs-Motiv im Wallraf-Richartz-Museum, Köln

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Blicke ! Körper ! Sensationen !" über ein "Anatomisches Wachskabinett und die Kunst" im Deutschen Hygiene-Museum, Dresden

 

und hier Kritik der Ausstellung "zeigen verhüllen verbergen – Schrein" zur "Ästhetik des Unsichtbaren" im Kolumba, Kunstmuseum des Erzbistums Köln.

 

Aber auch Heteros kommen auf ihre Kosten; vor allem bei Bildnissen von Maria Magdalena. Dass die Gefährtin Christi im 6. Jh. aus zwei biblischen und einer realen Figur fusioniert wurde, steigerte nur ihren sex appeal: Als Ex-Prostituierte und später asketische Büßerin in der Wüste war sie Hure und Heilige zugleich, oft nur in ihr üppiges Haupthaar gehüllt. Auf ihrer „Entrückung“ (1650) von Francesco Cairo umspielen Locken ihre festen Brüste, während Engel sie empor tragen – mit selig geschlossenen Lidern.

 

Noch eindeutiger wirkt ihre Haltung auf einem Gemälde von Guido Cagnacci 1627: Ihr barbusiger Oberkörper wölbt sich angespannt, ihren Kopf hat sie verzückt in den Nacken geworfen. Zudem drückt sie einen Schädel in ihren Schoß. Wer darin nur mystische Ekstase erkennen will, hat mit allem Weltlichen längst abgeschlossen. Allerdings stammen alle genannten Barockbilder aus der Ära der Gegenreformation. Die katholische Kirche wollte mit solch drastischer Anschauung die Gefühle der Gläubigen ansprechen – um sie dem spröde rationalen Protestantismus abspenstig zu machen.  

 

Tour d’horizon durch 2000 Jahre Körperkunst

 

Sakralkunst auf emotionale Sublimation von Sinnlichkeit zu reduzieren, wäre verfehlt. Die Ausstellung führt auch gegenteilige Varianten vor, etwa zur Kontrolle von Begierde durch Enthaltsamkeit im Zölibat und Ordensleben, mittels Jungfräulichkeit oder gottgefälligem Familienglück. So wird der Rundgang zur tour d’horizon durch sämtliche Verfahren des religiösen Umgangs mit Körpern seit 2000 Jahren – illustriert von erstklassigen Werken großer Meister wie Cranach, Dürer oder Tintoretto, sogar einer Zeichnung von Leonardo.

 

Mit dieser fulminanten Ausstellung erweist sich das 1974 eingeweihte Diözesanmuseum, das im Oktober nach neunjähriger Umbauzeit wieder eröffnet wurde, auf der Höhe der Gegenwart – anders als etwa das Kolumba in Köln mit seinem esoterisch verkopften Programm. Man darf gespannt sein, was das Museum als nächstes zum Spannungsfeld Klerus, Kunst und Gesellschaft präsentieren wird.