Lola Quivoron

Rodeo

Freundschaft im Fahrtwind: Auf ihrem Bike genießt Julia (Julie Ledru, li.) die gemeinsame Zeit mit Ophélie (Antonia Buresi). Foto: © Plaion Pictures
(Kinostart: 13.7.) Babes on Bikes: In der kriminellen Motorrad-Szene versucht eine junge Frau, sich mit gewagten Stunts und knallharter Attitüde durchzusetzen. Die Fluchtfantasie von Lola Quivoron beginnt als filmischer Kickstart, bis ihr im letzten Teil der Sprit ausgeht.

Julia (Julie Ledru) ist verzweifelt: Ihr Motorrad wurde gestohlen. Wie bald klar wird, war sie selbst nicht die rechtmäßige Besitzerin. Doch nun streitet sie handgreiflich mit ihrem genervten Bruder und jedem, der ihr in die Quere kommt. Sie schubst, drängelt, bettelt und schlägt, bis sie ihr Ziel erreicht: Der Bruder ruft den Inserenten einer Geländemaschine an und vereinbart für Julia einen Besichtigungstermin. Die wirft sich in Schale, gibt sich beim Termin höflich und interessiert – und ist wenig später mit dem erbeuteten Gefährt auf und davon. Für kurze Zeit kann sie sich beseelt dem Freiheits- und Geschwindigkeitsrausch hingeben. Dann geht der Sprit aus, und sie muss schieben.

 

Info

 

Rodeo

 

Regie: Lola Quivoron,

105 Min., Frankreich 2022;

mit: Julie Ledru, Yannis Lafki, Antonia Buresi

 

Weitere Informationen zum Film

 

In Lola Quivorons Debütfilm wird die Kamera von Raphaël Vandenbussche zum Akteur. Sie bleibt der hitzköpfigen Protagonistin ganz nah, während diese ihre Rangeleien mit ihrer Umwelt austrägt. Die Kamera umkreist sie und hat doch Mühe, die junge Frau mit ihrem fanatischen Bewegungsdrang im Bild zu halten, aus dem diese so beständig auszubrechen versucht wie aus den sie umgebenden Verhältnissen. Erst auf offener Straße, als Lola wenigstens für kurze Zeit die Flucht gelingt, werden die Bildausschnitte weiter, weichen hektische Bewegungen einem gleichmäßigen Schweben.

 

Parallelwelt Moto-Rodeo

 

Zumindest in der ersten Hälfte des Films dient diese Art der Stilisierung ganz dem Eintauchen in Julias (Traum-)Welt. In der perspektivlosen Eintönigkeit der Vorstädte von Bordeaux träumt sie davon, sich in der männerdominierten Parallelwelt der Rodeos einen Namen zu machen. Dabei handelt es sich um illegale Treffen jugendlicher Biker und Geschwindigkeitsfanatiker, bei denen sich Fahrer an entlegenen Orten Wettkämpfe um die wagemutigsten Stunts liefern. Lang ausgefahrene wheelies – also Fahrten nur auf dem Hinterrad – bei hohen Drehzahlen sind hier nur der Auftakt für stetig weiter getriebene Mensch-Maschine-Akrobatik.

Offizieller Filmtrailer


 

Benzin und Testosteron

 

Als Julia bei einem dieser Rodeos auftaucht und sich in die Parade der lärmenden Jungmänner einreiht, offenbart sich zum ersten Mal die Diskrepanz zwischen ihren Wünschen und der Realität der von Benzin und Testosteron angetriebenen Subkultur. Aufgrund ihrer geringen Fähigkeiten als Fahrerin ist sie den anderen vor allem im Weg – und als Frau schnell Stein des Anstoßes. Einige der Fahrer begegnen ihr mit unverhohlener Aggression.

 

Zudem ist sie tatsächlich ständig auf Hilfe angewiesen und muss etwa Treibstoff schnorren, wobei sie sich mit ihrer überheblich unbedingten Art ebenfalls kaum Freunde macht. Dennoch nimmt sich mit Abra (Dave Nsaman) einer der Platzhirsche ihrer an und bringt ihr erste Tricks bei. Als er wenig später während einer hektischen Flucht vor der anrückenden Polizei stürzt, kommt es zu einem der wenigen Momente, in denen die sonst stoisch um sich und ihren Vorteil kreisende Julia Gefühle offenbart und versucht, dem Verletzten beizustehen.

 

Aufstieg in der Hackordnung

 

Einerseits bringt das gemeinsam Erlebte Julia näher an die Biker der B-Mores-Crew heran. Mit Kaïs (Yannis Lafki), der von ihrer burschikosen Art offensichtlich fasziniert ist, gelingt es ihr sogar, einen weiteren Verbündeten aus dem inneren Kreis der Fahrer zu gewinnen. Um sich hier zu behaupten, muss Julia bald ihre gesamte kriminelle Energie einsetzen.

 

Hintergrund

 

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Je mehr es ihr gelingt, sich dem Paten Domino anzudienen, der vom Gefängnis aus die Strippen zieht, und je mehr sie innerhalb der Hackordnung der B-Mores aufsteigt, desto gewalttätiger werden die Angriffe auf sie. Und so zeichnet sich immer deutlicher ab, was eigentlich von Anfang an klar ist: Diese Geschichte kann kaum gut ausgehen.

 

Bravouröse Laiendarstellerin

 

Julie Ledru in der Hauptrolle ist eine Laienschauspielerin aus dem Umfeld realer Rodeos. Ihr zurückgenommenes Spiel mit meist verschlossener Mimik und dafür umso beredterer Physis verkörpert nuancenreich eine zähe junge Frau, die bereit ist, sich ihren Platz in dieser Männerwelt beharrlich zu ertrotzen. Das wirkt als Charakterstudie und Erkundung eines prekären und abseitigen Milieus absolut überzeugend. Auch eine Nebenhandlung, in der sich Julia mit Dominos Frau Ophélie tief verbunden zeigt, meistert Ledru bravourös.

 

Angesichts dieser Hauptfigur und des ebenso stimmig auftretenden restlichen Ensembles, das zum großen Teil in der Szene rekrutiert wurde, ist es umso bedauerlicher, dass Regisseurin Quivoron ihren hypernaturalistischen Ansatz nicht durchhält. Im dritten Akt kippt ihr Drama zunächst in ein Heist-Movie im Stil der „Fast and Furious“-Reihe um und endet schließlich in platter Symbolik.