Out in the Blue: In der ersten Szene schweben Sara (Juliette Binoche) und ihr langjähriger Partner Jean (Vincent Lindon) durch blaues Meerwasser, ineinander verschlungen wie Seepferdchen. Das in die Jahre gekommene Paar wirkt glücklich – nicht auf die aufgeregt-verliebte, eher auf tiefenentspannte Art. Doch ihr gemeinsames Leben in Paris verläuft nicht problemfrei; das signalisiert schon der Stapel von Briefen, den sie nach ihrer Rückkehr vorfinden.
Info
Mit Liebe und Entschlossenheit
Regie: Claire Denis,
116 Min., Frankreich 2021;
mit: Juliette Binoche, Vincent Lindon, Grégoire Colin
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Mutter ging zurück nach Martinique
Von seinen Eltern fühlt sich Marcus jedenfalls im Stich gelassen. Seine Mutter kehrte zurück in ihrer Heimat Martinique; während Jean im Knast saß, hat sich seine Mutter, also Marcus‘ Oma, um den Jungen gekümmert. Die ist damit allerdings sichtlich überfordert. Obwohl Jean ihr verspricht, fortan präsenter zu sein, wird bald klar: Eigentlich drückt er sich vor der Verantwortung und geht seinem Sohn eher aus dem Weg.
Offizieller Filmtrailer
Deutungsmuster werden verweigert
Zumindest die Beziehung von Sara und Jean wirkt stabil und ausbalanciert. Dass sich dennoch eine offene Flanke für eine ménage à trois auftut, kommt für den Zuschauer entsprechend überraschend – nicht aber für Jean. Als Sara betont beiläufig erwähnt, sie habe zufällig auf dem Weg zur Arbeit ihren Exfreund François (Grégoire Colin) gesehen, wirkt er sofort alarmiert.
Umgehend tun sich in ihrem Beziehungsgefüge Risse auf. Es entwickelt sich ein recht klassisches Dreiecksverhältnis, das Regisseurin Clare Denis jedoch auf recht unklassische Weise darstellt. Damit bleibt sie Stilelementen ihrer früheren Filme treu: etwa einem sehr direkt-distanzlosen Blick auf ihre Hauptfiguren, wie etwa im Drama „Der Fremdenlegionär“ von 1999. Oder der konsequenten Verweigerung, dem Zuschauer Deutungsmuster für das Verhalten der Figuren anzubieten.
Wie Abrissbirne durchs eigene Leben
Sara, die als Moderatorin des Auslands-Radiosenders RFI recht nüchtern auftritt, mutiert zu einer Frau, die sich nun vor Leidenschaft verzehrt und wie eine ferngesteuerte Abrissbirne durch ihr Leben bewegt. Doch die Handlung wird nicht von großen Momenten, emotionalen Höhe- oder Tiefpunkten vorangetrieben. Denis’ Aufmerksamkeit gilt dem Davor oder Danach: den Momenten, in denen Dinge diffus und in der Schwebe sind.
Allmählich erhält man Einblicke in die Vorgeschichte und das komplexe Beziehungsgefüge des Trios: Sara hat sich vor rund zehn Jahren gegen François und für Jean entschieden – offenbar, weil der ihr zugewandter und verlässlicher schien. Zugleich waren François und Jean früher Geschäftspartner. Was dabei schief lief, bleibt unklar; doch offenbar genug, um Jean ins Gefängnis zu bringen. Nun bietet François ihm – ebenso überraschend, wie er aufgetaucht ist – einen Job an: als Rugby-Talentscout in seiner Sportagentur. Jean nimmt dankbar an, wovon Sara keineswegs begeistert ist.
Etwas klischeehafte Rollenverteilung
Der Film beruht auf dem Roman „Un tournant de la vie“ (2018) von Christine Angot. Regisseurin Denis adaptiert die Vorlage auf gewagte Weise: Wenig wird ausbuchstabiert oder gar diskutiert. Im dialogarmen Geschehen blieben die Motivationen und inneren Verstrickungen der Figuren rätselhaft. „Mit Liebe und Entschlossenheit“ enthält sich jeder Psychologisierung – was einen bisweilen ratlos zusehen lässt, zugleich aber einen eigenen Sog entwickelt.
Hintergrund
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Wie eine rückfällige Drogensüchtige
Indes kommt dieses Vexierspiel ohne die manipulativen Gefühlsinszenierungen aus, die sonst im Melodram-Genre gang und gäbe sind. Sympathien werden dem Zuschauer nicht aufgenötigt. Dass bei Sara urplötzlich ihr einstiges Begehren wieder auflodert, inszeniert die Regisseurin wie eine biochemische Reaktion oder den Rückfall in eine Drogensucht.
Daher sagt Sara zu sich selbst: „Jetzt geht es wieder los: die Panik, die Angst, das Telefon neben dem Bett.“ Währenddessen bleibt die Kamera, wie meist in diesem Film, dicht an ihrem Gesicht; ablesen lässt sich daraus jedoch wenig. So treibt der Zuschauer fast so im Uferlosen wie die Protagonisten in der Anfangsszene: Nach dem, was sie bewegt, muss er unter der unruhigen Oberfläche des eigenwillig vor sich hin trudelnden Films selbst suchen.