Matthias Luthardt

Luise

Hélène (Christa Theret, li.) und Luise (Luise Aschenbrenner) kommen sich immer näher. Foto: Salzgeber
(Kinostart: 31.8.) Queeres Frühlingserwachen im Ersten Weltkrieg: Eine junge Elsässerin auf dem Einödhof nimmt zwei Flüchtlinge auf und lässt sie nah an sich heran – mit fatalen Folgen. Regisseur Matthias Luthardt gelingt ein dichtes und stimmiges Historien-Kammerspiel samt eindrucksvollen Darstellern.

Oktober 1918, kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs. Die Elsässerin Luise (Luise Aschenbrenner) lebt allein in einem Bauernhaus im Wald. Abgesehen davon, dass sie ihr Vieh zum größten Teil an das deutsche Heer verloren hat, scheint der Krieg den abgelegenen Hof bisher verschont zu haben. Bis zu dem Tag, an dem sich zwei Fremde dorthin verirren.

 

Info

 

Luise

 

Regie: Matthias Luthardt,

95 Min., Frankreich/ Deutschland 2023;

mit: Luise Aschenbrenner, Christa Theret, Leonard Kunz

 

Weitere Informationen zum Film

 

Die Französin Hélène (Christa Theret) ist auf der Flucht; nach einem Vergewaltigungsversuch hat sie einen deutschen Soldaten getötet. Dessen Kamerad Hermann (Leonard Kunz) ist ihr auf den Fersen und trifft kurz nach ihr ein. Doch der Jäger entpuppt sich als Gejagter: Bei seiner Truppe weiß niemand etwas von dem Vorfall, und seine Abwesenheit macht ihn zum Deserteur. Zudem hat er eine schlimme Wunde am Bein.

 

Dreiecksbeziehung mit unheilvoller Dynamik

 

Luisa hört sich alles an; als Einzige spricht sie fließend Deutsch und Französisch, dazu noch die lokale Mundart Elsässisch. Und sie entscheidet sich, beide zu verstecken. Im von Deutschland und Frankreich gleichermaßen beanspruchten Elsass „hilft man sich“, sagt sie, „auch wenn man sich nicht kennt“. Das stellt sich als Fehler heraus; der brüchige Frieden im Haus entwickelt sich zur Dreiecksbeziehung, die alsbald eine fatale Dynamik entwickelt.

Offizieller Filmtrailer


 

Aus England in den Elsass verlegt

 

Das Drehbuch basiert auf der 1923 veröffentlichten Kurzgeschichte „Der Fuchs“ von D.H. Lawrence (1885-1930). Dieses Tier taucht als Symbolfigur mehrmals auf dem Hof auf und reißt Luises Hühner. Aber es gibt auch filmische Vorläufer für das konzentrierte Kammerspiel, das vor allem im Inneren des Bauernhauses abläuft. Etwa „Kukushka – Der Kuckuck“ (2002) von Alexander Rogoschkin; da treffen 1944 ein russischer und ein finnischer Soldat im Einödhof einer Samin aufeinander. Oder „Ende der Schonzeit“ (2012): Im Film von Franziska Schlotterer soll ein jüdischer Flüchtling 1942 einem kinderlosen Bauernpaar den Stammhalter liefern.

 

Aus der literarischen Vorlage übernehmen Regisseur Matthias Luthardt und Drehbuchautor Sebastian Bleyl nur die Figurenkonstellation und Abgeschiedenheit des Hauses. Die Handlung verlegen sie aus der friedlichen englischen Provinz ins umkämpfte Elsass-Lothringen; mit dem historischen Kontext gehen sie dabei frei um.

 

Wechselbad der Gefühle für Hauptfigur

 

Es ist schwer vorstellbar, dass ein Haus in der Nähe der Vogesen-Front vier Jahre lang vom Krieg unbeeinträchtigt geblieben sein soll. Zumindest wird das Schlachten im Film durch fernen Geschützdonner und seine Präsenz in den Dialogen als Dauerbedrohung inszeniert. So bleibt sie stets unterschwellig präsent in allem, was gesagt wird oder auch unausgesprochen bleibt.

 

Wie in Lawrences Erzählung steht Luise nun zwischen zwei Personen; einer Mann und einer Frau, die allerlei eigene Hoffnungen und Begehrlichkeiten mit sich herumschleppen. Die Elsässerin tritt am resolutesten auf und macht von Beginn an klar, dass in ihrem Haus ihre Regeln gelten. Dabei geht Hauptdarstellerin Luise Aschenbrenner überzeugend durch ein Wechselbad der Gefühle, die sie oft mit robuster Entschlossenheit verbergen muss.

