Milena Aboyan

Elaha

Elaha (Bayan Layla) auf einer Hochzeit. Foto: © Christopher Behrmann / Kinescope Film GmbH
(Kinostart: 23.11.)“Ich lasse Dir alle Freiheiten, solange Du tust, was ich Dir sage“: Eine deutsche Kurdin vor der Hochzeit will ihre Wünsche nicht mehr den Ansprüchen ihrer Familie opfern. Präzise beobachteter Debütfilm von Regisseurin Milena Aboyan; in der Hauptrolle spielt Bayan Layla mitreißend auf.

Diese junge Frau weiß, was sie will. Das zeigt ihr direkter Blick in die Kamera: fordernd, neugierig, aber auch verschlossen, so wie Elaha (Bayan Layla) selbst. Mit 22 Jahren wohnt sie noch bei ihren Eltern in einer viel zu kleinen Wohnung. Als älteste Tochter muss sie sich um ihren gehbehinderten jüngeren Bruder kümmern, sowie um ihre pubertierende Schwester, mit der sie sich das Zimmer teilt. 

 

Info

 

Elaha

 

Regie: Milena Aboyan,

110 Min., Deutschland 2023;

mit: Bayan Layla, Armin Wahedi, Derya Dilber

 

Weitere Informationen zum Film

 

Privatsphäre gibt es so gut wie keine. Auch deshalb sehnt Elaha ihre bevorstehende Hochzeit herbei, von der sie sich mehr persönliche Freiheit verspricht. Doch je näher dieser Tag rückt, desto stärker verspürt sie den Druck ihrer Umgebung und ihre eigenen Zweifel. 

 

Selbstfindung unter erschwerten Bedingungen

 

Die Geschichte im Debütfilm von Regisseurin Milena Aboyan ist so oder ähnlich für Frauen in muslimisch und anderen patriarchal geprägten Gemeinschaften in Deutschland gelebte Realität. Die Selbstfindung der jungen Frau findet hier unter den erschwerten Bedingungen eines auf soziale Kontrolle ausgerichteten Mikrokosmos statt. Als Kurden in der Diaspora halten auch Elahas Angehörige die Traditionen hoch. Feierlichkeiten bilden die gesellschaftlichen Höhepunkte.

Offizieller Filmtrailer


 

Rücksicht auf den Ruf der Familie

 

Besonders beliebt sind Hochzeiten, auf denen wiederum weitere Eheschließungen angebahnt werden; so war es auch in Elahas Fall. Ihre Verlobung ist nicht durch romantische Liebesgefühle motiviert, sondern durch das Versprechen ihres Zukünftigen Nasim (Armin Wahedi), ihr nach der Trauung gewisse Freiheiten zu lassen. Die porträtierte Gemeinschaft lebt immerhin in einer deutschen Großstadt mit all den Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Diese wollen Elaha und ihre besten Freundinnen auch genießen.

 

Nur müssen sie das als brave Mädchen heimlich tun – über allem steht das Gebot von Jungfräulichkeit als Voraussetzung für die Ehe. So lebenslustig und aufgeklärt die jungen Frauen sonst sind; mit Rücksicht auf die Reputation ihrer Familien versuchen sie, dem archaischen Bild der gehorsamen Tochter zu entsprechen. Elaha hat damit zunehmend Probleme, was auch an ihrem Berufsorientierungs-Kurs liegt. Hier erhält sie Unterstützung durch ihre Lehrerin Stella (Hadnet Tesfai), die ihre aufgeweckte Intelligenz fördert und ihr nahelegt, das Abitur nachzuholen.

 

Zweifel am überkommenen Konstrukt

 

Das ist eine neue Erfahrung für Elaha, die zuhause stets an ihrer Rolle im Familiengefüge gemessen wird. Dabei entsprechen ihre männlichen Familienmitglieder selbst kaum dem traditionellen, virilen Rollenmodell. Der Vater ist seit langem ohne Arbeit, da seine Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden, der Bruder leicht spastisch gelähmt. Die Mutter ist dafür umso unerbittlicher. Sie kontrolliert die älteste Tochter auf Schritt und Tritt mit ständigen Anrufen und Nachfragen bei Freundinnen.

 

Hintergrund

 

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und hier einen Beitrag über den Film "Der Junge Siyar" – dichtes Drama über Zwangsheirat + Ehrenmord unter irakischen Kurden im Exil von Hisham Zaman

 

und hier eine Kritik des Films "Dügün - Hochzeit auf Türkisch" – Doku über deutsch-türkische Heiratsfeiern von Ayse Kalmaz und Marcel Kolvenbach.

 

Die Gespräche mit der mitfühlenden Stella wecken bei Elaha Zweifel an den traditionellen Zwängen, unter denen sie lebt. Zugleich begreift sie, dass die bevorstehende Ehe ihre Hoffnung auf Unabhängigkeit nicht erfüllen wird. Nasim kehrt immer mehr den patriarchalen „Beschützer“ heraus. Und was außer ihr niemand weiß: Ihre Jungfräulichkeit ist bereits dahin. Aufatmen kann sie nur in Gegenwart ihres ehemaligen Mitschülers Yusuf (Slavko Popadic), der ihr als einziger keine Vorschriften macht. Er wäre ein besserer Partner für sie, aber da er kein Kurde ist, wäre er für die Familie nicht akzeptabel.

 

Zwischen Anspruch und Begehren

 

Im Gegensatz zu manchen didaktischen, mitunter recht eindimensionalen Filmen über junge Frauen in geschlossenen Gemeinschaften wertet Regisseurin Aboyan nicht. Sie schaut einfach genau hin, vermeidet Klischees in der Charakterzeichnung und überlässt es dem Publikum, eigene Schlüsse zu ziehen. Empathisch und präzise beobachtend folgt sie der gehetzten Hauptfigur durch ihren Alltag zwischen Familie, Treffen mit Freundinnen, ihrem Nebenjob in einer Reinigung und den Hochzeitsvorbereitungen.

 

Dabei ist die Kamera immer ganz nahe bei ihr und gibt nur selten den Blick frei auf die Stadtlandschaft. Nur außerhalb der engen Nachbarschaftsgrenzen weitet sich die Perspektive, etwa bei einem Waldspaziergang mit Yusuf. Die überragende Bayan Layla spielt die Hauptrolle sowohl zart und zerbrechlich als auch unnahbar und getrieben. Sie verkörpert glaubhaft eine junge Frau, die alle Last der Welt auf ihren Schultern spürt.

 

Raum für Hoffnung

 

Elaha ist zerrissen zwischen den eigenen Ansprüchen an sich selbst, als Tochter und künftige Ehefrau – und ihren eigentlichen Wünschen, nicht zuletzt ihrem sexuellen Begehren. Die Inszenierung schafft Nähe und Mitgefühl, lässt aber wie das offene Ende noch Raum für eigene Gedanken und für die Hoffnung, dass die junge Frau schließlich ihren Weg finden wird.