Alireza Khatami + Ali Asgari

Irdische Verse

Mit dem Namen des Kindes eine fremde Kultur propagieren: Ein frischgebackener Vater (Bahram Ark) möchte seinen Sohn gerne David nennen – sehr zum Missfallen iranischer Behörden. Foto: © Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 11.4.) Da helfen alle wohlgesetzten Worte nichts: Egal was sie sagen – Iraner werden von Vertretern der Staatsmacht gemaßregelt und geschurigelt. Die Absurdität solcher Gespräche führt das Regie-Duo Khatami und Asgari in kafkaesken Dialogen vor; mit minimalem Aufwand für subversive Komik.

Das Guerilla-Filmen haben iranische Filmemacher zur Perfektion entwickelt. Im Iran muss jedes Drehbuch bei der Zensur zur Freigabe eingereicht werden, um überhaupt eine Drehgenehmigung zu bekommen. Also versteht sich: Wer einen cineastisch relevanten Film drehen möchte, macht das am besten heimlich.

 

Info

 

Irdische Verse

 

Regie: Alireza Khatami + Ali Asgari,

77 Min., Iran 2023;

mit: Bahram Ark, Arghavan Shabani, Servin Zabetian 

 

Weitere Informationen zum Film

 

Die Früchte dieser klandestinen Filmproduktion werden dann in der Regel auf USB-Sticks außer Landes geschmuggelt und auf Festivals weltweit gefeiert. Derweil sitzen die Filmemacher zuhause und warten auf Nachricht, wie viele Monate Hausarrest oder Arbeitsverbot sie nun erwarten.

 

Von „Ten“ zu „Taxi Teheran“

 

Ein Beispiel für diese Vorgehensweise ist der internationale Arthouse-Erfolg „Ten“ (2002) des 2016 verstorbenen Regisseurs Abbas Kiarostami. „Ten“ besteht aus zehn Gesprächen zwischen zwei Personen, die allesamt in einem Auto stattfinden. Dabei entfaltet sich in zehn privaten Unterhaltungen das ganze Spektrum des Alltags in Teheran. Ähnlich ging sein Kollege Jafar Panahi bei „Taxi Teheran“ vor, womit er 2015 den Goldenen Bären gewann.

Offizieller Filmtrailer


 

Neun Szenen in sieben Tagen gedreht

 

„Irdische Verse“ von Ali Asgari und Alireza Khatami bedient sich ebenfalls dieses Prinzips von Episoden mit Unterredungen. Auch ihr Film destilliert aus Alltagssituationen die Essenz des Lebens im Iran, auch sie erzeugen mit minimalen Mitteln maximalen Eindruck: Ihr Film wurde in nur sieben Tagen gedreht.

 

In neun Szenen treten neun Personen vor die Kamera, die alle mit ihrem Vornamen vorgestellt werden. Alle führen ein Gespräch mit einer Autoritätsperson, die stets außerhalb des starren Bildrahmens bleibt. Jede Szene ist ohne Schnitte gefilmt. Zu sehen sind nur die neun Figuren; von den jeweiligen Vertretern der Macht – zumeist Staatsbedienstete wie Polizisten und Beamte – hört man nur die Stimmen.

 

Nur eine Figur zeigt Mitleid

 

Die Dialoge enden manchmal abrupt oder damit, dass die gezeigte Person den Raum verlässt, in den sie zuvor zitiert wurde. Nur in einer Szene behält die sichtbare Rednerin die Oberhand über ihr unsichtbares Gegenüber, indem sie zur Erpresserin wird. In einer einzigen anderen Szene zeigt die Figur in der Machtposition Mitgefühl – und riskiert damit, demnächst selbst irgendwo vorgeladen zu werden.

