„Afrika, dunkel lockende Welt“ lautet der deutsche Titel des Romans von 1937, der Tanja Blixen berühmt machen sollte. Das dunkel Lockende hat wohl kein Regisseur bislang so konsequent umgesetzt wie der Nigerianer C. J. «Fiery» Obasi. Er macht sich den Umstand zunutze, dass dunkelhäutige Schauspieler sich bei schwacher Beleuchtung kaum von ihrer Umgebung abheben.
Info
Mami Wata
Regie: C. J. «Fiery» Obasi,
107 Min., Nigeria 2023;
mit: Rita Edochie, Uzomaka Aniunoh, Evelyne Ily
Weitere Informationen zum Film
Alles voller Geister
Sie ist typisch für nigerianische Filme, die hierzulande praktisch nie zu sehen sind, obwohl „Nollywood“ die mit Abstand größte Filmindustrie des Kontinents ist. In Afrika sind Ahnenseelen und Geisterwesen allgegenwärtig; sie interagieren ständig mit den Lebenden. Ein weiteres Nollywood-Element, das an soap operas erinnert, findet sich ebenfalls in „Mami Wata“: Alles wird ausführlich auf Pidgin-Englisch besprochen, bevor etwas geschieht.
Offizieller Filmtrailer OmU
Aufstand der Gottlosen
Dabei bleibt die Handlung überschaubar. Mama Efe (Rita Edochie) ist die De-facto-Herrscherin in Iyi, einem Küstendorf am Golf von Guinea – gedreht wurde in Benin. Als „Vermittlerin“ im Sinne einer Schamanin oder Medizinfrau sorgt sie dafür, dass der Segen der Wassergöttin Mami Wata auf dem Dorf ruht. Als es ihr nicht gelingt, einen kranken Jungen vor dem Tod zu retten, revoltiert eine Gruppe junger Männer gegen sie; ihr Anführer ist Jasper (Emeka Amakeze).
Zu ihm, der eines Tages am Strand angespült wurde, fühlt sich Mama Efes Tochter Prisca (Evelyne Ily) hingezogen; ihre Schwester Zinwe (Uzomaka Aniunoh) gilt dagegen als künftige Nachfolgerin der Mutter. Doch die Rebellen, die den traditionellen Glauben verspotten, ermorden Mama Efe und erpressen Abgaben von den Dorfbewohnern. Anstatt damit wie versprochen Stromleitungen, Schulen und ein Krankenhaus zu errichten, decken sie sich bei einem weißen Waffenhändler mit Maschinenpistolen ein. Gegen ihr Schreckensregime lehnen sich die beiden Schwestern auf.
Vexierspiel aus Licht + Dunkelheit
Der culture clash zwischen der herkömmlichen Kultur und vorgeblichen Segnungen der Moderne, die sich als desaströs erweisen, ist seit dem epochalen Roman „Things fall apart“ („Das Alte stürzt“, 1958) des Nigerianers Chinua Achebe ein Dauerthema in Literatur und Kino des Kontinents. Inhaltlich fügt Regisseur Obasi dem wenig Neues hinzu; abgesehen vom feministischen twist, dass es die Töchter der bisherigen Autoritätsperson sind, die ihren Mitbürgern den Pfad der Tugend zurück zur Tradition weisen – in der patriarchalischen Kultur Afrikas eher unwahrscheinlich.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Woman King" – mitreißend inszeniertes Historiendrama über Sklavenhandel und Anfänge der Kolonialherrschaft in Schwarzafrika von Gina Prince-Bythewood
und hier eine Besprechung des Films "Der Schamane und die Schlange – Embrace of the Serpent" – brillant vielschichtiges Schwarzweiß-Doppelporträt zweier Amazonas-Forschungspioniere von Ciro Guerra
und hier einen Beitrag über den Film "N – Der Wahn der Vernunft" – vielschichtiger Essayfilm über Culture Clash in Afrika von Peter Krüger
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Voodoo" – hervorragende Überblicksschau über afrokaribische Religionen im Roemer- und Pelizaeus-Museum, Hildesheim.
Fantastische form follows function
Von Kurosawa übernimmt der Regisseur das artifizielle Setting, in dem die Akteure sich bewegen: Räume und Landschaften, die eher nach Theaterbühnen samt Kulissen aussehen. Von Lynch inspiriert ist das numinos Unheimliche, das viele Szenen durchzieht – ohne dass der Film die Präsenz des Übersinnlichen ins Bild setzen würde.
Beide Einflüsse zusammen ergeben einen drastischen Verfremdungseffekt: Die Protagonisten sind stark geschminkt und wild kostümiert in der Manier historischer Vorbilder, die es in dieser Form wohl nie gegeben hat. So spielen sie einen archetypischen Konflikt durch, der vielerorts bis heute andauert – und selten mit der Rückbesinnung auf die Tradition endet. Für seine kontrafaktische Wunschlösung findet Regisseur Obasi eine Bildsprache, die ebenso fantastisch ist – form follows function.