Josef Hader

Andrea lässt sich scheiden

Der trockene Alkoholiker Franz (Josef Hader) trinkt seit dem Unfall wieder, und Andrea (Birgit Minichmayr) fühlt sich schuldig. Foto: © Majestic
(Kinostart: 4.4.) Landstraße ohne Wiederkehr: In seiner zweiten Regiearbeit kehrt der Kabarettist Josef Hader in seine Provinzheimat zurück – eine Gegend ohne Berge, Eigenschaften oder Perspektiven. Zwischen Schuld und Sühne, Drama und Komödie findet der Melancholiker einen dritten Weg.

Das soll Österreich sein? Durch die flache Landschaft ziehen sich schnurgerade Landstraßen, auf denen die meisten Autos zu schnell fahren. Nur die Einwohner halten sich ans Tempolimit. Sie wissen, dass es hier für die Polizei nichts anderes zu tun gibt, als Raser zu erwischen. Denn sonst passiert hier nichts. Kein Wunder, dass die junge Polizistin Andrea (Birgit Minichmayr) von hier weg will.

 

Info

 

Andrea lässt sich scheiden

 

Regie: Josef Hader,

90 Min., Österreich 2023;

mit: Birgit Minichmayr, Josef Hader, Thomas Stipsits

 

Weitere Informationen zum Film

 

Sie zieht es ins nahe St. Pölten, die Landeshauptstadt von Niederösterreich, und von dort aus vielleicht nach Wien. Die Scheidung von ihrem versoffenen Gatten Andy (Thomas Stipsits) ist schon so gut wie vollzogen, auch wenn der sich immer noch nicht damit abgefunden hat. Dann passiert schließlich doch etwas. Und zwar mehr, als allen lieb ist.

 

Scheidung mit Fahrerflucht

 

Nach einer ausgelassenen Geburtstagsfeier in der Kneipe kann Andrea ihren Noch-Ehemann gerade noch daran hindern, betrunken Auto zu fahren. Doch dann überfährt ausgerechnet sie auf dem Heimweg den auf der Landstraße torkelnden Andy. Schockiert sucht sie das Weite, was für eine Polizistin natürlich ein doppelter Frevel ist. Während sie wegen der Fahrerflucht mit ihrem Gewissen ringt, fällt der Verdacht auf einen Anderen. Der nimmt die Schuld seltsamerweise auf sich.

Offizieller Filmtrailer


 

Ein trostloser Ort

 

Es handelt sich um den in die Jahre gekommene Religionslehrer Franz (Josef Hader), einen trockenen Alkoholiker ohne nennenswertes Privatleben. Die neue „Aufgabe“, die Buße für seine vermeintliche Tat, belebt in dem ohnehin lebensmüden Mann selbstzerstörerische Energien. Er fängt wieder an zu trinken, um die kurze Zeit zu genießen, bevor er eine Haftstrafe antreten muss. Andrea bleibt das nicht verborgen, und bald ist sie mit der Situation völlig überfordert.

 

In seiner zweiten Regiearbeit nach „Wilde Maus“ begibt sich Josef Hader geografisch quasi zu seinen Ursprüngen: der niederösterreichischen Provinz, die nicht mit spektakulären Berglandschaften aufwarten kann. Eher erinnert die Szenerie an einen beliebigen Ort in Ostdeutschland und fühlt sich irgendwie auch so an. Die Frauen gehen weg, und die Männer werden immer seltsamer, konstatiert eine der Figuren lakonisch. Andrea und Franz sind dafür lebende Beweise, Andy ein totes.

 

Unschuld + Sühne

 

Aus dieser Grundkonstellation könnte sich ein klassisches Drama über Schuld und Sühne entwickeln, oder eine überdrehte Komödie. Beides ist nicht Haders Sache. Wie schon in „Wilde Maus“, dem melancholischen Psychogramm eines gescheiterten Kulturjournalisten, geht es ihm um die verborgenen Seiten seiner Figuren, die erst in Extremsituationen zu Tage treten. Ihn interessieren die Nuancen der zwischenmenschlichen Kommunikation, die manchmal auch aus beredtem Schweigen bestehen kann.

 

Auch die Scheidung im Titel ist mehrdeutig. Andrea plant nicht nur das Ende ihrer Ehe, sondern die Trennung von ihrem alten Leben, der öden Jobroutine und ihrem vergesslich werdenden Vater. Äußerlich erscheint sie immer gefasst und undurchschaubar. Dass unter der abweisenden Schale eine mitfühlende Person steckt, zeigt sich, als sie Sympathie für den ins Bodenlose stürzenden Franz entwickelt.

 

Zwei Außenseiter

 

Unbeholfen versucht sie, ihn bei seiner Schuldmanie zu bremsen und vor sich selbst zu retten. Andererseits will sie im Zusammenhang mit dem Unfall ihre eigenen Spuren verwischen. Dass der zuständige Ermittler Walter (Robert Stadlober) eine Schwäche für sie hat, kommt ihr dabei wie gerufen. Ausnutzen wird sie diese aber nicht. Sie lässt es eher geschehen, dass Walter nicht so genau hinschaut, und nimmt seine Avancen an.

 

Hintergrund

 

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Dennoch scheint sie immer ein wenig abwesend, unruhig und nicht dazu gehörig. Das ist ein Wesenszug, den sie mit Franz gemeinsam hat. Nur hat der ältere Herr sich schon vor langer Zeit aufgegeben. Gerne erzählt er von seinen besten Jahren, als er noch Lieblingslehrer an der Schule war, Probleme löste und sämtliche Plattenläden in St. Pölten kannte. Auch er gehört nicht in dieses Dorf, wo in der Disko abgenudelte Schlager laufen und sich die älteren Damen um die wenigen adäquaten Herren balgen.

 

Innerer Winter mit sonnigem Ende

 

Obwohl draußen die satte Sommersonne brennt, scheint bei den Menschen ein innerer Winter zu herrschen oder ein unbestimmtes Gefühl, irgendetwas verpasst zu haben. Das will sich Andrea nicht vorwerfen müssen. Dabei bleibt es fraglich, ob sie in der Stadt glücklicher werden wird, nachdem sich die Sache mit dem Unfall geklärt hat. Vermutlich wird sie das Dorf gegen gesichtslose graue Betonburgen tauschen.

 

Nur in ihrem Auto kommt sie, zur ironiegesättigten Musik der Art-Pop-Band „Bilderbuch“, so richtig zu sich selbst. Ein Auto wird auch beteiligt sein, wenn Franz und Andrea Frieden mit sich und der Welt schließen. Das ist für den großen Melancholiker Hader ein geradezu optimistisches Happy End, bei dem auch noch die Sonne scheint. Ab und zu ist so etwas aber genau das Richtige.