C. J. «Fiery» Obasi

Mami Wata

Mama Efe (Rita Edochie) ist die Vermittlerin der Göttin Mami Wata im Diesseits. Foto: © Cinemalovers
(Kinostart: 11.1.) Schwarzweißer Fiebertraum: Den Konflikt zwischen Tradition und Moderne inszeniert der nigerianische Regisseur C. J. Obasi als hyperstilisierte Parabel. Protagonisten mit aufwändiger Gesichtsbemalung und Kopfputzen agieren in tropischen Kulissen – ein unvergessliches Seherlebnis.

„Afrika, dunkel lockende Welt“ lautet der deutsche Titel des Romans von 1937, der Tanja Blixen berühmt machen sollte. Das dunkel Lockende hat wohl kein Regisseur bislang so konsequent umgesetzt wie der Nigerianer C. J. «Fiery» Obasi. Er macht sich den Umstand zunutze, dass dunkelhäutige Schauspieler sich bei schwacher Beleuchtung kaum von ihrer Umgebung abheben.

 

Info

 

Mami Wata

 

Regie: C. J. «Fiery» Obasi,

107 Min., Nigeria 2023;

mit: Rita Edochie, Uzomaka Aniunoh, Evelyne Ily

 

Weitere Informationen zum Film

 

Zugleich tragen sie grellweiße, ornamentale Gesichtsbemalung und lebhaft hell-dunkel gemusterte Kleidung; manche zudem absurd aufwändige Colliers und Kopfputze aus Kauri- und anderen Muscheln. Sie modellieren die Gesichter und Silhouetten gleichsam aus den Hintergründen in Grau- oder Schwarztönen heraus; die Figuren erscheinen wie Schemen in einem Fiebertraum. Was trefflich zur Verschränkung von dies- und jenseitiger Sphäre passt, um die es hier geht.

 

Alles voller Geister

 

Sie ist typisch für nigerianische Filme, die hierzulande praktisch nie zu sehen sind, obwohl „Nollywood“ die mit Abstand größte Filmindustrie des Kontinents ist. In Afrika sind Ahnenseelen und Geisterwesen allgegenwärtig; sie interagieren ständig mit den Lebenden. Ein weiteres Nollywood-Element, das an soap operas erinnert, findet sich ebenfalls in „Mami Wata“: Alles wird ausführlich auf Pidgin-Englisch besprochen, bevor etwas geschieht.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Aufstand der Gottlosen

 

Dabei bleibt die Handlung überschaubar. Mama Efe (Rita Edochie) ist die De-facto-Herrscherin in Iyi, einem Küstendorf am Golf von Guinea – gedreht wurde in Benin. Als „Vermittlerin“ im Sinne einer Schamanin oder Medizinfrau sorgt sie dafür, dass der Segen der Wassergöttin Mami Wata auf dem Dorf ruht. Als es ihr nicht gelingt, einen kranken Jungen vor dem Tod zu retten, revoltiert eine Gruppe junger Männer gegen sie; ihr Anführer ist Jasper (Emeka Amakeze).

 

Zu ihm, der eines Tages am Strand angespült wurde, fühlt sich Mama Efes Tochter Prisca (Evelyne Ily) hingezogen; ihre Schwester Zinwe (Uzomaka Aniunoh) gilt dagegen als künftige Nachfolgerin der Mutter. Doch die Rebellen, die den traditionellen Glauben verspotten, ermorden Mama Efe und erpressen Abgaben von den Dorfbewohnern. Anstatt damit wie versprochen Stromleitungen, Schulen und ein Krankenhaus zu errichten, decken sie sich bei einem weißen Waffenhändler mit Maschinenpistolen ein. Gegen ihr Schreckensregime lehnen sich die beiden Schwestern auf.

 

Vexierspiel aus Licht + Dunkelheit

 

Der culture clash zwischen der herkömmlichen Kultur und vorgeblichen Segnungen der Moderne, die sich als desaströs erweisen, ist seit dem epochalen Roman „Things fall apart“ („Das Alte stürzt“, 1958) des Nigerianers Chinua Achebe ein Dauerthema in Literatur und Kino des Kontinents. Inhaltlich fügt Regisseur Obasi dem wenig Neues hinzu; abgesehen vom feministischen twist, dass es die Töchter der bisherigen Autoritätsperson sind, die ihren Mitbürgern den Pfad der Tugend zurück zur Tradition weisen – in der patriarchalischen Kultur Afrikas eher unwahrscheinlich.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Woman King" – mitreißend inszeniertes Historiendrama über Sklavenhandel und Anfänge der Kolonialherrschaft in Schwarzafrika von Gina Prince-Bythewood

 

und hier eine Besprechung des Films "Der Schamane und die Schlange – Embrace of the Serpent" – brillant vielschichtiges Schwarzweiß-Doppelporträt zweier Amazonas-Forschungspioniere von Ciro Guerra

 

und hier einen Beitrag über den Film "N – Der Wahn der Vernunft" – vielschichtiger Essayfilm über Culture Clash in Afrika von Peter Krüger

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Voodoo" – hervorragende Überblicksschau über afrokaribische Religionen im Roemer- und Pelizaeus-Museum, Hildesheim.

 

Was „Mami Wata“ zum unvergesslichen Seherlebnis macht, ist die Inszenierung: ein manchmal schwer durchschaubares Vexierspiel aus Lichtreflexen und Dunkelzonen, das passagenweise an Klassiker des expressionistischen Stummfilms erinnert. Aber gefiltert durch 100 Jahre Kinogeschichte und realisiert nahe des Äquators. Er habe „einen hyperstilisierten Film drehen“ wollen, sagt Obasi, und nennt als seine Vorbilder Akira Kurosawa und David Lynch. Was weniger gegensätzlich ist, als es klingt.

 

Fantastische form follows function

 

Von Kurosawa übernimmt der Regisseur das artifizielle Setting, in dem die Akteure sich bewegen: Räume und Landschaften, die eher nach Theaterbühnen samt Kulissen aussehen. Von Lynch inspiriert ist das numinos Unheimliche, das viele Szenen durchzieht – ohne dass der Film die Präsenz des Übersinnlichen ins Bild setzen würde.

 

Beide Einflüsse zusammen ergeben einen drastischen Verfremdungseffekt: Die Protagonisten sind stark geschminkt und wild kostümiert in der Manier historischer Vorbilder, die es in dieser Form wohl nie gegeben hat. So spielen sie einen archetypischen Konflikt durch, der vielerorts bis heute andauert – und selten mit der Rückbesinnung auf die Tradition endet. Für seine kontrafaktische Wunschlösung findet Regisseur Obasi eine Bildsprache, die ebenso fantastisch ist – form follows function.