Die Anspannung ist groß. Dann ist der Dreh endlich abgeschlossen, und Filmemacher Tomas (Franz Rogowski), der in eben noch herrisch Regieanweisungen gegeben hat, schaltet in einen anderen Modus: Er will mit seinem Team feiern – und landet am Ende einer langen Nacht im Bett der Grundschullehrerin Agathe (Adèle Exarchopoulos). Als er am nächsten Morgen zu seinem langjährigen Partner und Ehemann Martin (Ben Whishaw) zurückkehrt, ist er keineswegs reumütig oder zerknirscht.
Info
Passages
Regie: Ira Sachs,
91 Min., Frankreich/ Deutschland 2023;
mit: Franz Rogowski, Adèle Exarchopoulos, Ben Whishaw
Weitere Informationen zum Film
Ménage-à-trois im Keim erstickt
Der stößt ihn nicht von der Bettkante – nur, um sich nach leidenschaftlichem, intim in Szene gesetztem Sex anhören zu müssen, dass Agathe ein Kind erwartet. Und wieder wundert sich Tomas, dass sich Martins Begeisterung in Grenzen hält. Wo der doch von jeher einen Kinderwunsch hatte! So steht kurz auch die Idee im Raum, das Kind zu dritt aufzuziehen. Doch diese spezielle ménage-à-trois erweist sich als Luftschloss, als Agathe bei einem Landhaus-Wochenende mit Freunden vorgeführt bekommt, wie verbunden Tomas und Martin einander nach wie vor sind.
Offizieller Filmtrailer
Ein Amerikaner in Paris
US-Regisseur Ira Sachs hat sich in zweieinhalb Jahrzehnten Filmschaffen immer wieder als nuancierter Beobachter schwuler Beziehungen und Milieus erwiesen, die er weitgehend klischeefrei ausleuchtet; etwa im semi-autobiographischen „Keep the Lights On“ (2012). Dieses Drama schildert das schwierige Auf und Ab zwischen einem Künstler und einem Anwalt mit Drogenproblem. Oder in „Liebe geht seltsame Wege“ (2014), in dem ein schwules Paar im gesetzten Alter erst sein Auskommen und dann die gemeinsame Wohnung verliert. Einer der beiden ist Lehrer; nach der Heirat mit seinem Partner kündigt ihm sein Arbeitgeber, eine katholische Schule.
Diesmal hat Regisseur Sachs in Paris gedreht – was ihn offenbar motivierte, tief in die Repertoirekiste des europäischen Autorenkinos zu greifen. In einigen Momenten wirkt der Film wie eine ironische Annäherung an das Genre des französischen Beziehungsdramas: aufgeladene Blicke zwischen Leid und Leidenschaft, plänkelndes Geplapper im Bohème-Freundeskreis, wobei Banales mit viel Gravitas aufgeladen wird. Und für die Außenaufnahmen bieten sich hübsche, von Bistros gesäumte Straßen an, durch die Tomas mit seinem Rennrad flitzt, während er sein kompliziertes Liebesleben organisiert.
Porträt eines Narzissten als Flummi
Es dauert ein bisschen, bis sich herauskristallisiert, dass dieser Film keine Milieustudie ist, obwohl dokumentarisch anmutende Einschübe auch Agathe und den Grafikdesigner Martin in ihren Jobs zeigen. Eigentlich geht es auch nur in zweiter Linie um das Beziehungsgefüge zwischen den dreien. Zuvörderst ist „Passages“ das Psychogramm eines Narzissten – wobei sich Tomas’ Wesenskern nur langsam herausschält.
Hintergrund
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und hier eine Besprechung des Films "In den Gängen" – poetische Kleine-Leute-Studie + Liebesgeschichte in Ostdeutschland von Thomas Stuber mit Franz Rogowski
und hier einen Beitrag über den Film "Blau ist eine warme Farbe" – Liebesdrama junger Lesben von Abdellatif Kechiche, Cannes-Sieger 2013, mit Adèle Exarchopoulos.
Unterhaltung ohne Übergänge
Rogowski verkörpert diese ambivalente Figur, die sich ohne Drama vielleicht auch einfach langweilen würde, mit bemerkenswerter Überzeugungskraft. Und Sachs hat kein Interesse, seinen Protagonisten vorzuführen oder ihn zu pathologisieren. Eher schaut er diesem Tomas fasziniert zu. So wie man das auch als Zuschauer tut, zumindest eine ganze Weile. Dann stellt sich Bedauern darüber ein, dass kaum vorkommt, was der Filmtitel verspricht: Übergänge. In diesem Fall etwa der Übergang von einer Beziehungsform zu einer anderen.
Darin könnte möglicherweise eine noch spannendere Geschichte stecken: wie man zum Beispiel eine langjährige Beziehung für eine dritte Person öffnet. Oder welche Gestaltungsmöglichkeiten es für ein Familienleben jenseits der Hetero-Norm gibt. Dafür bräuchte es allerdings viel Kommunikation. Doch sonderlich komplex scheint die Beziehungsdynamik zwischen den Figuren ohnehin nicht zu sein. „Passages“ ist vor allem das Porträt eines Mannes, der mit seiner schillernden, aber letztlich eindimensionalen Persönlichkeit Unterhaltungswert produziert.