Maïwenn + Johnny Depp

Jeanne Du Barry – Die Favoritin des Königs

Skandal bei Hofe! Die legitime Königstochter Adélaïde (India Hair, m.) fühlt sich von Jeanne Du Barry (Maïwenn, l.) brüskiert; Louis XV. (Johnny Depp, 2.v.r.) und Richelieu (Pierre Richard, r.) schweigen betreten. © Stéphanie Branchu - Why Not. Fotoquelle: Wild Bunch
(Kinostart: 24.8.) Auf Gnade und Ungnade: Die französische Schauspielerin und Regisseurin Maïwenn stemmt in Personalunion ihr Herzensprojekt. Ihre Hommage an eine Mätresse von Louis XV folgt akkurat und amüsant dem Aufstieg und Fall einer Kurtisane auf dem glatten Parkett im Spiegelsaal von Versailles.

Das ist also Johnny Depps Comeback: Der Hollywood-Star, der jahrelang in Prozesse gegen seine Ex-Frau Amber Heard verwickelt war, spielt einen alternden König, der sich eine neue Geliebte zulegt. Bei der Premiere in Cannes zog die Ironie der Situation mehr Interesse auf sich als das Werk selbst. Das ist ungerecht, denn der Film der französischen Regisseurin und Schauspielerin Maïwenn – die auch die Hauptrolle übernimmt – schildert das Ancien Régime am Hof von Louis XV (1710-1774) aus der Sicht einer berühmten Außenseiterin: Jeanne Du Barry, der letzten Mätresse des Königs.

 

Info

 

Jeanne Du Barry –
Die Favoritin des Königs

 

Regie: Maïwenn,

117 Min., Frankreich 2023;

mit: Maïwenn, Johnny Depp, Pierre Richard, Melvil Poupaud

 

Weitere Informationen zum Film

 

Mit Kindheit und Jugend von Marie-Jeanne Bécu, so ihr Taufname, hält sich das Drehbuch nicht lange auf. Jeanne ist ein unangepasstes, ambitioniertes Mädchen, das nach einem schlechten Start als uneheliches Kind einer Köchin alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzt, um im Leben weiter zu kommen. Dazu zählen im 18. Jahrhundert, da Frauen als Wesen zweiter Klasse galten, neben Schönheit auch etwas Bildung; also liest die schöne Jeanne in jeder freien Minute. Die nötige gesellschaftliche Raffinesse vermittelt ihr ein verarmter adliger Gönner namens Jean-Baptiste Du Barry (Melvil Poupaud).

 

Abwechslung für den König

 

Sie nutzt das Gelernte zunächst, um die begüterte Kundschaft im Bordell zu begeistern. Ihre Qualitäten fallen auch dem einflussreichen Herzog von Richelieu (Pierre Richard) auf, der stets auf der Suche nach neuen Mätressen für seinen in die Jahre gekommenen König ist. Da die junge Frau bei dessen Anblick nicht vor Ehrfurcht erstarrt und sich beim ersten arrangierten Treffen über ihre eigene Unbeholfenheit lustig macht, verspricht sie immerhin Abwechslung. Jeanne ist dennoch sehr bewusst, dass sie hier die Weichen für ein besseres Leben stellen kann.

Offizieller Filmtrailer


 

Irrwitz der Etikette

 

Denn die Position der offiziellen Geliebten des Königs verheißt ein angenehmes Dasein bei Hofe, vielleicht sogar finanzielle Sicherheit im Ruhestand. So erging es jedenfalls ihrer berühmten Vorgängerin Madame Pompadour. Nach ausreichender Entschädigung des Kupplers und einer hochnotpeinlichen gynäkologischen Untersuchung zieht Jeanne also nach Versailles um. Dort bekommt sie vom wohlwollenden ersten Kammerdiener des Königs La Borde (Benjamin Lavernhe) ausführlichen Unterricht in höfischer Etikette und Umgangsformen. Die muss Jeanne unbedingt befolgen, um am Hof eine Zukunft zu haben, denn allein ihre Anwesenheit ist schon skandalös.

 

Dem Irrwitz dieser Normen widmet der Film noch mehr Aufmerksamkeit als der unorthodoxe Kostümfilm „Marie Antoinette“ (2006) von Regisseurin Sofia Coppola. Ihr pastellfarbenes Spektakel voller cooler Mädchen lieferte Maïwenn nach eigenen Angaben die Inspiration, sich mit der Figur von Jeanne Du Barry  zu befassen. Sie wurde in Coppolas Film von Asia Argento als entscheidende Randfigur verkörpert, die der unerfahrenen Thronfolgerin beispielsweise wichtige Tipps für die Ehe mit auf den Weg gab.

 

Rituale der Macht

 

Im Vergleich dazu geht Maïwenn weniger frei mit der Schilderung der höfischen Gesellschaft um. Sehr detailliert zeigt sie beispielsweise Louis‘ öffentliche Morgentoilette mit ihren rituell wechselnden Besuchern. Selbst der Inhalt des Nachttopfs wird durch Leibärzte kommentiert. Heute wäre das für Autoritätspersonen eine Demütigung; damals war es eine Machtdemonstration, ein Beweis der Regierungsfähigkeit des Monarchen. Eindeutig lustig macht sich aber die Regisseurin über die in seiner Anwesenheit vorgeschriebenen Trippelschritte.

