Matthias Schweighöfer

Girl you know it’s true

Rob (Tijan Njie) und Fab (Elan Ben Ali) werden in London von Fans umringt. Fotos: Gordon Timpen, Copyright: LEONINE Studios / Wiedemann & Berg Film
(Kinostart: 21.12.) Musiker wie Ersatzteile einer Hitfabrik: Das Discopop-Duo “Milli Vanilli” stürmte 1989 die Charts – und stürzte im Folgejahr ab, als herauskam, dass es seine Songs nicht selbst gesungen hatte. Regisseur Simon Verhoeven rollt den Skandal auf: nostalgisch, unterhaltsam und ohne Schadenfreude.

Selten ist eine bundesdeutsche Band so schnell zu internationalem Ruhm gekommen wie „Milli Vanilli“ – und keine Band ist jemals so jäh und brutal abgestürzt. Ein Jahr lang beherrschte das Duo Robert Pilatus und Fabrice Morvan die Charts in mehreren Ländern, darunter die der USA. Dann enthüllte ihr Produzent Frank Farian in einer Pressekonferenz, was in der Branche ohnehin alle ahnten.

 

Info

 

Girl you know it's true

 

Regie: Simon Verhoeven,

124 Min., Deutschland 2023;

mit: Matthias Schweighöfer, Tijan Njie, Elan Ben Ali, Bella Dayne

 

Weitere Informationen zum Film

 

Die beiden Jungs, deren Poster 1989 die Wände unzähliger Kinderzimmer schmückten, haben keinen ihrer Songs selbst gesungen. Ihre Live-Auftritte absolvierten „Milli Vanilli“ allesamt mit Voll-Playback: Zu den Zeilen vom Tonband bewegten sie nur die Lippen. Den Absturz aus Star-Höhen verkraftete Pilatus nicht: Er starb 1998 nach mehreren Entzugsversuchen an einer Überdosis Alkohol und Tabletten.

 

Alles ging so schnell

 

Der Film von Simon Verhoeven erzählt Aufstieg und Fall des Duos als Geschichte eines Betrugs, der allen Beteiligten einfach irgendwie passiert ist. Es ging ja auch alles so schnell. Immerhin verzichtet das Drehbuch auf Schadenfreude, was gleich am Anfang deutlich wird; der ist der Jugend von Robert Pilatus gewidmet, der in München aufwuchs.

Offizieller Filmtrailer


 

„Bin ich mit Boney M. verwandt?“

 

Als ungewolltes US-army-brat zur Adoption freigegeben, kam Robert in die Obhut einer Pflegefamilie. In seiner Vorstadt ist er der einzige Afro-Deutsche weit und breit. Rührend fragt er einmal seine Adoptivmutter: „Kann es sein, dass ich mit Boney M. verwandt bin?“ Das stellt sich als sich selbst erfüllende Prophezeiung heraus.

 

Jahre später trifft Rob (Tijan Njie) in Fabrice Morvan (Elan Ben Ali) aus Paris endlich einen Seelenverwandten. Als einander kongenial ergänzende Tänzer bringen sie es zu lokalem Ruhm in der Münchner Disco P1. So kommt es zum Zusammentreffen mit Frank Farian (Matthias Schweighöfer), dem Produzenten der in den 1970er Jahren immens erfolgreichen Discopop-Gruppe „Boney M“.

 

Auf Gesangskünste kommt es nicht an

 

Eingefädelt wird das Treffen von seiner Mitarbeiterin Ingrid „Milli“ Segieth, die interessanterweise zu den Produzentinnen des Films zählt; ebenso wie Roberts Adoptivschwester Carmen Pilatus. Das dürfte erklären, warum Rob und Fab – von ihren Schauspielern ausgezeichnet verkörpert – zwar als etwas naiv dargestellt, aber im Film stets respektvoll behandelt werden; letztlich erscheinen sie als Opfer widriger Umstände.

 

Bei der Schuldfrage wird es ein bisschen kniffliger. Schweighöfer als Film-Farian macht den Jungs sofort deutlich, dass es auf ihre bescheidenen Gesangskünste nicht ankommt. Nach anfänglichem Murren spielen die beiden das Playback-Spiel mit, zumal der Erfolg ihnen durchaus Spaß macht. Ihre Rolle ist die von Mannequins, die helfen sollen, bereits eingespielte Discopop-Nummern optisch zu vermarkten.

 

Auch „Pump up the Jam“ als Playback

 

Schon bei „Boney M.“ hatte der Produzent den gutaussehenden Tänzer Bobby Farrell ins Rampenlicht gestellt, der zu Farians eigenem Gesang die Lippen bewegte. Für die ZDF-Hitparade hatte das ausgereicht, für den Erfolg in den USA nicht. Das sollte nun ein noch namenloses Projekt aus Studiomusikern ändern. Dafür „coverte“ man kurzerhand einen Club-Hit der in Europa unbekannten US-Crew „Numarx“; deren Reaktion widmet der Film eine Nebenhandlung.

