Diese junge Frau weiß, was sie will. Das zeigt ihr direkter Blick in die Kamera: fordernd, neugierig, aber auch verschlossen, so wie Elaha (Bayan Layla) selbst. Mit 22 Jahren wohnt sie noch bei ihren Eltern in einer viel zu kleinen Wohnung. Als älteste Tochter muss sie sich um ihren gehbehinderten jüngeren Bruder kümmern, sowie um ihre pubertierende Schwester, mit der sie sich das Zimmer teilt.
Info
Elaha
Regie: Milena Aboyan,
110 Min., Deutschland 2023;
mit: Bayan Layla, Armin Wahedi, Derya Dilber
Weitere Informationen zum Film
Selbstfindung unter erschwerten Bedingungen
Die Geschichte im Debütfilm von Regisseurin Milena Aboyan ist so oder ähnlich für Frauen in muslimisch und anderen patriarchal geprägten Gemeinschaften in Deutschland gelebte Realität. Die Selbstfindung der jungen Frau findet hier unter den erschwerten Bedingungen eines auf soziale Kontrolle ausgerichteten Mikrokosmos statt. Als Kurden in der Diaspora halten auch Elahas Angehörige die Traditionen hoch. Feierlichkeiten bilden die gesellschaftlichen Höhepunkte.
Offizieller Filmtrailer
Rücksicht auf den Ruf der Familie
Besonders beliebt sind Hochzeiten, auf denen wiederum weitere Eheschließungen angebahnt werden; so war es auch in Elahas Fall. Ihre Verlobung ist nicht durch romantische Liebesgefühle motiviert, sondern durch das Versprechen ihres Zukünftigen Nasim (Armin Wahedi), ihr nach der Trauung gewisse Freiheiten zu lassen. Die porträtierte Gemeinschaft lebt immerhin in einer deutschen Großstadt mit all den Möglichkeiten, die sich daraus ergeben. Diese wollen Elaha und ihre besten Freundinnen auch genießen.
Nur müssen sie das als brave Mädchen heimlich tun – über allem steht das Gebot von Jungfräulichkeit als Voraussetzung für die Ehe. So lebenslustig und aufgeklärt die jungen Frauen sonst sind; mit Rücksicht auf die Reputation ihrer Familien versuchen sie, dem archaischen Bild der gehorsamen Tochter zu entsprechen. Elaha hat damit zunehmend Probleme, was auch an ihrem Berufsorientierungs-Kurs liegt. Hier erhält sie Unterstützung durch ihre Lehrerin Stella (Hadnet Tesfai), die ihre aufgeweckte Intelligenz fördert und ihr nahelegt, das Abitur nachzuholen.
Zweifel am überkommenen Konstrukt
Das ist eine neue Erfahrung für Elaha, die zuhause stets an ihrer Rolle im Familiengefüge gemessen wird. Dabei entsprechen ihre männlichen Familienmitglieder selbst kaum dem traditionellen, virilen Rollenmodell. Der Vater ist seit langem ohne Arbeit, da seine Abschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden, der Bruder leicht spastisch gelähmt. Die Mutter ist dafür umso unerbittlicher. Sie kontrolliert die älteste Tochter auf Schritt und Tritt mit ständigen Anrufen und Nachfragen bei Freundinnen.
Hintergrund
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Zwischen Anspruch und Begehren
Im Gegensatz zu manchen didaktischen, mitunter recht eindimensionalen Filmen über junge Frauen in geschlossenen Gemeinschaften wertet Regisseurin Aboyan nicht. Sie schaut einfach genau hin, vermeidet Klischees in der Charakterzeichnung und überlässt es dem Publikum, eigene Schlüsse zu ziehen. Empathisch und präzise beobachtend folgt sie der gehetzten Hauptfigur durch ihren Alltag zwischen Familie, Treffen mit Freundinnen, ihrem Nebenjob in einer Reinigung und den Hochzeitsvorbereitungen.
Dabei ist die Kamera immer ganz nahe bei ihr und gibt nur selten den Blick frei auf die Stadtlandschaft. Nur außerhalb der engen Nachbarschaftsgrenzen weitet sich die Perspektive, etwa bei einem Waldspaziergang mit Yusuf. Die überragende Bayan Layla spielt die Hauptrolle sowohl zart und zerbrechlich als auch unnahbar und getrieben. Sie verkörpert glaubhaft eine junge Frau, die alle Last der Welt auf ihren Schultern spürt.
Raum für Hoffnung
Elaha ist zerrissen zwischen den eigenen Ansprüchen an sich selbst, als Tochter und künftige Ehefrau – und ihren eigentlichen Wünschen, nicht zuletzt ihrem sexuellen Begehren. Die Inszenierung schafft Nähe und Mitgefühl, lässt aber wie das offene Ende noch Raum für eigene Gedanken und für die Hoffnung, dass die junge Frau schließlich ihren Weg finden wird.