Lars Kraume

Die Unschärferelation der Liebe

Greta (Caroline Peters) und Alexander (Burghart Klaußner) vor der Skyline von New York. Foto: X Film X Verleih
(Kinostart: 29.6.) Quantenphysik der Emotionen: Obwohl Greta ständig Ungereimtes von sich gibt, lässt sich Alexander auf eine Beziehung mit ihr ein. Ihre Achterbahnfahrt ambivalenter Gefühle auf der Theaterbühne adaptiert Regisseur Lars Kraume fürs Kino – und lässt bewusst Eindeutigkeit vermissen.

Abends in Berlin. Regentropfen auf dem Fenster eines Busses brechen die Lichter der dahinter liegenden Stadt. Ein älterer Passagier beobachtet vorbeiziehende Szenen: eine Obdachlose, die um Geld bettelt; ein Hund, der über die Straße läuft; ein Paar, das sich an der Ampel streitet. Ein paar Minuten später wartet der Mann an einer Bushaltestelle, als ihm eine fremde Frau überraschend auf den Nacken küsst. Er schreckt zurück, die Frau entschuldigt sich: Sie habe ihn mit ihrem Ehemann verwechselt. Der Mann wirkt erleichtert, aber auch skeptisch.

 

Info

 

Die Unschärferelation der Liebe

 

Regie: Lars Kraume,

92 Min., Deutschland 2023;

mit: Burghart Klaußner, Caroline Peters, Carmen-Maja Antoni

 

Weitere Informationen zum Film

 

Diesen Gesichtsausdruck wird er während des gesamten Filmes nicht mehr ändern. Und „Die Unschärferelation der Liebe“  von Regisseur Lars Kraume wird nicht wieder zurückkehren zur kontemplativen Stimmung der Eingangsszene, sobald die Frau, die sich als Greta (Caroline Peters) vorstellt, zu sprechen begonnen hat. Ihre Sätze schlagen ständig seltsame Volten, die den Mann, Alexander (Burghart Klaußner), wiederholt die Augen rollen lassen.

 

Alexander war nie irgendwo

 

Ihr Gatte sei vor einem Jahr gestorben, erzählt sie, und sie könne sich nicht erklären, wie sie ihn habe verwechseln können. Zudem sei sie in letzter Zeit sehr abgelenkt, würde bereits ihr Leben lang als Kellnerin arbeiten, und ob er denn schon mal in Afrika gewesen sei? Alexander ist das Gerede sichtlich unangenehm. Er bleibt zunächst gelassen, kontert aber bald so kurz angebunden wie schlagfertig – und beantwortet Gretas letzte Frage knapp mit: „Ich war noch nie irgendwo.“

Offizieller Filmtrailer


 

Überraschender Besuch

 

Irgendwann reißt er sich los von ihr und läuft durch die Nacht nach Hause, wo er am kargen Küchentisch ein belegtes Brötchen isst. Es wirkt wie ein Theaterstück, das den Betrachter in seinen Bann zieht. Doch das ist erst der Anfang: Ein paar Tage später taucht Greta zu seiner Überraschung in Alexanders Metzgerei auf, deren Standort sie „kinderleicht“ gefunden habe, wie sie sagt – nämlich mit Google Maps.

 

Abermals verfällt sie in einen Redeschwall und gesteht, beim ersten Treffen über sich selbst in allen Details gelogen zu haben. Tatsächlich habe ihr Mann sie vor einigen Jahren verlassen, und sie sei auch keine Kellnerin, sondern arbeite als Sekretärin in einer Schule. Doch je verrückter die dauerquasselnde Greta wirkt, desto zugewandter wird Alexander. So kommt es, wie der Film von Anfang an subtil suggeriert, zur Annäherung: Beide landen miteinander im Bett.