 

Doch Farian hielt seine Studio-Leadsänger für nicht vorzeigbar. Video killte gerade den Radiostar, und Farian wusste, dass charismatische Tänzer dem Verkauf einer Single zuträglich sein können. War es der Teenager-Zielgruppe nicht schon immer egal gewesen, ob ihre Stars nun singen können oder nicht? Schließlich ließ auch das belgische Duo „Technotronic“ im Videoclip zum Mega-Hit „Pump up the Jam“ (1989) ein Fotomodell den Mund zum Gesang einer unsichtbaren Rapperin bewegen – ein Skandal blieb aus.

 

Talent zum kreativen Klauen

 

Farian scheint der Unterschied zwischen TV-Shows wie „Top of the Pops“ oder „Formel 1“ mit ihrem Voll-Playback und tatsächlicher Musikaufnahme-Praxis nicht ganz klar gewesen zu sein. Doch seine Angewohnheit, Musiker wie austauschbare Ersatzteile seiner Hitfabrik zu behandeln, deutet der Film nur implizit an. Das erklärt sich leicht: Für dieses Filmprojekt brauchte man Farians Musik, und damit auch den Segen des Produzenten.

 

Ihn spielt der deutsche Jedermann Matthias Schweighöfer, der ihm den Charakter eines leicht verschrobenen Egomanen gibt; manchmal ein bisschen cholerisch, aber auch irgendwie genial. Mit mildem Spott betont wird allerdings sein Talent zum kreativen Klauen. Und die Milli, die beim Schlecken von Vanille-Eis zur Namenspatin des Duos wurde? Das Repertoire von Darstellerin Bella Dayne beschränkt sich auf strahlendes Lächeln oder kein Lächeln.

 

Keiner guckte aufs Albumcover

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Hyper! A Journey into Art and Music" – Themenschau über die Verbindung zwischen Popmusik und Kunst in den Deichtorhallen, Hamburg

 

und hier eine Besprechung des Films "Sound of Noise – Die Musik-Terroristen – amüsant absurde Musik-Groteske von Ola Simonsson + Johannes Stjärne Nilsson

 

und hier einen Bericht über den Film "Conny Plank – The Potential of Noise" – Dokumentation über den legendären Musikproduzenten von Reto Caduff + Stephan Plank

 

und hier einen Beitrag über den Film "Imagine waking up tomorrow and all music has disappeared" – origineller Essayfilm mit dem Ex-KLF-Musiker Bill Drummond von Stephan Schwietert.

 

Damit perlt Kritik an Milli zwangsläufig ab; man erfährt einfach nicht, was sie denkt. So richten sich anklagende Blicke nach Amerika. Tatsächlich müssen sich die Mitarbeiter des US-Plattengiganten „Arista Records“ die Frage gefallen lassen, warum sie ihr eilends eingekauftes Produkt nicht auf seine Legitimität geprüft haben. Das deutsche Albumcover erwähnt in den Credits für die Songs auf der Platte weder Rob noch Fab. Hätte man ja mal draufgucken können.

 

Stattdessen wird mit dem Überraschungserfolg der Single „Girl You Know It’s True“ in den USA, die sich mehr als eine Million Mal verkauft, überstürzt eine Gelddruckmaschine angeworfen, die niemand mehr stoppen kann oder will. Dann verfällt das Arista-Managment auch noch auf die wahnwitzige Idee, „Milli Vanilli“ für die Grammys 1990 zu nominieren, die wichtigsten Popmusik-Preise der Welt.

 

Allein in den Abgrund fallen

 

Bei deren Verleihung wird traditionellerweise noch selbst gesungen; spätestens vor der Zeremonie, bei der das Duo tatsächlich als Best New Artist prämiert wird, hätte irgendjemand die Notbremse ziehen müssen. Stattdessen rasen lieber alle zusammen auf den Abgrund zu, in den Rob und Fab dann ganz allein fallen dürfen.

 

Anstatt Managerin Milli zu fragen, ob sie damals ihrer Verantwortung als Managerin gerecht wurde, verniedlicht Regisseur Verhoeven all das zur Nostalgie-Tour. Bei der die Akteure zuweilen direkt in die Kamera sprechen; auch Fabrice mit einer abweichenden Meinung. So gibt sich der Film versöhnlich und räumt ein, dass es eben immer mehr als nur eine Wahrheit gibt. 

 

Zusätzlich Doku ansehen

 

Daher empfiehlt sich, auch die Doku zum Thema anzusehen, die US-Regisseur Luke Korem jüngst gedreht hat. Er leuchtet Aspekte aus, die Verhoevens weitgehend sorgfältig gemachter und unterhaltsamer Spielfilm aus Pietät, Rechtsgründen oder Bequemlichkeit ausspart. Beide Filmemacher fallen allerdings auf die Legende der Namensfindung herein. Der Name wurde nicht in Farians Studio erfunden, er stammt vom Tanzschuppen „Milli Vanilli“ in der West-Berliner Knesebeckstraße. Dafür soll Farian auch um Erlaubnis gefragt haben.