Das soll Österreich sein? Durch die flache Landschaft ziehen sich schnurgerade Landstraßen, auf denen die meisten Autos zu schnell fahren. Nur die Einwohner halten sich ans Tempolimit. Sie wissen, dass es hier für die Polizei nichts anderes zu tun gibt, als Raser zu erwischen. Denn sonst passiert hier nichts. Kein Wunder, dass die junge Polizistin Andrea (Birgit Minichmayr) von hier weg will.
Info
Andrea lässt sich scheiden
Regie: Josef Hader,
90 Min., Österreich 2023;
mit: Birgit Minichmayr, Josef Hader, Thomas Stipsits
Weitere Informationen zum Film
Scheidung mit Fahrerflucht
Nach einer ausgelassenen Geburtstagsfeier in der Kneipe kann Andrea ihren Noch-Ehemann gerade noch daran hindern, betrunken Auto zu fahren. Doch dann überfährt ausgerechnet sie auf dem Heimweg den auf der Landstraße torkelnden Andy. Schockiert sucht sie das Weite, was für eine Polizistin natürlich ein doppelter Frevel ist. Während sie wegen der Fahrerflucht mit ihrem Gewissen ringt, fällt der Verdacht auf einen Anderen. Der nimmt die Schuld seltsamerweise auf sich.
Offizieller Filmtrailer
Ein trostloser Ort
Es handelt sich um den in die Jahre gekommene Religionslehrer Franz (Josef Hader), einen trockenen Alkoholiker ohne nennenswertes Privatleben. Die neue „Aufgabe“, die Buße für seine vermeintliche Tat, belebt in dem ohnehin lebensmüden Mann selbstzerstörerische Energien. Er fängt wieder an zu trinken, um die kurze Zeit zu genießen, bevor er eine Haftstrafe antreten muss. Andrea bleibt das nicht verborgen, und bald ist sie mit der Situation völlig überfordert.
In seiner zweiten Regiearbeit nach „Wilde Maus“ begibt sich Josef Hader geografisch quasi zu seinen Ursprüngen: der niederösterreichischen Provinz, die nicht mit spektakulären Berglandschaften aufwarten kann. Eher erinnert die Szenerie an einen beliebigen Ort in Ostdeutschland und fühlt sich irgendwie auch so an. Die Frauen gehen weg, und die Männer werden immer seltsamer, konstatiert eine der Figuren lakonisch. Andrea und Franz sind dafür lebende Beweise, Andy ein totes.
Unschuld + Sühne
Aus dieser Grundkonstellation könnte sich ein klassisches Drama über Schuld und Sühne entwickeln, oder eine überdrehte Komödie. Beides ist nicht Haders Sache. Wie schon in „Wilde Maus“, dem melancholischen Psychogramm eines gescheiterten Kulturjournalisten, geht es ihm um die verborgenen Seiten seiner Figuren, die erst in Extremsituationen zu Tage treten. Ihn interessieren die Nuancen der zwischenmenschlichen Kommunikation, die manchmal auch aus beredtem Schweigen bestehen kann.
Auch die Scheidung im Titel ist mehrdeutig. Andrea plant nicht nur das Ende ihrer Ehe, sondern die Trennung von ihrem alten Leben, der öden Jobroutine und ihrem vergesslich werdenden Vater. Äußerlich erscheint sie immer gefasst und undurchschaubar. Dass unter der abweisenden Schale eine mitfühlende Person steckt, zeigt sich, als sie Sympathie für den ins Bodenlose stürzenden Franz entwickelt.
Zwei Außenseiter
Unbeholfen versucht sie, ihn bei seiner Schuldmanie zu bremsen und vor sich selbst zu retten. Andererseits will sie im Zusammenhang mit dem Unfall ihre eigenen Spuren verwischen. Dass der zuständige Ermittler Walter (Robert Stadlober) eine Schwäche für sie hat, kommt ihr dabei wie gerufen. Ausnutzen wird sie diese aber nicht. Sie lässt es eher geschehen, dass Walter nicht so genau hinschaut, und nimmt seine Avancen an.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Arthur & Claire" - makaber-skurrile Selbstmord-Dramödie von Miguel Alexandre mit Josef Hader
und hier eine Besprechung des Films "Wilde Maus" – radikal komische Gesellschaftskomödie von und mit Josef Hader
und hier einen Beitrag über den Film "Vor der Morgenröte – Stefan Zweig in Amerika" – beeindruckendes Biopic über den Star-Autor im Exil von Maria Schrader mit Josef Hader.
Innerer Winter mit sonnigem Ende
Obwohl draußen die satte Sommersonne brennt, scheint bei den Menschen ein innerer Winter zu herrschen oder ein unbestimmtes Gefühl, irgendetwas verpasst zu haben. Das will sich Andrea nicht vorwerfen müssen. Dabei bleibt es fraglich, ob sie in der Stadt glücklicher werden wird, nachdem sich die Sache mit dem Unfall geklärt hat. Vermutlich wird sie das Dorf gegen gesichtslose graue Betonburgen tauschen.
Nur in ihrem Auto kommt sie, zur ironiegesättigten Musik der Art-Pop-Band „Bilderbuch“, so richtig zu sich selbst. Ein Auto wird auch beteiligt sein, wenn Franz und Andrea Frieden mit sich und der Welt schließen. Das ist für den großen Melancholiker Hader ein geradezu optimistisches Happy End, bei dem auch noch die Sonne scheint. Ab und zu ist so etwas aber genau das Richtige.