 

Ansonsten verlaufen die meisten Gespräche frustrierend: In der ersten Episode möchte ein Mann (Bahram Ark) seinem neugeborenen Sohn den Namen David geben – vergeblich. In der zweiten tanzt das kleine Mädchen Selena (Arghavan Shabani) selbstvergessen vor dem Spiegel eines Kaufhauses, während im Off die Mutter beraten wird, wie es sich bei seiner Einschulung kleiden soll; etwa in „so ein schönes Grau“. Dabei entweicht aus dem Kind während der Anprobe sämtliche Lebenslust – um gleich danach wieder aufzuflammen.

 

Von der Wiege bis zur Bahre

 

Die meisten Gespräche drehen sich um verwaltungstechnische Grenzen des Erlaubten und des Machbaren. Sie erreichen dabei das hierzulande fast in Vergessenheit geratene Niveau der Komik von Loriot oder Ephraim Kishon. Aus Standardphrasen wird die Absurdität der ideologisch erstarrten Bürokratie herausgekitzelt, bis man nicht mehr weiß, ob man lachen oder weinen soll.

 

Dabei stützen sich die Filmemacher auf den poststrukturalistischen Philosophen Michel Foucault und sein Konzept der „Bio-Macht“: Sie führen vor, wie der Staat in wirklich alle Aspekte der Lebensführung eingreift – und landen dabei immer wieder beim Galgenhumor. Nicht von ungefähr sind die neun Szenen nach dem gleichen Schema angeordnet wie der satirische Episodenfilm „Der Sinn des Lebens“ (1983) der britischen „Monty Python“-Komiker: von der Wiege bis zur Bahre.

 

Mörderische Seite nur im Prolog

 

„Irdische Verse“ beginnt mit der Geburt (Davids Namensgebung), führt dann durch Schullaufbahn und Arbeitswelt bis ins hohe Alter. In einer offensichtlich autobiografischen Episode muss sich ein Filmemacher (Farzin Mohades) vom zuständigen Kulturbeamten maßregeln lassen: Seite um Seite reißt er aus seinem Drehbuch heraus, nur um nur die erhoffte Genehmigung zu bekommen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Leere Netze"düsteres Kaviarfischer-Drama am Kaspischen Meer von Behrooz Karamizade

 

und hier eine Besprechung des Films "Sun Children" – facettenreiche Milieustudie über Straßenkinder in Teheran von Majid Majidi

 

und hier einen Beitrag über den Film "Untimely" – eindrucksvoll stilisiertes Sozialdrama über Unterschichts-Kindheit im Südost-Iran von Pouya Eshtehardi.

 

Weniger eindeutig sind die beiden Szenen am Filmanfang und -ende, die stilistisch aus dem Rahmen fallen. Zu Beginn geht in einer vierminütigen Einstellung über Teheran die Sonne auf. Währenddessen ist auf der Tonspur vom Leben die Rede, das in der Stadt brodelt, und der nackten Gewalt, die sich immer wieder entlädt. Das bleibt der einzige Hinweis auf die mörderische Seite des Regimes; verglichen mit hart verfolgtem und bestraften Verhalten wie Homosexualität oder politischem Protest drehen sich alle folgenden Gesprächssituationen eher um Bagatellen.

 

Posie der Erdbeben-Bilder

 

Dagegen beginnt die letzte Einstellung zunächst wie alle anderen. Doch ein alter Mann (Ardeshir Kazemi), der in einem modernen Büro am Schreibtisch sitzt, sagt nichts – auch sein Gegenüber schweigt. Langsam schläft der Alte ein, während ein Erdbeben das Gebäude erzittern lässt; hinter ihm fällt die Stadt in Trümmer.

 

Ein überraschender, verrätselter Schluss, in dem die Sprache verstummt und Poesie sich in die Bilder flüchtet. Damit erfüllt dieses Ende vielleicht sogar die Vorgaben eines Kultur-Bürokraten, die dieser einige Szenen zuvor diktiert hat. Die Metapher ist aber auch nicht schwer zu entschlüsseln. Nicht einmal für iranische Staatsbeamte.