 

Jeanne selbst muss etliche Schmähungen und Demütigungen hinnehmen, insbesondere durch die drei noch unverheirateten Töchter des Königs. Sie werden als böse Märchenschwestern porträtiert: eine ist dummdreist verfressen, die zweite fanatisch religiös, die dritte hat immerhin etwas Herzensbildung. Als Trio treten sie aber infernalisch intrigant auf; sie sind eifersüchtig auf die Neue mit der zweifelhaften Herkunft. Die lebenskluge Jeanne unterwirft sich der starren Hierarchie, auch wenn sie ihr absurd erscheint. Ausführlich geschildert wird ihr langwieriges diplomatisches Ringen, damit die Braut des Thronfolgers wenigstens einmal ein Wort an sie persönlich richtet.

 

Beleuchtung wie bei „Barry Lyndon“

 

Denn Jeannes Position ist nur zu Ludwigs Lebzeiten gesichert; das Wohlwollen von Marie Antoinette würde halbwegs den Hass der Königstöchter aufwiegen. Als das endlich passiert, übernehmen manche Hofdamen sogar ihren reduzierten, bequemen Kleidungsstil ohne die damals essentielle Perücke – die Kostüme lieferte das Modehaus Chanel. Als Kulisse dient das originale Interieur des Schlosses von Versailles. Anders als bei Coppolas Film, der sich auf die spätere Rokoko-Stilistik von Marie Antoinette kapriziert, schwelgt die Kamera hier in satten, spätbarocken Farben.

 

In statischen Einstellungen badet sie geradezu in von schweren Gobelins dominierten Räumen und der prunkvollen, auf Einschüchterung ausgelegten Einrichtung. Nicht nur die Beleuchtung mit natürlichen Lichtquellen erinnert sehr an Stanley Kubricks Film „Barry Lyndon“ (1975). Wie vor fast einem halben Jahrhundert ihr britischer Kollege ließ sich auch Maïwenn von zeitgenössischen Gemälden inspirieren; manche Außenszenen scheinen Kompositionen des Hofmalers François Boucher lebendig werden zu lassen.

 

Beziehung auf Augenhöhe

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Ein königlicher Tausch" – subtiler Historienfilm über eine dynastische französisch-spanische Doppelhochzeit 1721 von Marc Dugain mit Lambert Wilson

 

und hier eine Besprechung des Films "Der Tod von Ludwig XIV." – Charakterstudie des Sonnenkönigs von Albert Serra mit Jean-Pierre Léaud

 

und hier einen Beitrag über den Film "Leb wohl, meine Königin!" – Historiendrama über Marie Antoinette, Frankreichs letzte Monarchin, von Benoît Jacquot

 

und hier einen Bericht über den Film "Schwestern - Eine Familiengeschichte" – komplexe franko-algerische Familienchronik von Yasmina Benguigui mit Maïwenn.

 

Nur in der Intimität der Privaträume ist Normalität gestattet, die sowohl Louis als auch Jeanne genießen. Sie pflegen bald ein Verhältnis, das von gegenseitiger Sympathie und Vertrautheit auf Augenhöhe bestimmt wird. Für eine Frau ist das ein damals kaum zu erreichender Rang, und Jeanne spielt ihn in aller Öffentlichkeit auf einem Ball im Versailler Spiegelsaal genüsslich aus. Vor dem schockierten Hofstaat senkt sie dem König gegenüber nicht den Blick – und verweigert auch die Trippelschritte.

 

Diese liebevolle Beziehung erzählt Maïwenn sehr stimmig, wobei Depp endlich wieder zeigen kann, dass er ein großartiger und uneitler Schauspieler ist. Dank intensiven Sprechtrainings parliert er sogar überzeugend im Französisch des 18. Jahrhunderts. Gegen sein todtrauriges Porträt des wächsern sterbenden Monarchen bleibt die eigentliche Hauptfigur bisweilen etwas blass: Nicht immer ist eine Regisseurin zugleich ihre beste Hauptdarstellerin.

 

„Pretty Woman“ ohne happy end

 

„Jeanne du Barry“ erzählt demnach eine verbürgte Geschichte mit märchenhaften Zügen, die der Off-Kommentar noch unterstreicht: eine Kino-Hommage an eine historische „Pretty Woman“, die vom unehelichen Bastard zur letzten großen Liebe des Königs samt Adelstitel aufstieg.

 

Ein happy end gibt es für sie aber nicht. Nachdem Louis XV 1774 an den Pocken stirbt, wird Jeanne ins Kloster abgeschoben; zwei Jahre später darf sie auf ihr Schloss in Louveciennes zurückkehren, das der Monarch ihr geschenkt hatte. Doch es wird 1791 im Zuge der Französischen Revolution ausgeraubt. Sie selbst landet zwei Jahre darauf als vermeintliche Konterrevolutionärin unter der Guillotine.