Franz Rogowski

Passages

Tomas (Franz Rogowski) lernt in Paris die junge Grundschullehrerin Agathe (Adèle Exarchopoulos) kennen und lieben. Foto: MUBI
(Kinostart: 30.8.) Ich und ich und ich: In seinem Dreiecksbeziehungs-Drama folgt Regisseur Ira Sachs einem Narzissten, den Franz Rogowski sehr überzeugend spielt, durch sein kompliziertes Liebesleben. Anders als der Filmtitel verspricht, scheint dieser jedoch unfähig, sich zu ändern.

Die Anspannung ist groß. Dann ist der Dreh endlich abgeschlossen, und Filmemacher Tomas (Franz Rogowski), der in eben noch herrisch Regieanweisungen gegeben hat, schaltet in einen anderen Modus: Er will mit seinem Team feiern – und landet am Ende einer langen Nacht im Bett der Grundschullehrerin Agathe (Adèle Exarchopoulos). Als er am nächsten Morgen zu seinem langjährigen Partner und Ehemann Martin (Ben Whishaw) zurückkehrt, ist er keineswegs reumütig oder zerknirscht.

 

Info

 

Passages 

 

Regie: Ira Sachs,

91 Min., Frankreich/ Deutschland 2023;

mit: Franz Rogowski, Adèle Exarchopoulos, Ben Whishaw

 

Weitere Informationen zum Film

 

Er ist vor allem eingeschnappt, als der sich nicht mit ihm freut. Schließlich habe er, Tomas, etwas erlebt, das spannend und neu für ihn war. Doch Martin reagiert abgeklärt: „Das passiert immer, wenn du einen Film beendest“, entgegnet er. Ganz so wie immer läuft es diesmal allerdings nicht. Bald verlässt Tomas Martin tatsächlich, um bei Agathe einziehen – was ihn nicht davon abhält, nachts bei seinem Ex-Mann aufzukreuzen.

 

Ménage-à-trois im Keim erstickt

 

Der stößt ihn nicht von der Bettkante – nur, um sich nach leidenschaftlichem, intim in Szene gesetztem Sex anhören zu müssen, dass Agathe ein Kind erwartet. Und wieder wundert sich Tomas, dass sich Martins Begeisterung in Grenzen hält. Wo der doch von jeher einen Kinderwunsch hatte!  So steht kurz auch die Idee im Raum, das Kind zu dritt aufzuziehen. Doch diese spezielle ménage-à-trois erweist sich als Luftschloss, als Agathe bei einem Landhaus-Wochenende mit Freunden vorgeführt bekommt, wie verbunden Tomas und Martin einander nach wie vor sind.

Offizieller Filmtrailer


 

Ein Amerikaner in Paris

 

US-Regisseur Ira Sachs hat sich in zweieinhalb Jahrzehnten Filmschaffen immer wieder als nuancierter Beobachter schwuler Beziehungen und Milieus erwiesen, die er weitgehend klischeefrei ausleuchtet; etwa im semi-autobiographischen „Keep the Lights On“ (2012). Dieses Drama schildert das schwierige Auf und Ab zwischen einem Künstler und einem Anwalt mit Drogenproblem. Oder in „Liebe geht seltsame Wege“ (2014), in dem ein schwules Paar im gesetzten Alter erst sein Auskommen und dann die gemeinsame Wohnung verliert. Einer der beiden ist Lehrer; nach der Heirat mit seinem Partner kündigt ihm sein Arbeitgeber, eine katholische Schule.

 

Diesmal hat Regisseur Sachs in Paris gedreht – was ihn offenbar motivierte, tief in die Repertoirekiste des europäischen Autorenkinos zu greifen. In einigen Momenten wirkt der Film wie eine ironische Annäherung an das Genre des französischen Beziehungsdramas: aufgeladene Blicke zwischen Leid und Leidenschaft, plänkelndes Geplapper im Bohème-Freundeskreis, wobei Banales mit viel Gravitas aufgeladen wird. Und für die Außenaufnahmen bieten sich hübsche, von Bistros gesäumte Straßen an, durch die Tomas mit seinem Rennrad flitzt, während er sein kompliziertes Liebesleben organisiert.

 

Porträt eines Narzissten als Flummi

 

Es dauert ein bisschen, bis sich herauskristallisiert, dass dieser Film keine Milieustudie ist, obwohl dokumentarisch anmutende Einschübe auch Agathe und den Grafikdesigner Martin in ihren Jobs zeigen. Eigentlich geht es auch nur in zweiter Linie um das Beziehungsgefüge zwischen den dreien. Zuvörderst ist „Passages“ das Psychogramm eines Narzissten – wobei sich Tomas’ Wesenskern nur langsam herausschält.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Luise" - queeres Dreiecksbeziehungs-Drama im Ersten Weltkrieg von Matthias Luthardt

 

und hier einen Beitrag über den Film "Undine"ergreifendes Liebes-Drama von Christian Petzold mit Franz Rogowski

 

und hier eine Besprechung des Films "In den Gängen" – poetische Kleine-Leute-Studie + Liebesgeschichte in Ostdeutschland von Thomas Stuber mit Franz Rogowski

 

und hier einen Beitrag über den Film "Blau ist eine warme Farbe"Liebesdrama junger Lesben von Abdellatif Kechiche, Cannes-Sieger 2013, mit Adèle Exarchopoulos.

 

Seine flummiartige Persönlichkeit und sein kindlicher Enthusiasmus überdecken eine harte Selbstbezogenheit. Unter der weichen, elastischen Oberfläche steckt ein Egomane, der genau das will, was er gerade nicht hat, und auf seiner Suche nach dem emotionalen Kick eine Spur der Verwüstung hinterlässt. Obwohl er immer mehr zum Unsympathen mutiert, wirkt seine Begeisterungsfähigkeit entwaffnend und so anziehend, dass nachvollziehbar bleibt, wie er immer wieder Menschen für sich einnehmen kann. Dabei ist es fast egal, wie irrlichternd er sich dabei verhält.  

 

Unterhaltung ohne Übergänge

 

Rogowski verkörpert diese ambivalente Figur, die sich ohne Drama vielleicht auch einfach langweilen würde, mit bemerkenswerter Überzeugungskraft. Und Sachs hat kein Interesse, seinen Protagonisten vorzuführen oder ihn zu pathologisieren. Eher schaut er diesem Tomas fasziniert zu. So wie man das auch als Zuschauer tut, zumindest eine ganze Weile. Dann stellt sich Bedauern darüber ein, dass kaum vorkommt, was der Filmtitel verspricht: Übergänge. In diesem Fall etwa der Übergang von einer Beziehungsform zu einer anderen.

 

Darin könnte möglicherweise eine noch spannendere Geschichte stecken: wie man zum Beispiel eine langjährige Beziehung für eine dritte Person öffnet. Oder welche Gestaltungsmöglichkeiten es für ein Familienleben jenseits der Hetero-Norm gibt. Dafür bräuchte es allerdings viel Kommunikation. Doch sonderlich komplex scheint die Beziehungsdynamik zwischen den Figuren ohnehin nicht zu sein. „Passages“ ist vor allem das Porträt eines Mannes, der mit seiner schillernden, aber letztlich eindimensionalen Persönlichkeit Unterhaltungswert produziert.