 

Halbes Kind mit Gewehr im Anschlag

 

Zudem übernimmt sie notgedrungen die Kommunikation mit der Außenwelt, wenn etwa der Feldjäger-Hauptmann (Aleksandar Jovanovich) mit zwei kurzen, aber prägnanten Auftritten vorbeischaut, weil er den Deserteur sucht. Auch die anderen Schauspieler können sich sehen lassen: Leonard Kunz’ Soldat Hermann ist noch ein halbes Kind, das nichts außer seinem Heimatdorf und dem Krieg kennt.

 

Er ist außerstande, seine verfahrene Situation zu begreifen, geschweige denn, einen Ausweg zu finden. Stattdessen klammert er sich an seinen Glauben und die Hoffnung, wenigstens eine der Frauen werde ihn wie eine Mutter an die Hand nehmen und aus der Klemme führen. Nachdem er bei Hélène abblitzt, wächst seine Eifersucht auf die Französin. Dass er durch die Verwundung in seiner Männlichkeit gekränkt ist, steigert seine Verzweiflung nur. Wobei er mit dem Gewehr im Anschlag nie vergessen lässt, welch unheilvolles Potential von ihm ausgeht.

 

Zwischen Aufbruch + tödlicher Tradition

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Im Westen nichts Neues" – beeindruckende Verfilmung des Antikriegs-Bestsellers von Erich Maria Remarque durch Edward Berger, prämiert mit vier Oscars 2023

 

und hier eine Besprechung des Films "1917" – meisterlich suggestiv gefilmtes Schützengraben-Drama im Ersten Weltkrieg von Sam Mendes

 

und hier einen Beitrag über den Film "Roter Himmel" – sommerlich federleichte Sittenkomödie mit tragischer Wendung von Christian Petzold, prämiert mit Silbernem Bären 2023

 

und hier einen Bericht über den Film "Schweigend steht der Wald" – athmosphärisch dichter Thriller in der Oberpfalz von Saralisa Volm

 

und hier eine Kritik des Films "Ende der Schonzeit" – intensives Melodram über deutsch-jüdische Dreiecksbeziehung auf Schwarzwald-Hof 1942 von Franziska Schlotterer.

 

Hélène wird dagegen als positive Figur gezeichnet. Sie hat sich gegen ihren Angreifer zur Wehr gesetzt, und sie hegt Pläne für ihre Zukunft. Sie will sich ins liberale Amsterdam durchschlagen und dort nach ihrer Façon leben, denn Hélène liebt Frauen. Und sie hofft zusehends, dass Luise mit ihr kommen wird. Diese hat erst vor kurzem ihre Mutter beerdigt und muss sich nun an die Einsamkeit gewöhnen. Vielleicht hat sie davor Angst – und deshalb die Flüchtigen bei sich aufgenommen.

 

Nun muss sie nicht nur die Umgangsformen im Haus regeln, sondern auch noch mit der eigenen Sexualität zurechtkommen; wie Hermann ist sie gut katholisch. Dabei lässt Regisseur Matthias Luthardt keinen Zweifel daran, wem seine Sympathien gelten. Dass Hélène für Aufbruch und Moderne steht, Hermann dagegen für Tradition und Tod, liegt auf der Hand, als Luise nacheinander mit beiden schläft. Wie unschwer zu erraten ist, wird der Sex mit Hélène zur Offenbarung, dagegen der mit dem unerfahrenen Soldaten zur Enttäuschung.

 

Am Ende in die Welt hinaus

 

So spitzt sich die Handlung mit einer Unvermeidlichkeit zu, die an Horrorfilme erinnert. Dazu passt die Dauerpräsenz des Waldes, der hier einmal mehr als stummer Zeuge aufgerufen wird. Er ist ein dankbarer Drehort, denn er garantiert Tiefe und Bedeutung, und seine Bewohner eignen sich als Symbolträger – wie der Fuchs, der wiederholt Hühner von Luises Hof stiehlt.

 

Beispiele dafür sind etwa „Schweigend steht der Wald“ (2022), das Regie-Debüt der Schauspielerin Saralisa Volm, und jüngst der mit einem Silbernen Bären prämierte „Roter Himmel“ (2023), in dem Christian Petzold den Wald beredt in Flammen aufgehen lässt. Im Vergleich dazu kann sich sich „Luise“ absolut sehen lassen, vor allem mit dem unerwarteten Ende: Luise kehrt der wohl von Anfang an trügerischen Sicherheit des Hauses den Rücken.