 

Selbe Besetzung wie in Theaterfassung

 

Was ist hier eigentlich los? Geht das mit rechten Dingen zu? Warum schmeißt sich diese Frau mit Ende 40 an einen wesentlich älteren, unscheinbaren Mann heran? Als Greta den Metzgermeister noch in dieser ersten gemeinsamen Nacht um 15.000 Euro bittet, um ihren angeblich in New Jersey verschwundenen Sohn zu besuchen, wird klar, dass es sich um eine Art Liebesschwindel handelt. Alexander lässt sich das nicht bieten und wirft Greta hinaus. Doch dann kommt wieder alles anders – nur Greta bleibt ihrer Manier treu und plappert weiter.

 

Es wirkt wie ein Theaterstück, und das ist kein Zufall. Das von Regisseur Lars Kraume gemeinsam mit Dorothee Schön verfasste Drehbuch basiert auf dem 2015 uraufgeführten Bühnendrama „Heisenberg“ von Simon Stephens, das 2016 im Düsseldorfer Schauspielhaus zu sehen war. In dieser Inszenierung verkörperten gleichfalls Klaußner und Peters die Hauptrollen. Dem Schauspieler-Duo gelingt es beeindruckend, ihre Figuren von der Bühne auf die Leinwand zu transportieren.

 

Regie setzt zu sehr auf Bühnen-Dramatik

 

Auch sonst funktioniert die Kino-Adaption gut: So zeigt die Kamera beide stets im mittleren Close-up und blendet damit die jeweilige Umgebung fast vollständig aus. Derweil halten hastige, überdrehte Dialoge die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf Trab wie bei einem Theaterpublikum, das vor einer räumlich begrenzten Bühne bei der Stange gehalten werden muss. Manchmal sind diese Dialoge ziemlich witzig: Als Greta Alexander fragt, was ihm daran gefalle, Metzger zu sein, antwortet er: „Ich mag Tiere, ich mag Fleisch und ich mag Messer.“

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der vermessene Mensch" – fesselndes Dokudrama über den Völkermord an den Herero 1904 von Lars Kraume

 

und hier eine Besprechung des Films "Der Staat gegen Fritz Bauer" – gelungenes Biopic über den Staatsanwalt, der Adolf Eichmann aufspürte, von Lars Kraume mit Burkhart Klaußner

 

und hier einen Beitrag über den Film "Der Nachname"Nachfolger der Erfolgskomödie "Der Vorname" von Sönke Wortmann mit Caroline Peters.

 

Doch irgendwann stellt sich das Gefühl ein, dass Lars Kraume, der zuletzt bei der Berlinale 2023 mit seinem Kolonial-Drama „Der vermessene Mensch“ für Aufsehen sorgte, vielleicht ein bisschen zu sehr auf Bühnen-Dramatik setzt. So charmant der Regisseur seine Protagonisten als groteske Figuren in ihrer eigenen kleinen Welt inszeniert, so anstrengend wird das Zuschauen im letzten Drittel. Wobei es ihm gut gelingt, die Ambivalenz der Geschichte und das Geheimnis aufrechtzuerhalten, das Gretas Person umgibt. Nie wird wirklich klar, ob sie sich in ihr scheinbares love interest tatsächlich verliebt hat oder nicht.

 

Unbestimmbare Eigenschaften

 

Es ist, als habe der Regisseur die quantenphysikalische Unschärferelation im Titel des Films auf dessen Handlung übertragen: Der spätere Nobelpreisträger Werner Heisenberg hatte 1927 bewiesen, dass zwei Eigenschaften eines Teilchens sich nicht gleichzeitig bestimmen lassen, weil die Messung eines Parameters unweigerlich den anderen beeinflusst. Ebenso verändert sich auch die Wahrnehmung der beiden Protagonisten während des Films in ungeahnte Richtungen – je  nachdem, was man über sie erfährt. Dieses Verhaltens-Experiment dürfte vor allem für jene spannend sein, die gerne stets ein wenig im Unklaren gelassen werden.